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Salon Littéraire | Dieter Sperl :
DIARY SAMPLES VII
DIARY SAMPLES ist eine Ansammlung von Tagebuchaufzeichnungen; Gedankensplitter aus verschiedenen Begegnungen, Lektüren, werden nebeneinander gestellt, Zitate und Aphorismen mischen sich ein, Impulse, Wünsche, Ideen, Anregungen, Träume, Assoziationen und Intuitionen, sie schwingen miteinander, greifen sich an oder fordern sich wechselseitig heraus, schaukeln sich hoch, um vielleicht im nächsten Moment abzustürzen. Man kann auch bloß einzelne Teile befragen, sich darin vertiefen oder in nachlässigen, von Zufall bestimmten Lesebewegungen nach vorne und zurück switchen, oder mag versuchen, die semantischen Standorte der Einzelstücke, ihre diesbezüglichen Bewegungsmöglichkeiten und Wirkungsgrade in einem selbst auszukundschaften, um möglicherweise damit die Flugbahnen der eigenen Existenz variieren zu können.
Du setzt dich solange fort, bis du keine Ankunfts- & Abfahrtszeiten mehr zu lernen hast.
Ein Bild, welches ich immer wieder vor meinem Inneren Auge sehe: Ich stehe vor dem Haus, in dem ich aufwuchs. Genauer gesagt, vor einem Iglo, das wir Kinder gerne gebaut haben. Dicke Schneeflocken fallen langsam vom Himmel, und die Stille, in die ich versunken war, ist grenzenlos. Auch die Sterne rücken ins Bild.
Nur manchmal Schritte unter den Pelzstiefeln.
Gestern verstand ich, dass es sich dabei um ein geistiges Bild gehandelt hat.
Menschen, die in ihren Wohnungen herumgehen, Lichter, die an- und ausgehen; manchmal sehe ich mich an der Hand meines Vaters, vor dem Haus, in dem ich aufwuchs. Aus dem Wohnzimmerfenster sieht die Mutter zu uns heraus. Schneeflocken kommen dicht und sehr langsam vom Himmel herunter. Es herrscht eine unglaubliche Stille. Nur hin und wieder wird sie von den Schritten, die wir machen, durchbrochen. In dieser endlosen Stille hört man vereinzeltes Kinderlachen. Es gibt kein Davor und kein Danach. Es ist da, als ob es meins wäre, zugleich aber auch nicht. Ich betrachte meine kleinen Hände, die ich ausstrecke, diese winzigen Finger, auf welcher die Schneeflocken landen. Als ob es sonst nichts auf der Welt gäbe, diese weite Verlorenheit und unendliche Geborgenheit.
Wer da?
Wer da?
Ekstase Freude Stille Unschuld Schönheit Liebe Klarheit
“Materie gibt es nur als Tendenz.” (Bruce H. Lipton)
“Ich muss jetzt das Zimmer zusammenkehren, damit die Arbeit nicht ausgeht.”
Eine blasse, etwa zwanzigjährige Frau mit langen blonden Haaren, üppigen Brüsten und einer Kalligraphie auf der Stirn, deren Sinn ich nicht verstand, erregte sich, weil ich den auf ihren Schultern hockenden Vogel (Nebelkrähe) irrtümlich angezündet hatte, während wir langsam in einer Gondel einen Berg hinauffuhren.
“Ein Meister durchkreuzt alle Erwartungen”, sagt O.
Du lebtest einmal in einem Mantel, lebtest in deinen langen nassen Haaren, an den “Exzessen des Augenblicks” (wenn überhaupt!).
for a few moments at the endless surface of being particles of consciousness shifting there is no goodbye & no journey no surface at all
“Gewonnene Zweikämpfe im Niemandsland persönlicher Auseinandersetzungen…”
Wahre Geschichten ändern sich nie, sagt M.
Sie träumte davon, ein Mann zu sein, und er träumte von einer Frau, die ein Mann war, und visierte ihr Geschlecht an, das er unter ihrer Bikinihose als Penis auszumachen beabsichtigte.
Stefan Zweig, der am 22. Februar 1942 gemeinsam mit seiner Frau im Brasilianischen Exil eine Überdosis Veronal einnahm, schrieb in seinem Abschiedsbrief, dass die Welt seiner eigenen Sprache untergegangen sei und die geistige Heimat Europa sich selbst vernichte. Als ich diese Sätze las, spürte ich Tränen aufsteigen.
Du musst die Energie eines Ereignisses treffen, wenn du darüber schreiben willst.
Unter dem Kalte Rinne Viadukt im Adlitzgraben (Semmeringgebiet) notierte ich die Berufsvorstellung: Aussichtswärter – birds of humbug kidding my soul…
Schwindel und Größe fallen zusammen.
A: Was unterrichtest du?
B: Nur, was ich nicht weiß.
DRIVING = MIND FEEDING
…ich glaube, immer beobachtet zu haben, dass der sogenannte realistische Mensch in der Welt unzugänglich dasteht, wie eine Ringmauer aus Zement und Beton, und der sogenannte romantische wie ein offener Garten, in dem die Wahrheit nach Belieben ein und aus geht… (Joseph Roth)
With The Eyes Of Los Angeles
Wahre Selbstoffenbarung hat niemals etwas Geschmackloses an sich, weil die Sonne der Transparenz sämtliche egoistischen Züge (welche vornehmlich unsere Anwesenheit auszubreiten gedenken) verbrennt.
In Österreich wurden im Jahre 2009 bei Krankenständen allein durch psychische Leiden zweieinhalb Millionen Fehltage (sic!) verursacht.
Vielen von uns ist es gelungen, sich im Leben völlig zu verrennen.
Alles hinterfragen, was man geworden ist.
Wanderungen durch uralte Bücher, tief in die Gebräuche unserer Völker vordringen, sich auf eine Reise begeben, tritt ein in den Kreis uralter Vorstellungen, folge dem Gott der heißen Sommertage, der die Berge und Ebenen durchstreift, singe die Lieder der Vorfahren, der Bäume, der Wälder, Wiesen und Täler, etwas weiter, noch etwas weiter, dann fallen auch die letzten Träume dem Schneefall zum Opfer.
Wäsche waschen.
Licht holen.
Ich trinke aus Trägheit und Langeweile.
Die Sprache / dreht sich / mit dir / alle Welten / ohne dich / immer schon
“Ich ruf dich schon wieder an, obwohl ich gar nichts zu sagen habe, – aber dafür bist du ja da.”
Wenn Freunde etwas über ihn erzählten, glaubte der Schriftsteller anwesend zu sein in deren Geschichten: Gesichtszüge, die mit dem nächsten Windstoß bereits wieder verschwunden waren.
Tiefe Zuneigung dem Leben gegenüber.
“Du wirst durch das Auftreten attraktiver Gesichter wiederbelebt.”
Du wolltest stets davonlaufen, wenn sich dein Wesen aufspannte – durchdrungen von euphorischer Grenzenlosigkeit.
Nach welchen Regeln erfolgen eigentlich unsere Gedankenwanderungen?
Was bedeutet es, wenn ein neuer Gedanke in dir zum Erblühen kommt?
Was sagte es über dich aus?
Und was über den Gedanken?
Dass die Bedingungen gegeben sein mussten, damit er sich manifestieren konnte, wie es der aus Zentralvietnam kommende Mönch, Autor und Friedensaktivist Thich Nhat Hanh Thich Nhat Hanh höchstwahrscheinlich so formuliert hätte?
M. und ich sitzen im Pinecrest Diner – San Frans favorite breakfast since 1969 und schauen uns, während wir frühstücken, das Fußballspiel Hoffenheim gegen Schalke 04 an. Beide essen wir Speck mit Spiegelei, dazu Toastbrotscheiben im September 2010.
Der Schneehänge teilhaftig zu werden in meinem Inneren.
Irgendwann bemerkte der Schriftsteller, dass die Geschichten, die er erzählte, lange schon nicht mehr von ihm handelten.
Auf einen Sprung zur Erlösung; stets einen Sprung davon entfernt.
Die Lust wandert mit dem Augenblick.
Dann sah der Schriftsteller seine Frau auf ihn zukommen, konnte sich jedoch nicht an sie erinnern, so schön war sie, die voller Überraschungen funkelte, während er am Küchentisch saß und schrieb.
Es gibt Menschen, die etwas darstellen, und Menschen, die richtungslos geworden sind.
Wenn ich heute trinke, ist das, als ob ein alter Bekannter auf einen Sprung vorbei kommt, um mir Hallo zu sagen.
Begegnungen folgen keinen Lehrplänen.
Die Gesellschaft zwingt dich dazu, Geschichten zu erzählen, um kontrollierbar zu bleiben. Eine wirkliche Geschichte jedoch ist niemals kontrollierbar.
Es gab eine Zeit, in der die Menschen alles taten, um ihre in alle Richtungen überstrapazierten Geschichten (die längst jeden Grund verloren hatten) anzubringen, und ausgefallene Neigungen differenzierten das Menschsein.
Aufregung liegt in der Luft.
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Dieter Sperl ( Bio – Bibliographie )
Bisher auf in|ad|ae|qu|at :
- DIARY SAMPLES
- DIARY SAMPLES II
- DIARY SAMPLES III
- DIARY SANPLES IV
- DIARY SAMPLES V
- DIARY SAMPLES VI
- Hitze oder Regen
- FACEMISSION mit Grafiken von Gerhard Kepplinger
- Postkarte 01
- Postkarte 02
- Postkarte 03
- Postkarte 04
- Postkarte 05
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Hinweis
Am Dienstag stellt Dieter Sperl sein eben erschienenes Buch “Von hier aus . Diary Samples” ( Ritter 2012 ) im Wiener Literaturhaus vor : Paul Pechmann , Lektor beim Ritter Verlag , leitet ein , Dieter Sperl liest zu Bildprojektionen sowie zu Sounds von Michael Fischer .
Zusammen mit dem Soundmanager und Instant Composer Michael Fischer stellt Dieter Sperl sein neues Buch vor: Herausgelöst aus der Ordnung datierter Journaleinträge organisieren sich Sperls Bewusstseins- und Traumprotokolle im Eigensinn der in ihnen wirksamen poetischen Kräfte, was auch heißt: nach Kompositionsprinzipien, die jegliche Form gängiger Hierarchisierung überschreiten. Eine durch Aphorismen, Ideen, Maximen, Kurzerzählungen und (oft nur einen Satz langen) Gedankensplitter vagabundierende Lektüre vermag überraschende Synergien zwischen dem scheinbar Unvereinbaren herzustellen und den Geist beweglicher zu machen, um – wie Sperl es ausdrückt – die „Flugbahnen der eigenen Existenz“ variieren zu können.
- Buchpräsentation Dieter Sperl: “Von hier aus . Diary Samples“ – Literaturhaus Wien – Dienstag , 6. 3. 2012 , 19 H
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