Lydia Mischkulnig: Zakopane, Limanowa, 5./6. 4. 2010 | Polnische Passage II oder Der Moralische Kater

| mitSprache unterwegs |

Zakopane und Limanowa, 6. und 5. April 2010

Bevor die Reise in Katowice geendet hat, durchnäßt der patzige Schnee von Zakopane unsere Schuhe. Die Stadt in der Hohen Tatra, an der Grenze zur Slowakei, Mitten im einst österreichischen Galizien wird von einer speziellen Holzarchitektur geprägt. Veranden gliedern die Fassaden der Villen. Schnitzwerk, Erker, dicke Balken in einer Bauweise übereinander geschichtet, so daß kein Nagel für den Zusammenhalt notwendig ist. Die Fugen dienen als Kerben für die Seile, die das Holzfleisch kompakt festzurren und gegen Wind und Wetter dichten.

Da gerade Ostern gefeiert worden war, stehen die Häuser frisch herausgeputzt in der winterlichen Landschaft. Zakopane wirkt mondän. Der Unterschied zu Cortina d’Ampezzo liegt in der schöneren polnischen Holzarchitektur. Die Fußgängerzone ist vergatscht und der Schnee ob der wärmeren Jahreszeit patziger als in Cortina. Außerdem bleibt der Schnee auf den Straßen liegen, die Hurtigkeit des Räumens existiert in Zakopane nicht. Zahlreiche Geschäfte sind bereits um 17 Uhr unbeleuchtet. Auch die Laternen bleiben ohne Strom und hin und wieder züngelt die Flamme einer Kerze im Fenster der die Straße säumenden Cafés und Restaurants. Zakopane ist ein Touristenort und entsprechend viele Besucher spazieren am Ostermontag hindurch. Verständnislos schütteln meine Begleiter den Kopf, als ich zugeben muß, daß mir die Namen der österreichischen Skispringer nicht geläufig sind, die soeben in Zakopane Goldmedaillen errungen haben. Die Schanze und das Gebiet rundherum wirken klein und improvisiert auf mich. Buden für Mitbringsel und Snacks stehen unbeleuchtet im Schnee. Noch ist es hell genug, denn auch in Polen herrscht Sommerzeit und es ist erst 17 Uhr, wenn es schon 18 Uhr ist.

Auf dem Foto sieht man meine Freundin A. und unseren Begleiter St.. Er ist Gorale. Ein Bergbewohner mit Vorfahren aus dem 16. Jh. laut Reiseführer. Die Vorfahren sollen Nomaden gewesen sein und sich in den unbewohnten Tälern der Karpaten niedergelassen haben. Eine plötzliche Begeisterung befällt mich, da ich die echten Karpaten beschreite und nicht in den Begriffen eines Geografiebuches denke. Goralen wurden im Kampf gegen Leibeigenschaft und herrschaftliche Willkür gefoltert. Rassistischer Dünkel beeindruckte die nationalsozialistischen Anthroplogen, die deren Arisch-heit nachzuweisen versuchten. Wir sind mit einem Goralen unterwegs. Ein Gorale, so heißt es, sei stark, habe gewaltige Muskelkraft, sei groß, vital, viril, aber für unseren Geschmack mit Offenheit und Sanftmut ausgestattet, ein Gentleman. Die goralischen Frauen sind durchsetzungsstark. Kinder sind erwünscht, daher haben die Familien, deren Grundbesitz, das um und auf für den Wohlstand bedeutet, mehr Nachwuchs, als üblicherweise sonst in Polen. St. spricht sehr gut deutsch, er handelt mit Immobilien. Vor zwanzig Jahren hatte er in Wien angefangen zu arbeiten. Hier, so sagt er, war ich der Boss und in Wien ein Nichts, ich habe dort auf dem Bau gearbeitet. Schwarzarbeit. Natürlich arbeiten viele aus der Umgebung als Schwarzarbeiter in Österreich, Deutschland, Irland, sonst wo. Viele schaffen es, angemeldet zu werden und Sozialleistungen zu erhalten in den Arbeitsländern.

St. tanzt Tango. Er fährt nach Krakow zur Tango-Lesson eine Stunde. Und er beeindruckt uns durch eine herumliegende Zeitung in seinem Haus. Darin finden wir den Bericht über zur Empathie unfähige Charaktere, die sich einnehmend geben und erfolgreiche Mitglieder der Gesellschaft und leider erst sehr spät als gewissenlose Kerle identifiziert werden. Profitgierige und Opportunisten aller Art zählen zu diesem Menschenschlag.

Der freundliche Gastgeber bietet uns an, jederzeit den Kühlschrank zu plündern. Er quillt über vor Kuchen, stark nach Knoblauch riechender Wurst, Weichkäse und Brie, Joghurt und so weiter. Obwohl wir auswärts essen werden, hat er für uns eingekauft. Er holt uns mit dem Auto vom Bus ab, fährt uns übers Land nach Chocholow, wo die Architektur in ihrer Osterpracht schimmert. Naturbelassenes hellfarbenes Holz, frisch mit Drahtbürsten und Hirschseife geschrubbt. Das Holz wird nicht lasiert. Die dezent sandfarben, gelbliche Farbe des Holzfleisches wirkt appetitlich wie der Dielenboden alter Bauernhäuser im Heimatmuseum bei Maria Saal in Kärnten. Auch dieser Ort Cocholow atmet museale Atmosphäre unter den noch nicht austreibenden Laubbäumen, die die Gegend sommers in ein berauschend schattige Eldorado für Pilzesammler verwandelt.

St. ist unser Reiseführer und nicht nur unserer, er ist auch ein Vorbild. Er studiert noch, obwohl als Geschäftsmann sehr erfolgreich, will Neues erfahren und besucht einen Lehrgang, um sich zum Therapeuten ausbilden zu lassen. Sein Themenschwerpunkt: Sucht, Abhängigkeit. Alkoholismus ist ein massives Problem in der polnischen Gesellschaft, vor allem in der Gegend von Stasek. Auch in Irland. Alkoholismus unter Jugendlichen ist nirgends so hoch wie in Irland und Österreich. Eine Frage der Perspektive, Arbeitslosigkeit erzeugt Hoffnungslosigkeit und Depression, daraus entsteht Komorbidität.

Wie auch in Österreich sind angehende Therapeuten verpflichtet, Praktika abzulegen und unser Gastgeber arbeitet daher in einem psychiatrischen Sanatorium für Alkoholkranke, Sex- und Drogensüchtige.

Der Kühlschrank war nicht umsonst mit dreierlei Kuchen bestückt, denn in den zwei Tagen meines Aufenthaltes in Limarnova im Privathaus, tauchte ununterbrochen Besuch auf. Freunde aus der Umgebung, die aus den Euro-Ländern für Ostern nach Hause gekommen waren. J. wirkt jung und ist doch schon Mitte vierzig. Er hat Einen sitzen, bevor ich Platz nehme. Wodka und Grapefruitsaft. Er will nicht, dass man mir übersetzt, dass er verheiratet ist und mehrere Kinder hat. Er will mich in Wien auf einen Kaffee einladen, heimlich treffen. Er ist betrunken, doch gutmütig und natürlich extra gesellig. Er betrachtet fasziniert meine Schuhe und findet das Bein sehr elegant. Für einen verheirateten, christlich geprägten katholischen Polen benimmt er sich nicht korrekt. Wir diskutieren über Sünde. Und über Absolution. Einer, ein Mann, dessen Freund in Kärnten lebt, den er einmal jährlich besucht, und von dem er aber nicht weiß, wo dieser in Kärnten wohnt, sitzt am Tisch und weint darüber, dass ihm der Priester nicht die Absolution für die Trennung von seiner Frau erteilt hat.

Als der Priester auftaucht, wird er befragt, ob das sein darf, die Absolution zu verweigern und damit psychisches Leid auszulösen. Ja, sagt der junge Mann. Priester haben das Recht zu entscheiden, was Gott vergebenswert erachtet und was nicht. Selbst der allgegenwärtig erinnerte Papst Johannes Paul II hat seinen Attentäter Mehmet Ali Agca empfangen und vergeben, wendet meine Freundin A. ein. Ihre antiklerikale Einstellung beeindruckt ihn zwar, aber er gibt sich nicht geschlagen. Das Gewissen des Priesters entscheidet, was Gott gefällig ist. Zu viel Macht für einen normalen Menschen über andere zu bestimmen.

J. leidet und St. findet, sein Leiden sei nicht ernst zunehmen. St. liegt daran, dass die Freunde nicht zu viel trinken. Sie trinken aber zu viel und Sucht durchsetzt das komplette System ihres Familienlebens. Wer als Frau mit einem Alkoholkranken lebt, benimmt sich rasch selbst wie ein Abhängiger. Unterwerfung ans System Sucht. Es liegt an den Frauen hier, dass die Männer nicht versumpfen und unter der Brücke landen, behauptet St.. Seine Haltung gegenüber Alkohol drückt sich in der Tat aus, er trinkt keinen Tropfen.

M. dagegen säuft, weil er meint, in Österreich trinke er nichts, weil er keine Freunde in Wien habe. Doch zu Hause in Limanova müsse er trinken, weil er sonst seine Kumpel verlieren würde. Der Wodka hält alle zusammen. A. entgegnet und klärt ihn auf, wir sind nicht deine Kumpel und du trinkst trotzdem.

Abends brechen wir in die Diskothek auf. Ecuador. Landdisko. Die Männer müssen ihre Unterarme freimachen und werden auf den Puls gestempelt, wie zur Markierung einer Viehherde. Mädchen und Frauen gehen frei ins Etablissement. Schreckliche Kapelle mit ermüdend dümmlichen Klängen, Erinnerung an Feuerwehrfestmusik im österreichischen Land. Wir tanzen und machen die eigene Stimmung. M. säuft weiter. Junge Männer um uns in der Überzahl. Ein Gorale nach dem anderen. Jeder trinkt Alkohol. Wir auch. Das Gespräch mit einem zwanzig Jährigen, der allein auf der Holzbank hockt und mit dem Oberkörper vor und rückwärts wippt, als gäbe er seiner Tristesse Ausdruck, widerlegt den Verdacht, dass er arbeitslos sei. Er ist Koch und hat Arbeit, also Glück wie die wenigsten hier, worauf er sich umblickt. Gegen 23 Uhr füllt sich die Gaststätte am Ortstrand im indifferenten Umland von Limarnova. Das Ecuador wird nun von Mädels mit blond bis schwarz gefärbten Haaren eingenommen. Die Stimmung ist dicht und aufrissig, die Tanzfläche ist voll. Auf der Toilette erwidern die Mädchen nicht mein Lächeln, als ich ihnen affirmierend zunicke, wie eine liebe Großtante aus Amerika, die diese Situation der Gören aus eigener Erfahrung kennt. Schminkkontrolle und die sexy Strümpfe fixieren.

Im Auto sitzt M. auf der Rückbank. Er fühlt sich elend. Er hat gesoffen und ein schlechtes Gewissen. Er wird einen Kater haben. Einen moralischen Kater, denn es tut ihm leid, dass er nun schon nach hause gefahren wird. Er wäre gern länger bei den jungen Mädchen geblieben und nicht bei seiner Frau, die er schon zwanzig Jahre kennt. Selbst als er zugibt, dass es auch erotisch sein könne, mit einem langjährigen Beziehungsteilnehmer, um nicht das abgegriffen passive Wort Partner zu verwenden, ins Bett zu gehen, fällt er doch wieder in den sentimentalischen Ton zurück, wenn seufzend ruft: Ach, die jungen Mädchen. Bevor er zu seiner Frau gebracht wird, bittet er um ein Taschentuch. Er bemüht sich vergeblich, den in die Haut gefressenen Schriftzug ECUADOR wegzureiben. Seine Frau wird ihm böse sein. Sie hat in ihm , so der angehende Psychotherapeut, ein sechstes Kind.

Dennoch ist M. ein Held. Er hat es geschafft mit seiner Familie zusammenbleiben zu können, in Wien zu leben und die Kinder in Warsowa studieren zu lassen. Seine Frau arbeitet als Putzfrau und verdient das Essen.

St., Sir in dieser Umgebung und ein freundschaftliches Idol der Rückkehrenden, vermittelt den Eindruck, dass seine Aufbaujahre in Wien viel gekostet haben. Ehe und Zugehörigkeitsgefühl sind verloren. Er wirkt fremd in seiner Gegend und stolz auf die Schätze von hier, die das wunderbare Restaurant auf dem Weg nach Zakopane, in authentischer Architektur, diskretem Schmuck der herabhängenden Osterdekoration und Eleganz im duftenden Holz und den gestickten Bordüren und Tüchern bündelt und herrlich Pilze und Schwarzbeeren in Pieroggi verspeisen. Zunge, Zähne und Lippen sind blau, als hätte ich Zyankali genommen. Die moralische Katerfrage hier lautet: was macht trotz allem unsere Gemüter schwer?

Skilift im Hintergrund

Osterlamm

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5 Responses to Lydia Mischkulnig: Zakopane, Limanowa, 5./6. 4. 2010 | Polnische Passage II oder Der Moralische Kater
  1. Sandra
    May 24, 2011 | 12h22

    Sehr schön geschrieben. Ich habe das Gefühl die Gegend nun zu kennen. Da brauche ich also nicht mehr hinzufahren:-)

  2. Lydia Mischkulnig
    June 3, 2011 | 06h40

    doch, fahren sie hin, ihr polen um zakopane herum ist die entdeckung wert.

  3. Intensivpflege
    June 6, 2011 | 14h09

    Wirklich toller Beitrag. Eine Mitarbeiterin hatte mir und meiner Familie Zakopane als absolute Chillout-Zone empfohlen. Wie schaut´s eigentlich aus, wenn man als Familie mit 3 Kindern dort runterfährt? Lohnt sich das? Danke für Eure Rückmeldung. Achja, die Bilder sind ja eher im Winter geschossen. Kannst Du diese Gegend auch im Sommer empfehlen?

  4. Lydia Mischkulnig
    June 7, 2011 | 11h31

    nein, kann leider nicht dazu Stellung nehmen, denn es handelte sich um eine literarische Erkundung im Sinne Joseph Roths und ich bereiste die Gegend von Auschwitz/Oswiecim bis Zakopane.

    empfehlenswerte literatur zum ehemaligen Galizien, MARTIN POLLACK

    ansonsten reiseführer. alles gute für die entdeckung, lydia mischkulnig

  5. Sandra
    June 7, 2011 | 12h23

    @Lydia

    Mein Statement war nur als Kompliment für den schön geschriebenen Artikel gedacht. Generell hat er natürlich schon dazu angeregt sich die Gegend mal selbst anzuschauen obwohl ich schon einige Male in Polen war.

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