Doron Rabinovici: 29. 3. 2010, Erev Pessach, Tel Aviv

| mitSprache unterwegs |

29. März 2010, Erev Pessach,
nach jüdischem Kalender am 14. Nissan 5770,
in Tel Aviv,
in meinem Hinterkopf aber sind
Colombo, Anjuna und Puna

Wann ist eine Reise zu Ende? Ich sammle Material. Ich blättre in Papieren, die ich aus dem Fernen Osten mitbrachte. Ich schaue mir die Photos durch, die auf meinem Laptop gespeichert sind. Ich nehme das Gerät überall hin mit. Auch nach Haifa, wo ich zu einer Lesung geladen werde; Auch in Tel Aviv, wo ich heuer mit meiner Familie den Seder feiere. Im Zentrum meiner Recherchen steht ein Bild aus Colombo, das Laurent Ziegler schoß.

Rabbi Mendi Crombie steht vor einem Tuktuk. Chassiden im Tuktuk. So wird der Text heißen, den ich bald schreibe. Chassiden im Tuktuk: Vor Jahren fuhr ich im Auto durch das Touristendorf Hikkaduwa an der südlichen Küste von Sri Lanka. Wir saßen in einem Kleinbus, und hatten, wenn ich nicht irre, einen riesigen liegenden Buddha besucht. Hikkaduwa lag am Weg. Wir wollten nur durch, denn es ist ein vom westlichen Tourismus verheerter Ort. Der Strand ist das Eldorado von jugendlichen Surfern und von recht schlichten Pauschaltouristen. Doch mitten unter den bunten Flipflops, den grellen Dreiviertelhosen, den bauchfreien Tops der Badeurlauber, standen in der tropischen Hitze plötzlich einige Chassidim im traditionell polnischer Tracht, mit Hut und in festem Kaftan, die eben in ein Tuktuk eintreten wollten. Wäre ich im römischen Petersdom und während der katholischen Messe auf hopsende halbnackte Gogotänzerinnen getroffen, hätte ich nicht überraschter sein können.

Die Reise ist nicht zu Ende. Sie hört nicht auf, wenn ich aus dem fernen Osten heimkehre. Sie klingt in mir nach. Mehr noch: Manches, was dort im Stimmengewirr unterging, dringt nun klarer durch. Zudem setze ich die Recherche fort.

Ich fliege nach Israel. Nicht nur in Arambol, in Anjuna oder Puna kann ich erfahren, was über die israelischen Touristen in Indien zu schreiben ist, sondern ebenso in Tel Aviv oder bei einer Lesung in der Universität von Haifa. An einem Samstag esse ich mit meinen Verwandten zu Mittag. In einem Tel Aviver Restaurant kommen wir zusammen. Ein weitläufiges Lokal, alle Plätze sind besetzt. Laute Musik dröhnt durch den Raum. Wer sich am Tisch unterhalten will, muß schreien. Unweit der Bar sehe ich Yoram Kaniuk, einen der bedeutendsten Schriftsteller des Landes. Wie es mir gehe, fragt er, und wie lange ich noch im Lande bleibe. Ich setze mich zwischen meine beiden älteren Neffen, Musiker. Ihre Band “Strange Folks (The Collective)” gilt als eine der interessantesten Gruppen der letzten Jahre. Sie treten nicht nur in Israel, sondern ebenso in London auf. Hier sind Idan und Roy zu sehen und auch zu hören. http://www.myspace.com/idanrab

Hier ein Photo, das Cormac McGloin schoß. Idan ist der Langhaarige, der auf der Stiege sitzt und den Hut hinunterwirft. Roy ist der Bärtige, der unten hockt und in die Kamera lächelt.

Idan, der ältere der zweien, war vor wenigen Jahren einer jener vielen, die nach dem Militärdienst durch Indien reisen. Doch Idan paßt gar nicht in das Klischee von den allzu lauten hebräischen Rucksacktouristen. Die meisten Israelis, sagt er, würden nicht nach Indien reisen, um das Land zu besuchen und um neuen Menschen zu begegnen, sondern, um dort nur in kleinen Dörfern, in den selben billigen Hotels wieder unter Israelis zu sein. Ob das mit Rucksacktouristen anderer Länder nicht ebenso sei, frage ich. In Israel, sagt er, sei die Reise nach Indien zum Ritual geworden; zu einem Massenphänomen nach dem Militärdienst. Zu einem kollektiven Befreiungsschlag. Als würden ganze Jahrgänge an einem Ort im Ausland, ihre Maturareise und ihre Junggesellenparties im nationalen Verbund begehen. Es gehe dabei gar nicht so sehr um den Konflikt und um den Krieg. In Indien suchten sie nach der Freiheit von all den Zwängen ihrer jüdischen Verwandtschaft, der Religion, der Ideologie und des Staates.

Sie wollten einfach der paranoiden Enge des Landes entgehen, sagt mir Steve. Auch der jahrhundertealten Verfolgungsgeschichte, aber auch dem neuen blutigen Haß. Der Eingeschlossenheit. Dem Belagerungszustand. Der orientalischen Familiendichte, den jiddischen Mames, dem östlichen Clandenken. Der politischen Beklemmung. Seine Kinder waren in Indien. Sie hätten vor der Fahrt Treffen besucht, in denen ihnen erklärt worden war, wo sie hinfahren konnten, um so lange wie möglich, von Zuhause fort bleiben zu können. Und ihnen sei sogar verraten worden, wo es gescheit sei, auf ihrer Tour durch Subkontinent mit den Eltern zusammenzukommen: An jenen Plätzen, wo es zu teuer sei, alleine über die Runden zu kommen.

Ja, meint Idan, sie entfliehen der Beklommenheit Israels, der Eingesperrtheit zwischen Feindesland, der Atemnot. Sie entweichen dem Ghetto Zions, aber nur, um wieder in ein Ghetto, diesen neuen Schtetls und Kibbuzim in Indien einzukehren, sich wieder unter Ihresgleichen zu mischen. Vom Kollektiv der Heimat ins Kollektiv des Aussteigertums. Sie wüßten es eben nicht besser. Aber auch das unterscheidet die jungen Israelis nicht vollkommen von anderen Nationen, die ihre touristisch Enklaven aufsuchen, um hier endlich gemeinsam dem Gemeinschaftlichen zu entgehen. Der wohl entscheidende Unterschied ist aber, daß die Israelis über weniger Auswahl verfügen, wohin die Reise gehen kann.

Ja, er kenne Zoorie, den König von Goa, den Wirten von Anjuna, sagt mir Avi. Ich sehe Avi an einem Nachmittag bei meinem Bruder. Zoorie: Mehrmals habe ich in Anjuna sein Restaurant besucht. Zoorie: Ich interviewte ihn. Er kenne Zoorie aus jener Zeit, da er noch nicht nach Indien aufgebrochen war. Anfang der Neunziger, ehe Zoorie aufgebrochen sei, ein Hippie und ein Lokalkaiser zu werden, war er Offizier gewesen. Irgendwo habe er, sagt Avi, gelesen, Zoorie sei vor wenigen Wochen in Haft genommen worden. Ich muß dieser Nachricht nachgehen. Meine Reise ist nicht zu Ende. Noch ist sie nicht vorbei.

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One Response to Doron Rabinovici: 29. 3. 2010, Erev Pessach, Tel Aviv
  1. Clemens Berger
    May 24, 2010 | 07h38

    Lieber Doron, “Gogotänzerinnen im Petersdom” – laß Dir den Titel sichern, sonst ist er weg! Schön langsam glaube ich wirklich, daß Du gereist und nicht nur mit Deinem Laptop und einem Wäschestück auf dem Kopf an der alten Donau gesessen bist!

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