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Salon Littéraire | Leopold Federmair :
Tokyo Fragmente 1
Bitte um eine Gabe. Auch Naturalien willkommen
Letzte Woche war ich einen Tag in der Hauptstadt und hatte Zeit, ein bißchen herumzuflanieren. Es erstaunt mich jedesmal wieder, wie vielfältig diese Stadt ist. Mit so vielen Vierteln, die einen eigenen Charakter haben, stille Ecken und ungeheure Menschenansammlungen, in die Landschaft hineingeschnittene Plateaus mit Wohntürmen und schicken Geschäften obendrauf und blitzenden Rolltreppen und Außenaufzügen, dazwischen Bäume, von der ursprünglichen Landschaft her bewahrt, oder das Hafengebiet, wo man plötzlich Meerluft riecht, oder die alten schmuddeligen Vergnügungsviertel, die vielen Tempelanlagen, zu denen immer ein paar große, sorgfältig gepflegte Bäume gehören, mittags sieht man Büroangestellte dort ihr Bento essen, dann auch die weite freie Fläche des Yoyogi-Parks, und so weiter und so weiter. Barackenartige Siedlungen, wahrscheinlich aus der Nachkriegszeit, Tokyo wurde ja zweimal zerstört, beim Erdbeben 1923 und dann in den vierziger Jahren durch amerikanische Bomben, und das 46 Stockwerke hohe neue Rathaus, wo man mit einem Schnelllift rauffahren und Kaffee trinken kann und alles unter sich hat. Übernachtet habe ich in einem auf den ersten Blick unauffälligen Stadtteil namens Musashikoyama (ein Wort, das ich mir früher nicht und nicht gemerkt hätte) in einem ganz normalen Hotel, um 30 Euro ca. (von wegen Tokyo ist so teuer), in der Nähe von weitläufigen überdachten Einkaufszonen und vielen kleinen Kneipen.
Dort hab ich mich in ein Geschäft hineinspülen lassen mit lauter europäischen Importwaren, unglaublich eng, zweistöckig, schmale Gänge, wo sich die Einkäufer aneinander vorbeidrängten, Waren aus Polen und Ungarn zum Beispiel, alle möglichen Biersorten, Leffe und Negra Modelo, billiges Zeug und teures. Und ein paar Schritte weiter dann ein Café, das Cake & Coffee anpreist, man kommt zuerst in einen Flur mit Steinboden, hier sieht es eher nach einem Lager oder einer kleinen Fabrik aus, so daß ich gefragt habe, ob auch wirklich geöffnet ist, natürlich war geöffnet, und dann geht es weit nach hinten, drei Räume auf einer Achse, durch Gänge miteinander verbunden, die Einrichtung Jahrzehnte alt, ein wenig verschlissen, nicht zu sehr. Neben mir saßen zwei Mütter mit Kleinkindern, die in einem fort Zigaretten pafften, und mir gegenüber eine recht hübsche Frau, die mich verstohlen anschaute (oder ich sie?) und dann plötzlich mit bösem Blick, der niemandem galt (oder ihr selbst?) aufstand und wegging, und dann kamen Scharen von Schülern und Schülerinnen in den üblichen Uniformen rein: die eine Gruppe bestellte einen ungeheuren Pokal von – ich weiß nicht was, Eis wird es nicht gewesen sein, oben war ein barocker Turm von Schlagobers mit Erdbeersoßefäden, ein einziger Pokal für alle, den die Kellnerin in die Tischmitte stellte, dazu ein Haufen Löffel, und die zweite Gruppe, nur Mädchen, aßen Spaghetti, jede mir einer anderen Soße, und gaben nach japanischer Sitte einander zu kosten.
Später dann, bevor ich zum Tango-Tanzen in ein Lokal mit dem Namen Café y Libros gegangen bin (wo ich zu meiner freudigen Überraschung die roten Bände von Juan José Arreola fand, die mir schon seit Tagen durch den Kopf gegangen waren), saß ich noch eine Weile in einem St-Marc-Café, eine der Kaffeehausketten, die in Japan in den Neunzigern aufgeblüht sind, und ich trabte mit meinem Kaffee in den ersten Stock hinauf und wurde von einer Stille umhüllt, welche die zirka dreißig Gäste produzierten – etwas, das es wahrscheinlich nur in einer japanischen Großstadt geben kann, eine solche Stille, hier vom diskreten Soft-Bepob aus den Lautsprechern unterstrichen. Dreißig Leute, einige waren zu zweit gekommen, andere saßen an der Fensterfront aufgereiht und schauten hinaus auf die abendliche Kreuzung bei der U-Bahnstation Meguro, einige lasen, andere drückten auf ihren Handys herum, wieder andere arbeiteten, einer schlief mit verschränkten Armen, und erst nach gut zehn Minuten hörte ich die erste Stimme, fast flüsternd… nicht direkt flüsternd, aber so, daß sie sich der Stille anpaßte. Da habe ich ein paar Seiten Tanizaki gelesen, Sasameyuki, Bruine de neige auf französisch, in der Ausgabe der Pléiade, ein wunderbarer, langsamer, unspektaktulärer Roman, das Genji-Monogatari des 20. Jahrhunderts, in Osaka spielend und manchmal die alte Konkurrenz zwischen der Kansai-Gegend und Tokyo hervorhebend, auch sprachlich, aber das geht aus der Übersetzung nicht hervor.
Ein bißchen Pazifik
Genau ein Jahr ist es her, daß ich das letzte Mal in Tokyo war. Auch damals saß ich im Obergeschoß dieses Cafés hier in Meguro, einem recht normalen Stadtteil, dessen Anziehungspunkt, wie in den meisten Vierteln, der Bahnhof ist, wo sich mehrere Linien kreuzen. An jenem Tag im Dezember 2010 war ich gebannt von der Stille, die im vollbesetzten Raum herrschte, eine Art gelassener Intensität, die vielleicht das Wesen dieser Stadt spiegelte. Diesmal ist es ähnlich, auch wenn leise Klaviermusik über den Köpfen schwebt, Chopin, denke ich zuerst, aber es ist doch wieder Jazz, Bebop, später setzen Baß und Schlagzeug ein. Paare von Freundinnen, die vergangenen Tage, das vergangene Jahr besprechend. Junge Leute mit Büchern, Heften, Computern. Und natürlich ein Schläfer, Mann in Anzug und Krawatte, Stoppelfrisur, angedeuteter Irokesenschnitt, der in seiner Firma wohl gerade noch durchgehen wird. Im leeren Kaffeeglas vor ihm schmelzen ein paar Eiswürfel vor sich hin, langsam bildet sich eine whiskyfarbene Lache. Im Ohr des Mannes ein Tonstöpsel, von dem ein knallrotes Kabel herabhängt wie ein Blutfaden, auf seinen reglosen Schenkeln die Aktentasche: Ist er tot? Wie um die Idee zu widerlegen, geht ein Ruck durch ihn, der Mann steht auf, trägt das Tablett mit dem Glas weg… Zuletzt verschwindet die Aktentasche aus meiner Bildfläche.
Vor dem Meguro-Bahnhof (Ekimaebiru)
Ich schreibe das in ein kleines hellblaues Campus-Notizheft, das ich heute um halb sechs Uhr früh in einem Konbini in Hiroshima gekauft habe, weil ich mein angebrauchtes Büchlein vergessen hatte. Wirklich convenient, benri, praktisch dieses System kleiner Geschäfte, das die Japaner wie so viele Dinge von Amerika (US) übernommen und den eigenen Gewohnheiten angepaßt haben. Gestern Abend war ich ganz in der Nähe von dem Lawson bei einer Jahresschlußfeier in einem Restaurant, wo siebzigjährige Frauen im Kimono servieren. Eine von ihnen fiel dabei, weil zwischen den Rücken der Sitzenden fast kein Durchlaß war, auf meinen Schoß und verschüttete ein Kännchen Sake. Sie tat, als wäre es ihr peinlich, blieb jedoch eine ganze Weile sitzen, und wir lachten beide. In seiner Ansprache zeigte sich unser Chef mit dem vergangenen, “so schwierigen und harten Jahr” alles in allem dennoch zufrieden.
Vor dem Meguro-Bahnhof, andere Blickrichtung
Der Flug war ruhig, normal. Im Yomiuri las ich den Leserbrief einer Frau, die sich beklagte, daß der Verlobte ihrer dreißigjährigen Tochter nach zehn Jahren nun eine andere heiraten werde. Ein Rechtsanwalt riet ihr in seiner Antwort, eine Entschädigungszahlung anzustreben. Ich erinnerte mich an einen Text über die allgemeine Erniedrigung des Liebeslebens in Japan, den ich kurz vor der Katastrophe in Tohoku geschrieben hatte und den seit dem 11. März kein Redakteur mehr annehmen will, weil das Thema jetzt angeblich indezent ist. Dabei haben sich die Probleme des Landes am 11. März nicht geändert, nur zugespitzt. In Tohoku gibt es derzeit einen Arbeitskräftemangel, der den Wiederaufbau behindert. Zu wenig junge Leute, zuviel Sicherheitsdenken. Zu wenig Liebe, zu wenig Spaß.
Als wir schon im Sinkflug waren, bin ich zu einer Luke gegangen, um einen Blick nach unten zu werfen. Eine Stewardeß sagte, der Fujisan sei auf der anderen Seite. Daß ein Passagier etwas anderes sehen will als den heiligen Berg, ist offenbar nicht üblich, ja nicht einmal vorstellbar: Japaner sehen nur das, was “berühmt” ist. Alle sehen nur das, was berühmt ist. Ich und Meinesgleichen – gibt es sie denn? – sind eine winzige Minderheit, die Wahrnehmungselite. Wirklich erhaschte ich noch einen Blick auf den Fujisan, den das Flugzeug bereits hinter sich ließ; gleich würde er aus dem Blickfeld verschwinden. Die Stewardeß war zufrieden, ich war zufrieden. Schneeweiß und strahlend, aber klein aus dieser Entfernung, gar nicht majestätisch, erhob sich die Vulkanpyramide aus dem Morgendunst.
Einmal bin ich von Tokyo nach Hiroshima geflogen, an einem Sturmtag, als bis kurz vor dem Start nicht feststand, ob wir fliegen würden oder nicht. Es war eine sehr kleine Maschine, höchstens zwanzig Passagiere, ein Streichholz in den Lüften, so sehe ich es in meiner Vorstellung. Achtzig Minuten lang rumpelte dieses Ding, und ich hatte schon kurz nach dem Abheben das Gefühl: Jetzt geht es abwärts… Dieses Gefühl verließ mich nicht, bis ich erstaunt zur Kenntnis nahm, daß wir gelandet waren. Ähnlich war das, was ich in Hiroshima, 800 Kilometer (Luftlinie) von Fukushima entfernt, in der Nacht des 11. März und während der Folgetage empfand. Ich stemmte mich dieser Empfindung entgegen und versuchte, mein Herz zu beruhigen, was eher die gegenteilige Wirkung hatte, und sagte mir vor, daß dieses Land nicht versinken werde. Das Absturzgefühl hielt eine ganze Weile an. Was ich in jenen Tagen auf den Internetseiten der europäischen Zeitungen las, ärgerte mich und bestärkte meinen inneren Kampf gegen die Angst. Die Schreiber, ob “Journalisten” oder “Poster”, frönten dem Sensationsbedürfnis und der Horrorlust, in sicherem Abstand in Übersee, vor ihren Monitoren, wo sie den Schauder der Katastrophenbilder genossen.
Daß mich die Leute, das Personal auf Flughäfen, Bahnhöfen usw., meistens japanisch ansprichen, schmeichelt mir nicht, es ist darauf zurückzuführen, daß meine Verhaltensweisen, meine Schritte, die Mimik, die Art meiner Fragen “japanisch” sind, den hiesigen Gepflogenheiten angepaßt. Mein Gegenüber nimmt an, daß ich die Sprache gut verstehe, verwendet schwieriges keigo und spricht schnell, so daß ich fast nichts verstehe, ja: ich verstehe immer noch wenig von dieser Sprache. Ich kann einigermaßen Sätze bilden, aber lesen kann ich nicht und hören, verstehen auch nicht besonders viel. Es gibt Augenblicke, da hasse ich mich für meine japanische Angepaßtheit. Was bist du nur für ein schleimiger Bückling! Was für ein falscher Fuffziger! Was für ein glänzender Hohlkopf!
Schleimig / glücklich
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Heute nachmittag habe ich Zeit gefunden, durch den Park des Meiji-Schreins zu flanieren. Ich verließ die U-Bahnstation Yoyogi und ging aufs Geratewohl eine schmale Straße hinunter auf den Baumhorizont zu, der da und dort auftauchte, wo die Häuser niedriger waren. Kein einziges Auto parkte in dieser Straße – anders wäre es nicht möglich, dieses Netz von Gäßchen trotz Großstadtverkehr zu erhalten, die Fahrzeuge würden einfach nicht durchkommen. In Europa wäre das ganz unmöglich, denn erstens gibt es keine Parkverbote, das Auto ist wichtiger als der Mensch, und zweitens würde sich niemand daran halten, es gäbe tausend gute und schlechte Gründe, daß der und der und dieser und jener und schließlich alle anderen doch hier parken müssen. Eine unbewohntes Barackenhaus, japanische Nachkriegsarchitektur, eine rostige, luftige Eisentreppe, die zu den Obergeschoßen hochführt, sie erinnert mich an die Wendeltreppe an der Hinterseite des Gasthauses meines Vaters zur Dachterrasse, die zusammen mit Bar und Musikbox in der österreichischen Nachkriegszeit beliebt war. Neben der Terrasse, hier in Yoyogi, standen Getränkeautomaten, und auf einer der Stufen ein Marmeladeglas voller Zigarettenstummel, und ein paar Stufen weiter oben ein zweites Glas mit gelben Blumen, schon ein bißchen welk. Wessen Treffpunkt war das hier? Liebespaare? (Die Blumen.) Pachinkospieler? (Die meisten von ihnen sind Raucher.) Sandler? (Aber die wären jetzt hier.) Ich weiß nicht, warum mir der Welser Tiergarten mit seinen schönen hohen Bäumen und bescheidenen Gehegen (Pfaue, Ziegen, ein paar Affen) am Rand eines Messegeländes einfiel, durch den ich mit meiner Tochter oft spaziert bin; vielleicht wegen der Kleinheit, der Genügsamkeit dieser Orte, die neben Fortschritt und Betriebsamkeit vor sich hin existieren.
Meiji-Jingu. Der große Wald in der Stadt
Am Ende der Straße stand ich plötzlich unter einer schalldichten Hochautobahn, aus dem Park gegenüber drangen Krähenschreie, und meine Füße waren von einem Teppich aus gelben Ginkgoblättern umgeben (Ichonokiblätter: nie werde ich dieses blöde Wort, Gingko, schlucken). Ein paar Schritte weiter ein Feuermuseum, ein Holzgebäude, als wollte das Museum selbst die Gefahr, die es dokumentierte, herausfordern. “Von der Edo-Zeit bis heute.”
Es war noch nicht spät, halb vier, doch im hohen Gewölbe unter dem Laubdach der Hauptallee, die zum großen Schrein führte, herrschte ein seltsamer Dämmer, nur ganz oben sah man vereinzelt Sonnenflecken, man hörte die Rufe der Krähen, die dort ihre Macht ausüben, lauter werdend und verstummend, gemeinschaftlich oder gegeneinander… Ich ging in ein ziemlich großes Toilettenhaus mit niedrig hängenden Pissoirs, der Beckenboden in der Höhe meiner Knie, daneben zwei weitere Pissoirs, noch niedriger, für Kinder. Das Oberlicht unter dem Dach war das Tympanon dieses Klotempels, in der Dreiecksöffnung glaubte man die Bäume wogen zu sehen. Es stank nach Urin, die Anlage war alt, aus der Zeit der Kleinwüchsigkeit, doch die Klomuschel in der Kabine war “modern”, der Brillenrand warm, beheizt. In einer Ecke der Kabine befand sich ein doppelstöckiges hölzernes Dreieckstischchen, oder eher: ein Regal: Ablage für Klolektüren?
Im Hauptgebäude des Schreins zog von Säule zu Säule eine Schar Schwarzgekleideter in vollkommenstem Schweigen vorüber; die Stille wurde dann und wann vom dumpfen Schlag einer Riesentrommel unterbrochen. Zwischen den beiden Kusu-Bäumen im Hof war ein Seil aus armdicken Litzen gespannt, an dem weiße Papierstreifen hingen. Ob die Donnerschläge die Welt über den Wipfeln berühren? Mehrere Krähengeschwader, die neben- und übereinander flogen. Auch der Luftraum war aufgefächert, die Falten, die vom Boden über meine Schultern und weiter über die Torbalken, die Dächer, die Äste und Blattwerke aufstiegen, nahmen kein Ende. Von einer Brücke fiel mein Blick auf einen Bach, der zwischen bemoosten Felsbrocken dahinfließt, und nicht allzu fern hörte ich das Kreischen von Bremsen, das Brausen eines sich entfernenden Zugs und eine weibliche Lautsprecherstimme. Als das Stadtgetöse verstummte, kehrte das Bachgeplätscher zurück (in mein Ohr), so unbeirrbar wie der Wasserlauf selbst. Beim Verlassen des Parks wehten mir Schwaden warmer Luft entgegen; den freien Raum und die Wohnblöcke am Horizont nahm ich als “das Übliche” wahr, aber auch in der Lichtung dämmerte es jetzt, obwohl der Abend noch fern war. Auf der Brücke saßen vier Hari-Krishna-Anhänger, wenigstens ein Europäer war unter ihnen; ihr Gebimmel wirkte lächerlich vor der Heiligkeit, aus der ich gerade kam. In der Raucherecke neben der Straßenkreuzung sog auch das gotische oder eher barocke Mädchen – Dreiviertelhose, Rüschenbluse, toupiertes Blondhaar -, das im Naturgewölbe eine blasse Blume abgegeben hatte, an ihrer Zigarette.
Harajuku, Shoppingviertel, Jugendkultur. Jungsein ist Einkaufen, oder? Kultur ist Kleidung, Kleidung ist Verkleidung, Accessoir, Schminke, Haare toupieren. Kein einziger älterer Mensch in dem Käuferstrom zwischen Weihnachtslichtern (Weihnachten ist Einkaufen?), weit mächtiger und dauerhafter als das pseudonatürliche Bächlein im Park. Ich bin der Älteste in der Menge, das fällt mir erst jetzt ein, wo ich in mein wasserblaues Campus-Heft schreibe, ich fühle mich nicht alt, es gibt Zeiten, da fahre ich auf den Rolltreppen von Etage zu Etage, aber die Jungkäufer dort, sehen sie mich nicht als Eindringling? Internationale Namen, internationale Geschäfte, Sale, Gap, Louis, Püppchen, überall auf der Welt kriegt man alles, wer will schon erwachsen sein. In einem Schaufenster hielt eine nicht mehr ganz so junge Frau im Ruderleibchen (über dem Sweater) die Arme und den Blick erhoben: sie schaute empor wie Christus am Kreuze und stand so eine ganze Weile, bis endlich die Jalousie herunterkam, weil sie unauffällig an einer Schnur drehte, vielleicht extra so langsam, damit ich oder wer auch immer sie sah.
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Boys and girls in Harajuku
Tokyo hat sich in diesem einen Jahr nicht verändert. Unwillkürlich habe ich nach Rissen an Wänden Ausschau gehalten, nach Bruchflächen, irgendwelchen Spuren von Zerstörung. Nichts. Dabei muß das Beben auch in der Hauptstadt schrecklich gewesen sein. Möglich, daß Japaner in Gefahrensituationen vernünftiger reagieren, aber Angst verspüren sie wie die Menschen überall. Ende November gab es in Hiroshima ein Beben, Stärke fünf auf der Richterskala. Meine Frau und ihre Mutter wurden nicht müde zu wiederholen, wie sehr sie erschrocken seien. Vor fünfzehn Jahren hatten sie beide in Kansai das Beben erlebt, bei dem in Kobe tausende Menschen umkamen. Ich selbst, auf meine Schreibtischarbeit konzentriert, hatte von der jüngsten Erschütterung nicht viel bemerkt, es schien mir eines der kleineren, wie sie oft vorkommen. Mein erstes richtiges Erdbeben habe ich in Sizilien erlebt, wahrscheinlich war es nicht viel stärker als dieses. In dem alten Haus, in dem ich damals wohnte, verschoben sich die Wände, die Anrainer versuchten, mit ihren Autos zu fliehen, und erzeugten einen nächtlichen Verkehrsstau, und am nächsten Morgen sah ich, wie der Engel, der auf einem der Vorsprünge der kleinen Barockkirche in meiner Straße über uns gewacht hatte, mit zerbrochenen Flügeln auf der Straße lag.
Schräg gegenüber von meinem Tisch, hier im Café in Meguro, schreibt eine junge Frau, Studentin vermutlich, mit der linken Hand in ein Heft, und von Zeit zu Zeit, nein, ziemlich häufig, schaut sie auf das Buch, das rechts von ihr liegt, und zwischendurch in den Raum, zu mir her, und bemüht sich, zu verbergen, daß ihr Blick mich – und den dort und das dort… – sucht. Die Hand schreibt unterdessen weiter, als führte sie ein eigenes Leben, wie die Krähen über dem Wald, chinesische Zeichen, Strich für Strich ohne das geringste Zögern gesetzt, wie ist es möglich, frage ich, der ich nie die Geduld, den Sinn, die Ergebenheit zum Erlernen dieser Schreibtechnik aufgebracht habe, wie ist es möglich, daß sich die Striche nicht verwirren, verirren, aus dem Heft hinauslaufen? Ist es möglich, daß das Gehirn des Mädchens ihrer Hand folgt, statt umgekehrt?
Am Tisch neben dem Mädchen sitzt ein Mann mit einem Gesicht wie Fernandel, der Schauspieler, den ich in meiner Kindheit als Don Camillo kennengelernt habe, zwei tiefe Schrägfurchen ziehen sich durch dieses Gesicht, die Lippen sind zwei Wülste, die gewölbten Brauen machen den Blick traurig oder, je nach Beleuchtung, belämmert (entschuldige, lieber Fernandel!), die Wangen sind abgesunken und zusammengeballt, die Ohren stehen ab und die lange Nase endet in einem dicken Knollen. Ein ganz unjapanisches Gesicht, und doch japanisch; keine Ahnung, inwiefern. Vielleicht nur durch die Selbstverständlichkeit, mit der der Mann hier ist, ab und zu das Gewicht verlagert, mit dem Finger auf die Unterlippe tippt. Ich glaube ihn sprechen zu hören, aber in Wirklichkeit sagt diese Sätze ein grauhaariger Alter zwei Tische neben mir zu seinem Freund: “Meine schönste Zeit, das war in… (Yamagawa oder Yamazawa, ich verstehe nicht genau), dort habe ich drei Monate in einer kleinen Pension gelebt, und später, als die Urlauber kamen, hat mir der Bonze ein kleines Zimmer im Tempel überlassen, das Zimmer war vollkommen leer und kalt, aber ruhig. Drei Monate habe ich nur gelesen, vor meinen Knien das Lesepult, vor dem Schiebefenster der Wald, neben mir zwei oder drei Bücher und manchmal eine Tasse Tee, den mir die Frau des Bonzen brachte…” Das also, denke ich, war deine schönste Zeit, und wenn ich euch recht verstehe, dann ist sie unwiederbringlich vorbei.
Die Sonne von Meguro
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Auf dem Rückflug, vom Schlaf und von Schläfern umringt. Die Nacht war schrecklich, das Hotelzimmer zwar geräumig, ein Doppelzimmer aus den siebziger Jahren, ein bißchen schmuddelig, aber viel Kunststoff wie in allen diesen Businesshotels, irgendwann werden sämtliche Einrichtungen, wird die Welt, werden auch die Tempel und Schreine und Parks aus Kunststoff gemacht sein, Holzimitat und Blattimitat und Steinimitat. Das Schlimmste waren, wie sich herausstellte, die Fenster, zwei große Fenster, doch leider, sie ließen sich nicht öffnen. Diese Fenster reichten mir bis zu den Knien, und allein die Vorstellung, eins von beiden zu öffnen, machte mich schwindelig, hier oben im elften Stock. Ich konnte nicht schlafen, stand auf, trank Wasser, versuchte noch einmal, ein Fenster zu öffnen, schaltete die Klimaanlage ein, es wurde heißer, schaltete aus. Um zwei Uhr früh fuhr ich im Lift hinunter, durchquerte mit über den Bund hängendem Hemd das riesige Foyer und veranlaßte den Portier, mit einem Schlüssel in mein Zimmer zu kommen und das Fenster zu öffnen. “Es ist gefährlich”, sagte er. Vorsichtig näherte ich mich dem spaltweit geöffneten Fenster, atmete während zehn, fünfzehn Minuten die mehr oder minder natürliche, nachtkühle Luft ein, sah die große Baulücke unter mir und die Hochhauswand gegenüber, legte mich wieder hin. Um vier Uhr stand ich auf, um das Frühflugzeug nicht zu versäumen.
Frühstück in einem Udon-Laden: winziger Raumkeil in einem Hochhaus gegenüber der Bahnstation; Stehlokal, vom Vordach herabhängende, zeichenbeschriebene Tücher. Der Mann hinter der Theke wirkt wie ein Enka-Sänger, das glänzende Schwarzhaar in einer Welle nach hinten frisiert, Goldkettchen am Hals; rauhe, brüchige Stimme, er arbeite nur frühmorgens und spätnachts hier, sagt er zu einem anderen Kunden, die anderen wollen tagsüber arbeiten, für ihn bleibt nur die Nacht.
In der Yamanote-Linie wieder einmal ein lesender Sandler (gegen fünf Uhr früh!), Mann mit Kapuze, graue Strähnen im Gesicht, schmutzigweiße Turnschuhe, so steht er zeichenschlürfend und rotzaufziehend im Waggon, als hätte er kein Recht, in dem ziemlich leeren Waggon zu sitzen. Trägt eine Brille mit sehr dünnem Gestell, Lesebrille, auf der Nasenspitze weit vor den Augen, in der Armbeuge hängt ein McDonald’s-Säckchen. Vielleicht ist er doch ein Arbeiter? Nein, kein Arbeiter, die sind alle uniformiert, außerdem erscheinen sie morgens frisch rasiert an ihrer Arbeitsstelle, auch die Pensionisten, die Handlanger, die Blätterkehrer…
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Ein Foto für Gesù Bambino
Mit Tokyo hat das nichts zu tun, aber da ich nun mal heute schreibe, am 1. März, wie soll ich es nicht erwähnen: Lucio Dalla ist gestorben. Herzinfarkt. Achtundsechzig ist er geworden. Dank Youtube (danke!) habe ich mir ein paar Videoclips angeschaut, darunter Caruso, weder Kommerzscheiß noch kükünstlerisch, sondern aufklärerisch, illuminista, man sieht Lucio singen und sieht Enrico singen und erfährt allerhand, sieht alte Aufnahmen, Fotos, von Neapel, Sorrento, das Meer, die Oper, sieht den dick gewordenen Tenor und seine Frau und sein Kind, Gloria, te voglio bene assai, ma tanto tanto bene, sai… Wie soll ich nicht weinen, Lucio Dalla ist gerade gestorben, Enrico Caruso vor bald hundert Jahren, als seine Tochter zwei Jahre alt war; meine Tochter ist fünf und kommt nächstes Jahr in die Schule in diesem Scheißland, wo sie die Kinder jeden Tag bis tief in den Nachmittag festnageln und dann zu Hause wieder festnageln, und ich, der ich mindestens so alt werden will wie Lucio, mitsamt meinem vermaledeiten Herzen, vielleicht sogar ein paar Jahre älter als Lucio, wenn das möglich wäre, bitte, bis Mayuko zwanzig ist, sagen wir, oder fünfundzwanzig, wer will schon sterben… Lucio hat genug geleistet: das habe ich schon vor Jahren gedacht, als ich ihn das letzte Mal im Fernsehen sah, ich glaube, beim Festival in San Remo, da saß ich in dieser Wohnung in Venedig und dachte, Mann – so sagt Mayuko immer: Mann o Mann! -, was für eine Kraft, was für eine Macht, che forza che potenza, dabei ist er schon halb hinüber, schon damals war er halb hinüber, ein winziger Dattergreis mit Schmerbauch und dünnen Beinchen und verfaulten Zähnen, aber wenn er sich hinters Klavier setzte oder auch nur den Mund auftat: Was für eine Macht was für eine Sicherheit, die Macht von uns Machtlosen, die wir die Macht der Mächtigen immer gehaßt haben und uns ein bißchen geschämt haben, wenn uns selbst einmal eine zugeflogen ist. Oder, Lucio, che ne dici?
Na ja, laß es gut sein, hör auf zu weinen, hab schon aufgehört. Jetzt nütze ich die Gelegenheit und lasse mich den ganzen Tag von diesem italienischen Internetradio beschallen, mit Lucios Liedern natürlich, was sonst. Non essere così seria, rimani… I russi gli americani, no lacrime, non fermarti fino a domani. Sei nicht so ernst, bleib doch… Die Russen die Amerikaner, keine Tränen, mach weiter bis morgen. Mit dem Zählen der Wellen des Meeres, oder?
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Showten, tagsüber geschlossen. Nachts kann
man hier Oden und Dagashi essen.
Soll ich irgendeine Brücke schlagen? Die Welt ist ja voller Brücken, überall, unsichtbar, man muß nur ein bißchen die Augen aufmachen, zeigen sie sich, die Traversen und Transversen. Musik zum Beispiel, Yumi Arai, die ich in dieser winzigen Bar gehört habe, Yumi Arai, gut zehn Jahre nach Lucio Dalla geboren, fern von Bologna, nah von Tokyo, gehört sie trotzdem zur selben Musikzeit, showa, nicht wahr, bei ihren ersten Auftritten war sie ein halbes Kind, in den späten sechziger Jahren, showa, Lucio, verdad? Na ja, showa, das sind mehr als sechzig Jahre, mein Freund, aber für uns ist das die Zeit vor 1989, soweit wir halt zurückdenken, zurückfühlen können, die Achtziger, wie man in Europa sagt, die Siebziger, die Sechziger… Vor 89 war alles, na ja, besser, ich weiß nicht, jedenfalls anders, da fühlen wir uns noch immer zu Hause, auch Yoshiyuki, der 1984 geboren wurde. Yoshiyuki legt die Platten auf, alle aus der Showa-Zeit, versteht sich, also mindestens, laß mich nachrechnen, dreiundzwanzig Jahre alt, die meisten davon Vinyl, auf einem alten Denon-Plattenspieler, der wie neu aussieht. Yoshiyuki schaukelt den Laden, wie man sagt, und ein bißchen schaukelt er wirklich, dieser Laden, oder schwebt: nimm die Metapher, die dir gefällt, eine Luftblase in der trübkalten Heisei-Zeit. Winzigklein, der Laden, und groß genug. Gezählte sechs Barhocker, davor die Theke, dahinter die Wand. Wenn acht Leute da sind, und fast die ganze Nacht sind es sieben oder acht Leute, kreuzt Yoshiyuki die Unterarme, sobald draußen jemand das Gesicht vor den Fensterrahmen hält, zum Zeichen, daß hier keiner mehr rein darf, das Boot ist voll, wir wollen es nicht überfüllen. Yoshiyuki erzählt mir von seinem vierjährigen Sohn, heute war Theateraufführung im Kindergarten, der Kleine auf der Bühne, Yoshiyuki zeigt mir das Foto auf seinem Handy, mi venivano le lacrime, warum kommt mir der Satz nur auf italienisch, wegen Lucio natürlich, und warum rühren uns gestandene Männer (oder?) unsere Kinder zu Tränen? Namida ga desouni narimashita, so ungefähr hat er gesagt. Oder namida ga dete kimashita. Egal. Heute hat Yoshiyuki wenig geschlafen, wegen dem Kindertheater. Seine Kneipe – das Boot, die Luftblase… – sperrt er um 19 Uhr auf, vorher Vorbereitungen, Einkäufe, Reinigung, dann läuft die Show bis 5 Uhr früh, jeden Tag außer Montag, im Morgengrauen zirka fährt er nach Hause, weckt seinen Sohn, macht das Frühstück, seine Frau arbeitet untertags, Yoshiyuki bringt den Kleinen in den Kindergarten, die Frau holt ihn abends ab. Ein hartes Leben, ja, aber Yoshiyuki mag es, auf dem Plakat hinter ihm, das ihn mit schwarz gerahmten Brillen (wie Buddy Holly?) zeigt, steht 2012 freedom tour, was eigentlich nur heißen kann, daß das ganze Jahr Freiheit herrschen wird. Es stehen da auch englisch-japanische, lettristisch angehauchte Wortspiele wie show-ten (= Verkaufsladen), oh!den (etwas zum Essen, unübersetzbar), da!gashi (Kindersüßigkeiten), watch out mad creative. Show-ten könnte gleich drei Bedeutungen haben: 1. Laden, 2. Showkneipe, 3. Showa-Kneipe. Und wenn dagashi versprochen werden, dann hält die Theke das Versprechen, indem sie jede Menge Kinderknabber- und -lutschzeug anbietet, von dem man für 300 Yen soviel essen kann, wie man will. Nostalgie in einem Lokal, das mir gar nicht so nostalgisch vorkommt: Showa ist stärker, aktueller, zukunftsträchtiger als Heisei. Die Vergangenheit überholt die Gegenwart. Versprochen: Wer durch die schmale Tür hier schreitet, wird wieder Kind. Eure Kindheit ist stärker als die tägliche Zehn- bis Fünfzehnstundenstupidität. Einer der Gäste sagt, ich könnte Yoshiyukis Vater sein. Seltsame Idee, denkt Yoshiyuki, dann rechnet er nach: Stimmt, sein Vater ist genauso alt wie ich.
Im Fuji-Montessori-Kindergarten
Der Mann, der die seltsame Idee hatte, ist fünfundvierzig; letzten Endes spielen diese Zahlen gar keine Rolle, wir gehen uns ohnehin über die Grenzen hinweg. Auch er hat ein Kind, eine Tochter, zehn Jahre alt, aber er sieht sie nie, hat sie schon Jahre nicht mehr gesehen; will sie sehen, in ein paar Jahren, wenn sie selbst entscheiden kann, das wird ein Freudentag! Wie ergeben er sein Schicksal hinnimmt, mein Nebenmann. Er muckt nicht. Die Ex-Frau ist nach Kanagawa übersiedelt, die äußeren Vororte von Tokyo sind weiter weg als, sagen wir, Kyoto. Irgendwie sieht er smart aus, finde ich, in seinem Anzug mit der schmalen Krawatte, dem Adamsapfel und der schwungvollen Frisur, die ein wenig an James Dean und Konsorten erinnert, falls dir das etwas sagt, mein Freund. Er beklagt sich über die Arbeit, nein, beklagt sich nicht, die Arbeit ist eben hart und die Firmen tun alles, um sie so lang und hart zu halten wie nur möglich, auch wenn nichts rauskommt bei dieser Arbeit, sinnlose Aktivität, Arbeit hat längst keinen Inhalt mehr, ist pure Form, ein Formalismus, der sich über fast das ganze Leben stülpt. Das Restleben findet in der Showa-Zeit statt, im shoten. System engineer, da hab ich was verpaßt, eine “Entwicklung” verpaßt, irgendwas mit Computer, oder? Ich frage ihn nicht, tue so, als wüßte ich bescheid, weil heutzutage jedermann bescheid weiß, wenn ein Wort wie systems engineer fällt. Heute hat er fünfzehn Stunden am Stück gearbeitet (“am Stück”, so sagen die Deutschen, das paßt hier aber, oder?) und auch am Samstag arbeitet er, nur am Sonntag hat er frei, Zeit zum Schlafen. So wird er weitermachen, noch ein paar Jahre, bis seine Tochter endlich selbständig entscheidet, daß sie ihn sehen will, denn schließlich will jeder junge Mensch über seine Wurzeln bescheid wissen, und er, der Systemingenieur, klammert sich an seinen Austrieb. In dem Roman von Ryu Murakami, den ich gerade übersetze, empfiehlt ein halbwüchsiger, zu selbständigen Entscheidungen halbwegs fähiger Sohn seinem Vater, der seine Frau durch eine Krankheit verloren hat, doch endlich wieder zu heiraten. Hin und wieder trifft der Vater in einer Kneipe einen Freund, da reden sie dann über das Leben in der Showa-Zeit. Einmal räsoniert er über das japanische Wirtschaftswunder, der Hunger und die Knappheit nach dem Krieg waren rasch überwunden,
die Japaner haben sich ordentlich ins Zeug gelegt. Aber wofür? Um Reichtum zu scheffeln? Von wahrem Reichtum ist nicht viel zu merken. Die Leute haben nicht genug Wohnraum, die Landschaft ist überall verschandelt, die Züge sind am Morgen dermaßen vollgestopft, wie es bei Tiertransporten verboten ist, weil die Tiere krepieren würden.
Ist es wirklich so schlimm? Naja… Es gibt das show-ten.
Das ist Tokyo (hinten das Meer, vielleicht)
Am nächsten Abend begrüßte mich Yoshiyuki mit der Bemerkung: “Heute so früh?” Es war gerade 23 Uhr, normalerweise schlafe ich um diese Zeit, und wenn das show-ten schließt, sitze ich meistens schon am Schreibtisch. Ich gehe gleichzeitig mit meiner Tochter ins Bett, wir schlafen nebeneinander. In einem Roman von Raoul Schrott, den ich neulich gelesen habe, wird suggeriert, Väter, die sowas machen, seien potentielle Kinderschänder. Phantasien des Autors… Oder muß ich mir Sorgen machen? Tatsache ist, daß Mayuko nicht in einem anderen Zimmer schlafen will. Um 23 Uhr sind noch zwei Plätze in Yoshiyukis Luftblase frei. Nach einer Weile betritt eine Frau den Laden, kurz darauf eine zweite. Ich komme mit der zweiten ins Gespräch, die sich links von mir gesetzt hat. Sie heißt Keiko, wird um die dreißig sein und hat früher Kunst studiert. Das heißt nicht, daß sie Künstlerin ist, in Japan studieren alle irgend etwas, aber nur selten hat das Fach, das sie studieren, etwas mit ihrer späteren Arbeit zu tun, von der meistens nicht anzugeben ist, worin sie eigentlich besteht. Deshalb frage ich Keiko auch nicht, sie eben ist in einer Firma beschäftigt, sitzt in einem Büro, telephoniert, kocht Tee, schreibt Protokolle, egal was. Vom Studium ist ihr das Interesse für Kunst geblieben, die Kunst ist vom Studienfach zum Hobby – ich weiß nicht, ob man sagen kann: abgestiegen, vielleicht eher: aufgestiegen. Bei einem Hobby ist es wichtig ist, Vorlieben zu haben, zum Beispiel für Egon Schiele. Wahrscheinlich eine Konzession an meine österreichische Herkunft, denke ich, während Keiko das verrutschte Schultertuch hochzieht. Sie wählt ihre Worte, liebkost sie zwischen den Lippen, bevor sie sie losläßt. So entsteht ein langsamer Rhythmus, das kommt mir zupaß, ich verstehe fast alles, nein, nicht alles, aber einiges doch, und habe Zeit, das Spiel der Lippen, der Zunge, der Wangen zu beobachten.
Auf ihre Frage nach meinen Lieblingsmalern fällt mir keine Antwort ein, ich kann überhaupt nie auf diese suki-kirai-Fragen antworten, dieses facebookmäßige Daumen rauf, Daumen runter, nicht einmal, wenn es um Fußball geht, ich interessiere mich für Rapid genauso (wenig) wie für die Austria, für Boca genauso (wenig) wie für River, nur beim Baseball habe ich eine eindeutige Vorliebe: Hanshin Tigers, aber auch nur, weil ich von diesem Sport nichts verstehe. Nein, über Sport habe ich mit Keiko nicht geredet, dafür über Literatur, und da bin ich wirklich hellhörig geworden, weil ihre Vorliebe so entschieden war und ich sie, obwohl ich, wenn es um Literatur geht, am allerwenigsten mit dem Daumen zu fuchteln pflege, teile: Sasameyuki. Tatsächlich. Einer der besten Romane der Weltliteratur. “Wenn ich Tanizaki lese, laufen mir Schauder über den Rücken”, sagt Keiko, und ich verstehe genau, was sie meint: etwas, wovon die Universitätsleute, die akademischen Schafsköpfe, keine Ahnung haben, worauf es aber letzten Endes ankommt: die Art, wie man die Lektüre erlebt, mit den Geschichten und jenseits der Geschichten, die man vielleicht eines Tages vergessen haben wird, aber die Erinnerung an das Gefühl, an die Schauder, an Atmosphären, Töne und Farben, diese Erinnerung bleibt, weil sie sich nicht nur in die Gehirnmaterie, sondern in den ganzen Körper eingegraben hat.
Wieder mal Quitten (Kindergartenfoto)
Ähnlich gehe es ihr bei Osamu Dazai, sagt Keiko und wartet auf meine Reaktion, aber Dazai kenne ich fast gar nicht, ich nehme mir vor, ihn zu lesen, habe das ohnehin schon längst vor. So ergeben sich meine Lektüren, au fil des rencontres, ohne Plan, so soll es sein, amen. Ich weiß, Keiko, Dazai hat sich zusammen mit seiner Geliebten das Leben genommen, sie haben sich in einen Hochwasserfluß irgendwo hier in der Nähe gestürzt. Aber das soll kein Argument sein.
“Heute bin ich seit sechs unterwegs, und die ganze Zeit habe ich getrunken”, sage ich, um meinen bevorstehenden Rückzug anzudeuten, und Keiko antwortete: “Ich auch.” Noch eine Gemeinsamkeit. Sie trinkt Chuhai, meiner Erinnerung zufolge ein süßliches Studentinnengetränk, aber Keiko sagt: “Süß nicht unbedingt, hat aber wenig Alkohol, der Vorteil ist, daß man stundenlang davon trinken kann.” Sie ließ mich an ihrem Glas nippen, und ich gab ihr recht, schmeckt wie Soda-Zitrone, direkt erfrischend. Als ich mich eine Stunde später dann wirklich auf den Weg in das Businesshotel machte, das ich diesmal dem pseudoluxuriösen Hotel in Meguro vorgezogen habe, zum Glück, denn in dem kleinen Zimmer läßt sich das Fenster ohne weiteres öffnen, und überhaupt, die räumlichen Proportionen sowie die Normalmenschlichkeit des Personals scheinen mir angemessener, gab sie mir die Hand und ließ sie mit einem Anflug von Pathos aus der meinen gleiten, als ich mich zur Tür hin bewegte, und als ich von dort einen Blick zurück warf auf Yoshiyuki, der sich gerade dem Plattenspieler zuwandte, und auf Keiko, da lag auf ihrem Gesicht etwas wie ein frohgemutes Bedauern, das ich wiederum teilen konnte, denn ich weiß, daß ich mich nicht auf ein – Klischeewort, es paßt – Abenteuer einlassen würde, anders als der angebliche Durchschnittsmann, von dem in dem Roman von Ryu Murakami die Rede ist, den ich gerade übersetze und den ich durchaus verstehe, den Mann, auch den Roman (glaube ich), ganz fremd ist er mir nicht, dieser Jedermann.
Jeder Mann denkt hin und wieder, daß er durch den Tod seiner Frau endlich frei wäre. Manch einer zählt die Tage an den Fingern ab, die noch bleiben, bis sie zusammen mit den Kindern für einige Zeit zu den Eltern fährt. Ist sie dann wirklich weg, tun die meisten von ihnen gar nichts. Sie sind sich die ganze Zeit nicht bewußt, wie sehr sie auf ihre Frau angewiesen sind; fehlt diese Stütze mit einem Mal, fassen sie nicht den Mut, sich auf einen Seitensprung einzulassen.
“Wann kommst du wieder?”, ruft Yoshiyuki hinter mir her. “Nächstes Jahr?” Es ist Februar, und daß man in langen Zeiträumen rechnet, ist hier üblich. Wer einmal Freund ist, bleibt es, auch wenn man ihn nur dreimal im Leben sieht.
*
Geschäftig im Regen
Musashikoyama ist nur zwei U-Bahnstationen von Meguro entfernt, aber ich bin die Strecke noch nie zu Fuß gegangen. Noch etwas, das ich mir vornehme. Nicht für heute, denn es regnet und wird nicht so bald aufhören. Ein Lesetag, ein Freiheitstag, dank dem Regen und den Leuten, mit denen ich nichts zu tun habe, so daß sie die notwendige Umgebung für mein verantwortungsloses Dasein bieten. Im Café setze ich mich diesmal an die Fensterfront, zur Abwechslung, denke ich, um hinauszuschauen. Die Tischlinie mit den Hockern vor dem Fenster ist geschwungen, ein langgezogenes S, dem auch das Fensterglas folgt (oder umgekehrt). Rechts sitzt man in einer Art Erker, einem Vorbau, links hat man eher das Gefühl, bei den Leuten herinnen zu sein. Ich wähle den Platz genau in der Mitte, so kann ich seitlich nach hinten in den Raum schielen, auf die Leute, wenn ich Lust habe, und nach vorn auf die Straße, die Häuserkuben, die Regenschirme, den glänzenden Asphalt, die Autos, die entschlossen in die zweite, die dritte, die vierte Fahrbahn einbiegen, auf die Wartenden an der Bushaltestelle, den Bierführer, der nahe der Kreuzung die Kisten aus dem abgestellten Lastwagen holt, ein noch junger Mann, der als einziger keinen Schirm dabei hat, wahrscheinlich nur, weil es ihm seine Arbeit nicht erlaubt, einen zu verwenden. Ein Japaner geht nicht ohne Schirm in den Regen, auch wenn es nur ein paar Tropfen sind, auch wenn er eine Mütze hat, auch wenn er guter Dinge ist; ein Japaner, entschuldigt die Verallgemeinerung, liebt diese Art von Kontakt mit der Natur nicht (während ein Argentinier männlichen Geschlechts Schirme lächerlich findet: Ich bin doch nicht aus Zucker, habe ich einmal versuchshalber zu einem Japaner im Regen gesagt; eine halbe Stunde hat es gedauert, bis ich ihm verständlich gemacht hatte, was ich mit dem Satz sagen wollte). Schräg hinter mir, ja, da sitzt, als ich dann doch einmal schiele, eine alte Frau mit dauergewelltem weißen Haar mit grauen Strähnen, die zufrieden vor sich hinlächelt. Sie erinnert mich an die Frau, die ich in einem anderen Café dieser Kette einmal traf, eine Überlebende des Atomangriffs auf Hiroshima, die Gemeinsamkeit zwischen den beiden: Das lange Leben, das schreckliche Erlebnis und seine Folgen hatten sie nicht verbittert, sondern besänftigt, und man hatte das Gefühl, wenn man mit ihr sprach oder sie auch nur ansah, daß sie mit jedem Wort, jedem Atemzug noch an Sanftheit gewann. Ich warte, bis sie ihr Lächeln zu mir herübergenickt hat, dann wende ich mich wieder den Kuben zu, diesen Würfeln und Türmen, die so glatt aussehen, glatt sind, geradlinig und glattflächig, fünfzehn, zwanzig Stockwerke, Türme von mittlerer Höhe, unten ein Konbini, dieselbe Ästhetik: proper & praktisch & das-Leben-ein-Schein, an jeder Kreuzung zwei Konbinis, langsam tröpfeln die Angestellten ins Café und essen ein Sandwich, trinken einen Kaffee mit Eiswürfeln, zwei Hocker neben mir setzt sich eine Frau, stellt das Tablett ab, zieht automatisch den Fensterschirm runter, der alles, was draußen ist, zu Schemen macht, ein Fensterschirm wie in den Vorortzügen, damit uns die Sonne nicht belästigt, aber heute ist doch ein Regentag, die Sonne scheint nicht, also will die Frau einfach nichts sehen, sie zieht den trüben Schirm der Bewegung von Autos Menschen Regenschirmen Bildschirmen Wolken Tropfen Ampelfarben vor. Sie würde auch mit einer Wand vorliebnehmen, würde die Wand anstarren, tatsächlich gibt es solche Wände in vielen Cafés, einmal war ich der einzige Gast in einem, bis dann doch einer kam, ein Mann, der setzte sich nicht auf einen der vielen freien Plätze, sondern auf einen der Stühle vor der Wand, die ihn einlud, sie anzustarren, was er tat, bis er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, und noch eine gute Weile länger. Wenn sie starren, die Leute, sind sie bei sich, statt draußen.
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Dichte Urbanität in der Nekropolis
Als ich Udon aß in dem winzigen Raumkeil an der Meguro-Bahnstation, regnete es noch, und ich besah von der Seite her, weil die vorderen Stehplätze besetzt – genaurer gesagt: bestanden – waren, die Handgriffe des Mannes, der bei meinem letzten Besuch hier behauptet hatte, er würde nur nachts arbeiten. Die Udon- und Soba-Portionen waren vorbereitet, auch die paar Zutaten, die darüber hinaus angeboten wurden, Ebi-Tempura, Schnittlauch, Kitsune-Schnitten, alles sorgsam geordnet. Und als ich gochisousamadeshita gesagt hatte und zwei der vom Vordach herabhängenden Tücher auseinanderschob, regnete es nicht mehr, dafür glänzten die Pfützen und nassen Flächen umso intensiver. Auf der anderen Seite der Yamanote-Bahntrasse, die ein Stockwerk tiefer von der U-Bahn gekreuzt wird, herrscht eine große Dichte von meist schon etwas älteren Gebäuden, die sich manchmal bis auf eine Armlänge aneinanderdrängen. Und dann stehst du plötzlich vor einem Leerraum im immobilen Gedränge, keine Baulücke hinter dem Pseudobambuszaun, nein, sondern Gräber, darüber nichts, nur Luft und Himmel, die jetzt kahlen Zweige von Laubbäumen, die Nadelschwingen einiger Kiefern, denn wo ein Friedhof ist, ist auch ein Schrein, und wo ein Schrein ist, ist ein buddhistischer Tempel in der Nähe – der Buddhismus ist zuständig für Tod und Jenseits, der Shintoismus für das Leben, Heirat, Kinder, Ernte… Große Pfützen auf der gestampften Fläche, einer Art Hof zwischen dem Schrein und dem Haus, in dem der Priester oder Schreinwächter mit seiner Familie wohnt. Ein Junge grüßt mich wie einen Onkel, unsere Schritte von Steinplatte zu Steinplatte, die Schiebetür des Holzhauses geht auf, ehe der Junge sie berührt, ein weißhaariger Frauenkopf erscheint, der Körper im Dunkel, fast wäre ich ebenfalls durch die Tür gegangen, als gehörte ich dazu. Das Frauengesicht lächelt mich an, nimmt dann aber den Jungen zu sich, unter ihre Fittiche, sie trägt tatsächlich einen leichten Kimono mit tief herabhängenden Ärmeln.
Von Steinplatte zu Steinplatte… zu den Arbeitsgeräten
Die Dichte lockert sich jenseits der Stadtautobahn, die auf Stelzen hier die Hauswände entlangstreicht, dort in einem Tunnel verschwindet. Ein Park, ein botanischer Garten, Tokyo hat viele Grünflächen, manche überraschend weitläufig, anders als in Osaka, wo die Shinto-Schreine Mühe haben, ein paar Naturflecken gegen die große Walze der Stadt zu verteidigen. Zufällig komme ich am Matsuoka-Museum vorbei: Nie gehört, wer ist das, Seijiro Matsuoka? Man erfährt es gleich am Eingang, da steht eine mächtige Statue von einem entschlossen und selbstbewußt wirkenden kahlköpfigen Herrn mit Doppelkinn und über der Anzugweste, ungefähr dort, wo das Herz sein müßte, verschränkten Händen: Seijiro Matsuoka, 1894 geboren, Kaufmann, Immobilienmakler, Besitzer einiger Bürohäuser, 1989 gestorben, bei seinem Tod erschien sogar ein Artikel in der New York Times über ihn. Ich glaube, er war einer der reichsten Männer Japans. Seinen Reichtum hat er genützt, um eine Sammlung europäischer und asiatischer Kunst zusammenzukaufen. Diesen Charakter eines west-östlichen Mathafs merkt man den Räumlichkeiten an, sobald man einen Fuß hineingesetzt hat. Im Foyer empfängt mich Penelope, als hätte sie jahrzehntelang auf mich gewartet. Eine massige Frau mit kräftigen Armen, den linken Ellbogen auf den rechten Unterarm gestützt; tagsüber die Hauswirtschaft besorgend, ist sie an den langen Abenden zur Denkerin geworden. Mit ausladendem Bauch steht sie in der Mitte des Ovals des Fußbodenmusters, und hinter ihr leuchtet der Tag, glänzt der Boden, schimmert der Travertin-Stein, leuchtet das Kuppeloval, und vielleicht will hier jemand etwas sagen, der Raum will etwas sagen, die von Odysseus Verlassene ist gar nicht seine Frau, sondern seine Mutter, und zu ihr kehrt er zurück, kehrst du zurück, in die west-östliche Geborgenheit, die dich jegliche Geographie und die zugehörigen Entdeckungen vergessen läßt.
Ein leicht befremdeter Zeus
Natürlich ist alles falsch, schließlich sind wir in Japan, das ganze Museum – das ganze Land? – ein einziges, gewolltes Imitat, nur der Tag, also der Garten draußen, ist halbwegs Natur, arrangierte Natur, Travertin und Marmor in Wahrheit Kunststoff, nur die Statuen selbst sind eine Art Natur, obwohl sie nichts anderes sollen, als zeigen, was die Menschenhand, das Menschenhirn wollte (und auch, was es nicht wollte). Vor der Glasfront, die auf den Garten geht, stehen seitlich Aphrodite und Zeus, diese zwei, aus denen, wenn man so will, alles kommt, während du und du und du aus Penelope kommst. Aphrodite ist nur noch ein Torso, seit Jahrhunderten ein Torso, und doch ahnt man, was sie darüber hinaus einmal war. Seit Rilke dieses schöne Gedicht über eine Apoll-Statue geschrieben hat, weiß man, welche Fülle an möglicher Bedeutung von der Leere, der annähernd auf nichts reduzierten Gestalt, ausgehen kann. Zeus aber, noch ganz bei sich, für immer bei sich, forever himself, schielt auf den Garten mit den Steinlaternen und den stolzierenden Kranichen im winterlichen Gezweig. Ein bißchen befremdet von seinem Aufenthaltsort wirkt er immer noch, unser Gott. Wo und wann hat ihn Herr Matsuoka gekauft? Zu Beginn meines Besuchs habe ich nicht auf die Eingangsdaten der Kunstwerke geachtet, und seiner gemeißelten Lebensgeschichte zufolge hat der Kaufmann früh begonnen, sich für Kunst zu interessieren, doch beim Rundgang durch sein Museum ist mir aufgefallen, daß das meiste in den fetten achtziger Jahren, als er selbst über achtzig war, in seine Sammlung gekommen sein dürfte. Die Immobilienpreise stiegen ins Astronomische, und was sollte ein alter Mann mit all dem Geld anfangen, während sich betuchte Hausfrauen in Seidenkleidchen ungeniert auf den Podesten der Nobeldiskotheken räkelten, als könnten sie einer Aphrodite jemals das Wasser reichen. Längst vorbei, diese Zeiten, die ich nur vom Hörensagen kenne. Das Ende von Showa im Vulgärglamour. Die westöstlichen Kunstwerke sind, ihrer Bestimmung gemäß, geblieben, und so kann ich auf meinem Rundgang in den hintersten Winkel vordringen, wo eine goldene altägyptische Statue aus dem Dunkel schimmert, auf ewige Zeiten hierher verbannt, besser als in eine ewig lichtlose Pyramide, oder nicht? Und im Nebenraum eine Skulptur, die entfernt an eine Geige erinnert, ein “Violinen-Idol”, wie auf dem Schildchen steht, 3200-2700 vor Christi Geburt, aus Griechenland, oder Sizilien, ich weiß es nicht mehr. Wer am Mittelmeer um das Jahr 3000 wohl Geige spielte?
Altägyptische Statue, im hintersten Winkel des Matsuoka-Museums sitzend
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La vida es breve: Leopold Federmair, in Wels geboren, in Sattledt aufgewachsen, in Kremsmünster zur Schule gegangen, in Salzburg studiert, lebt nach Aufenthalten in Reims, Paris, Catania, Szeged, Wien, Mexiko-Stadt, Buenos Aires, Nagoya und Osaka heute in Hiroshima. Autor und Übersetzer, veröffentlichte zuletzt den Essayband Buenos Aires, Wort und Fleisch, den Roman Erinnerung an das, was wir nicht waren und den unklassifizierbaren Scherbenhügel. Im Herbst 2012 erscheinen der Erzählband Die Ufer des Flusses (Verlag Otto Müller) und Die Apfelbäume von Chaville – Annäherungen an Peter Handke (Jung und Jung, August 2012). Leopold Federmair ist diesjahr Kandidat für den Bachmannpreis ( Tage der deutschsprachigen Literatur Klagenfurt 2012 ).
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Leopold Federmair ( Bio – Bibliographie )
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