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ARNO SCHMIDT IN HAMBURG
czz – Arno Schmidt , der 1914 in einer Zweizimmerwohnung im 3. Stock eines Mietshauses das Licht der Welt erblickt hatte, sollte rund vierzig Jahre später einen Solitär innerhalb der deutschen Literatur abgeben, der beispielsweise die orthodoxe Orthographie zugunsten einer eigenen phonetischen Schrift verwarf. Eine erstaunliche Audio-CD präsentiert «Arno Schmidt in Hamburg», wo der Knabe bis zum Tode des Vaters 1928 wohnte, bevor die Mutter ihre Kinder ins heimatliche Schlesien mitnahm.
Mit souveräner Sorgfalt haben die Spezialisten Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma eine feine Collage von Hamburgensia zusammengestellt – und selbige auch kongenial intoniert. Freilich ist das Hamburg Arno Schmidts abseits von Hafen und Alster nicht dasjenige der «gängijen Vorstellung»: seine Lebenswelt situierte sich im Vorort Hamm, das Quartier wirkte, so Schmidt, «mehr wie die lebmsgrosse Zeichnung eines geplant’n Viertels. Die Strassen waren meist schon fertig gepflastert (. . .); von den künftig sie säumenden Häusern, standen jedoch meist nur die EckBauten – dazwischen gähnten leere <Gründe>»; immerhin wurde diese «Öde» von Schrebergärten besiedelt, wo Vater Schmidt auf seiner Parzelle Gemüse für den kümmerlichen Familientisch zog. Oft kommt Arno Schmidt auf den Hunger seiner Kindheit zurück und auf das Frieren, wenn es wieder keine Kohle gab.
1938 konnte Schmidt seiner frisch angetrauten Alice das Geburtshaus noch zeigen, zehn Jahre später war nur ein meterhoher Schutthaufen übrig. Arno Schmidt verbat sich jedwede verklärende Nostalgie: «Wer kann schon seine Vergangenheit lob’m? – ich wenigstens nich; ich bin allzu mühsam der Dumpfheit und Armut entlauf’n.» ( page )
- Arno Schmidt in Hamburg, mit Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma – 1 CD (58 Min.) – Hoffmann und Campe 2011
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JUDITH SCHALANDKYS BIO- LOGIK
czz – Die Natur, verstanden als klare Nomenklatur, deren Phänomene nach einer logischen Taxonomie geordnet sind – so jedenfalls sieht die ältliche Biologielehrerin Inge Lohmark eine Welt, wo sich das Zusammenleben entweder nach Konkurrenz oder nach Räuber-Beute-Beziehungen organisiert, auf dass der triumphierende Genpool sich fortpflanze zur Optimierung der Spezies. Die Triftigkeit einer solchen positivistischen Bio-Logik hat selbst die deutsche «Wende» überlebt, wenn auch mit dem systemischen Fehler, dass dem vorpommerschen Hinterland die versprochenen «blühenden Wiesen» schmerzlich fehlen. Im Gegenteil ist die Auswanderung der Hoffnungsträger zu beobachten, während minder Tüchtige vor Ort bleiben, die unausweichliche Agonie vor Augen.
Das runde Dutzend pubertierender Schüler gibt wenig Grund zur Hoffnung, es würden eines Tages prächtige Schmetterlinge aus den schäbigen Kokons schlüpfen. Als engagierte Sportlerin und Biologin hat die – von der Autorin Judith Schalansky ohne Groll und Grobheit gezeichnete – Lehrkraft ihr Lebtag an die Verbesserbarkeit des Menschen geglaubt, geschehe dies nun durch Aufklärung oder durch Disziplin und Training.
Minuziös hält die bestens aufgestellte Sprecherin Dagmar Menzel in Schwebe, wie die kaum zu Sentimentalitäten neigende Inge Lohmark nicht nur mit der floralen und sozialen Herbststimmung der Gegend konfrontiert ist, sondern darüber hinaus mit dem ungünstigen Herbstzeitlos ihres eigenen Alters. Das reichlich ausgestreute biologische Wissen kommt nicht nur dem – wie es im Untertitel treffend heisst – «Bildungsroman» zugute, sondern auch der zartbitteren Komik von Plot und Perspektive. ( page )
- Dagmar Menzel liest Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe, Bildungsroman- 4 CD (298 Min.) – NDR | DAV 2011
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ARNO CAMENISCH : DORF IM TAKT
czz – Sehr abgezirkelt muss eine Welt anmuten, wie sie sich am Vorderrhein in der obersten Surselva darstellt. Dass das Leben der 41 Einwohner nebst 13 Katzen und 6 Hunden in 25 Häusern, 8 «Heustalls» und insgesamt 16 «Kühlschranks» mannigfaltige Möglichkeiten zum Ausleben jener Knabenträume bietet, die die Erwachsenen als «Seich machen» denunzieren, erweist ein herrlicher Text des Graubündner Schriftstellers Arno Camenisch .
Das Dorfleben aus der Perspektive eines Buben im Vorschulalter könnte zwischen Wald und Stall, mütterlicher Küche und Stammtisch im Gasthaus «Helvezia», das die Tante mithilfe des «tat» und der «tatta» betreibt, abenteuerlicher nicht sein; Stoff dafür leihen einerseits die markanten Figuren, welche jeweils eine Aura von Geschichten umgibt; anderseits sind es die dörflichen Rituale im Wochen- und Jahreskreis, die das Erleben prägen: Seien dies die sonntäglichen Fussballspiele (wer nicht in der Messe war, muss mit der Ersatzbank vorliebnehmen), die Jagdzeit oder die hurtigen Skiabfahrten im Winter. Darüber legen sich die Zirkel von Leben und Vergehen, wie die Geburt neuer «Kinkelis», das Einschläfern des greisen Hundes per Hirschgewehr und das Ableben des «tat», des Grossvaters.
Weniger beschreibend denn in einem permanenten Jetzt protokollierend hält sich Camenisch strikt an die kindliche Perspektive, welche das Vorgefundene als absolut ansieht und allenfalls versucht, die rätselhafte Welt der Erwachsenen auszutricksen. In einer sehr organisch wirkenden, aus Deutsch, Alemannisch, Italienisch und Romantsch (Surselvisch) zusammengesetzten Kunstsprache intoniert Arno Camenisch diskret rhythmisierte Episoden, hält dazwischen eineinhalb Takte inne, um in grösstmöglicher Lakonie mit einer weiteren Begebenheit fortzufahren. Nie wurde mit derartig polyfonem Sprachwitz und in so vexierender Intonation vom Dorfleben gehandelt. ( page )
- Arno Camenisch spricht: Hinter dem Bahnhof – 2 CD (139 Min.) – Der gesunde Menschenversand 2011
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KLANGAPPARAT
Vier Jahre nach dem letzten release “perlen” auf tonAtom kehrt Andreas “Mr.Mizati” Groll zurück . Er bringt eine Retrospektive auf genau diese vier Jahre , denn er war nicht untätig , ganz im Gegenteil: Die neue ep “ydna” erweist zwischen “füsse baumeln” und “krachen lassen” des Regensburgers Vielseitigkeit . Und dazwischen liegen : “verspielt” und “verspult” , analog und digital , erdig und elegant . Elektronik und Computer, Gitarre, Piano und Saxophon .
mizati – a – 04:58
mizati – bus station ( live jam ) – 07:13
mizati – raum-zeit-sax – 06:23
mizati – studio – 07:10
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