audio aktuell – numero 50

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D. H. LAWRENCE: MUTTERLIEBE, UNERBITTLICH

NZZ , 2. 8. 2013

czz_audio_aktuell_white-19.pngDie seismische Sensibilität, mit welcher D. H. Lawrences 1913 erstmals publizierter Roman “Sons and Lovers” das Naheverhältnis einer Mutter zu ihren Söhnen schildert wurde seinerzeit als anstössig empfunden und geriet zum Skandal.

Als systemische Anamnese hatte Lawrence sehr genau die Folgen eines ungleich tarierten ödipalen Dreiecks umrissen: Wo die Mutter Gertrude Morel nicht nur unter ihrem Stand, sondern mit Walter Morel einen Mann mit schwachem Naturell geehelicht hatte, blieb nicht aus, dass sie den Gatten und Vater ihrer Kinder bald schon verachtete.

Die Söhne wachsen in komplizenhafter Nähe zur Mutter heran, vermögen sich aber nicht aus der mütterlichen Umklammerung zu lösen. Während sich der Ältere, William, durch eine Karriere im fernen London zu entziehen sucht (und dort früh einem Leiden erliegt), beansprucht der jüngere Paul nur allzu gern die Position des “Mannes im Haus”. Da indes die Mutter weiterhin überkritisch über Pauls Freundinnen wacht und ihn ständig vor Loyalitätskonflikte stellt, will Paul auch über ihren Tod hinaus keine gültige Beziehung gelingen.

Die Klarheit von Lawrences unsentimentaler Familienstudie überträgt sich akkurat in die von Helmut Peschina souverän eingerichtete Hörspielfassung. Mit sicherer Hand von Regisseur Ulrich Lampen geführt, gleichzeitig durch einen starken Erzähler von narrativen Bringschulden entlastet, verschmelzen Angela Winkler als Mutter Gertrude und Patrick Güldenberg als Sohn Paul die scheinbaren Gegensätze von Sachlichkeit und Intensität. Unerbittlich tritt ein Feld widerstreitender Kräfte hervor, dessen Determinismus keinen Ausweg vorsieht. ( page )

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THOMAS MANN: DEKADENZ IN VENEDIG

NZZ , 2. 8. 2013

czz_audio_aktuell_black-25.pngAls “Tragödie einer Entwürdigung” hat Thomas Mann seine Novelle bezeichnet, die 1912 erschien und weithin Aufmerksamkeit erregte. Mit “Tod in Venedig” inszeniert Mann eine bis ins kleinste Detail motivisch instrumentierte Geschichte.

Zudem haftet der Novelle eine Art Bannzauber an, welcher den Autor vor ähnlichen Verirrungen im “Echtleben” bewahren möge. So weiss sein Protagonist, der Schriftsteller Gustav von Aschenbach, als ihn jähe Reiselust packt, dass diese einer Fluchtphantasie geschuldet ist: ein “Drang hinweg vom Werke, von der Alltagsstätte eines starren, kalten und leidenschaftlichen Dienstes”.

Die Reise nach Venedig, wo sich der alternde Schriftsteller ein paar Gran “Stehgreifdasein, Tagedieberei, Fernluft” erhofft, bietet den revoltierenden Nerven keine Gesundung, sondern im Gegenteil: die fatale Begegnung mit dem Knaben Tadzio.

Blind für den Rest der Welt, übersieht Aschenbach die mannigfaltig warnenden Ausformungen des Todesmotivs. Nicht einmal die Miasmen der “faul riechenden Lagune”, die “widerliche Schwüle” und “Fäulnisdünste” können als Décadence-Motive und Vorboten der Seuche den Ästheten beeindrucken. Zu sehr ist er versenkt in die Bewunderung der “Blüte des Hauptes in unvergleichlichem Liebreiz”.

Wo Thomas Manns zeichendurchwirkte Novelle die Lektüre immer und immer wieder lohnt, kommt die Einspielung des Textes mit Matthias Brandt gerade recht, wobei die moderate Tonlage des Sprechers einen sympathischen Touch von Diskretion vermittelt. ( page )

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