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DISCLAIMER
Wie mittlerweile zu wissen ist , sind neue Bücher für in|ad|ae|qu|at keine schieren Objekte der “Rezension” . Anders als in Echtwelt- Zusammenhängen erlauben wir uns , Autoren und Texte hier und im Jenseits der Institutionen einen Ort einzuräumen , an welchem wohl ein sympathetisches Klima herrscht , nicht aber das übliche Vokabular der Wertung . Wir zitieren den Text ausführlich mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors .
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SCHUH IN DER “ZEIT”
In der ZEIT ( Ausgabe 52 / 2012 ) schreibt Franz Schuh in seiner “Taschenbuch”- Rubrik :
[ … ] Im Literaturbetrieb herrschen Fleiß und Industrie und ein bisschen Inspiration, aber so wenig, dass jede Werbeagentur damit zusperren müsste. Die Reklame, die der Betrieb unaufhörlich für seine Produkte macht, ist fast schon so langweilig wie die Produkte selbst. Aber warum sollte ausgerechnet meine Arbeitswelt amüsanter sein als die der meisten Menschen?
Immerhin hatte ich ein schönes Erlebnis im Literaturbetrieb. Das war, als sich ein bedeutender deutscher Lyriker einer Polemik ausgesetzt fand und er diesen Skandal mit den Worten kommentierte: Diese Polemik hat entweder ein Trottel geschrieben oder ein Österreicher! Schön daran war, dass der bedeutende Mann die Chance demonstrativ nicht genützt hat, den Trottel mit dem Österreicher prinzipiell zu verknüpfen.
Aber dass überhaupt “der Österreicher” ins Spiel kam, hat eine spezifische Ursache: In Österreich gibt es stärker als anderswo noch Restbestände von avantgardistischem Gewissen, zum Beispiel in Form skeptischer Vorbehalte gegen “das Erzählen”, mit dem der Literaturbetrieb sein Publikum bedient. Solche Vorbehalte gibt es auch gegen hochtrabende Lyrik, die das Dichten remythologisiert.
Gewiss gibt es selbst in Österreich den Verdacht, dass der Avantgardeanspruch von heute nur aus der stupiden Nachahmung der Avantgarde von früher besteht. Aber es überleben in Österreich Verlage, die die Fahne der Avantgarde hochhalten.
So existiert auch dieses schöne Buch: Nicht dass Herbert J. Wimmer ein frommer Avantgardist, ein Avantgardetraditionalist wäre. Aber der numerische Untertitel seiner Gedichtsammlung 99 Gedichte erinnert an die Bibel der österreichischen Lyrik-Avantgarde, an “vierundvierzig gedichte” von Reinhard Priessnitz.
Grüner Anker ist ein Name, den ein Wiener Lokal in der Grünangergasse trug. Wimmers titelgebendes Gedicht im grünen anker ist dem letzten Inhaber des Lokals Johann Glück (1927 bis 2011) gewidmet:
dass die kinder glück / den
grünen anker vorerst / nicht
übernehmen werden / dass
der grüne anker verpachtet
wird / dass es den grünen
anker / nicht mehr geben
wird …
Es ist eine apokalyptische, von ihrem Ende her betrachtete Geschichte, die Wimmers Gedicht überliefert. Wimmer zitiert Albert Drach, der beschrieben hat, wie sich Wiener Gaststätten an den Nationalsozialismus anpassten:
Während nun der Pseudonobelbetrieb eines wohlhabenden, windgerecht reagierenden Wirtes auf die Aussentür seines Lokales schrieb: ‘Für Hunde und Juden verboten’, bestand in der Innenstadt noch immer ein anderes, vornehmruhiges Haus, das aussen einen grünen Anker zeigte und die Judenhatz nicht mitmachte.
Und dann bei Wimmer die an Konrad Bayer geschulte Daseinslitanei des intellektuellen Publikums, das seit den siebziger Jahren das Lokal bis an dessen Ende frequentierte:
tafelspitz spornt anna zu marx an / freud spornt otto zu muskateller an / leberknödelsuppe begeistert morf für sartre …
Ja, so war’s anno dazumal. Wimmers Gedicht höre ich beim Lesen: Für mich ist es, als würden die einzelnen Zeilen durch einen jeweils anderen Kanal eines Tonstudios gespielt werden. Es entsteht eine akustische Kathedrale aus Sätzen, Meinungen, Gefühlen, Geräuschen, aus Glück und Unglück. Es ist die Vergegenwärtigung einer verlorenen Zeit, der man ohne Sentimentalität abringen muss, was an ihr lebenswert war.
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HINWEISE
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herbert j. wimmer : grüner anker . 99 gedichte – wien : klever 2012
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herbert j. wimmer : Bio- Bibliografie @ in|ad|ae|qu|at
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