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MARIELLA MEHR : SPRACHEN DER GEWALT

NZZ , 2. 5. 2014

czz audio aktuell blackChristiane Zintzen – “Ich bin im Zustand der Gnade. Ich töte. Ich bin.” Zweifellos zählen diese drei Eingangssätze zu den bemerkenswertesten Roman-Anfängen, gewissermasssen als Kontrafaktur zu Ingeborg Bachmanns berühmter Kadenz “Es war Mord” am Ende von “Malina “.

Mit “Angeklagt” (2002) führt Mariella Mehr eine Trilogie zu Ende (“Daskind” 1995, “Brandzauber” 1998), deren Protagonistinnen sämtlich Ausgegrenzte sind. Für diese Frauen gibt es irgendwann jenen unwiderruflichen Moment, wo die Summe der erlittenen Verletzungen sich eruptiv nach aussen kehrt.

Die Radikalität, mit welcher in “Angeklagt” das Opfer zur Täterin wird, überrascht nicht: Was mit Brandlegungen beginnt, endigt mit fast schon wollüstigen Morden.

Peu à peu wird klar, dass der gesamte Roman aus einen Monolog besteht, einem Monolog, den die 26jährige Angeklagte gegenüber einer Gerichtspsychologin hält. Was hier geschieht, ist keine Beichte, keine Anklage, sondern ein Prozess der sprachlichen Überwältigung von erlittenen Traumata. Eine Sprache, die den routinierten Dialog mit der psychologischen Fachkraft hintertreibt. Eine Sprache, die Reihe und Art der Verbrechen in lakonischer “Logik” resümiert.

Wie beispielsweise die Farbe Rot das Beuteschema der jungen Frau unübersehbar prägt: vom “roten Hahn”, den die Brandlegerin manchem Gehöft aufsetzt bis hin zu den blutigen Morden – deren Opfer sämtlich rote Schuhe getragen hatten. Wenn dann die Gerichtspsychologin ausgerechnet in roten Schuhen zur Sitzung antanzt, schliesst die Angeklagte den Kreis zu den ersten Sätzen des Romans: “Ich töte. Ich bin.”

Die Schauspielerin Susanne-Marie Wrabe (Schauspielhaus Zürich) meistert das Solo mit Bravour und weiss mit diskreter Ironie dem Pathos zu entrinnen.

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C. F. MEYERS “JÜRG JENATSCH” : HANDLUNGSPRALL , SPRACHSTARK

NZZ , 2. 5. 2014

czz audio aktuell whiteczz – Aus heutiger Sicht würde man ihn wohl einen Superhelden nennen, jenen Jürg Jenatsch , wie ihn Conrad Ferdinand Meyer 1867 in seinem grossen Roman dargestellt hat. Dabei zögert der dem literarischen Realismus zuneigende Romancier nicht, den Helden mit Mut und Courage, Charme und Charisma auszustatten.

Als die Begehrlichkeiten Habsburgs und Spaniens bezüglich der Bündner Passstrassen flagrant werden, tauscht Jenatsch die Priesterrobe gegen Pferd und Degen, um – als bester Kenner der Region – Anführer “seiner” Bündner zu sein. Während Mann um Mann gerungen wird, haben die Nattern der Diplomatie bereits einige giftige Szenarien vereinbart. Bald wird sich auch der Naturbursche Jenatsch der Machiavellischen Künste bedienen, um seine Machtposition auszubauen. Dass Jenatsch hiefür vom Protestantismus zur “Alleinseligmachenden Kirche” konvertiert und solcherart sein wahres Inneres aufgibt, verstört nicht nur manchen Waffenbruder, sondern auch seine Freundin Lucrezia, die ( hier entfernt sich der Romancier von der Historie ) Jenatsch als Mörder ihres Vaters ersticht.

C. F. Meyer erzählt dies zwar mit Empathie, rutscht jedoch nie ins Sentimentale. Das Überraschende an diesem 1867 erschienenen Roman ist seine ungemein elastische und genaue Sprache, die staunen lässt ob ihrer Modernität. Klug wurde für die Lesung kein Schweizer, sondern mit Peter Matić ein ebenso brillanter wie dialektfreier Sprecher engagiert: Eine Edition, welche Lust darauf macht, das Werk C. F. Meyers weiter zu entdecken.

Peter Matić  liest Conrad Ferdinand Meyer: Jürg Jenatsch, 8 CD ( 575 Min.) plus Booklet (335 S.), Sinus- Verlag, Kilchberg 2014

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ROBERT MUSIL : INTERNA AUS DEM INTERNAT

NZZ , 2. 5. 2014

czz audio aktuell blackczz – So stabil das Genre der Internatsliteratur – mit Robert Walsers “Jakob von Gunten” (1909), Barbara Frischmuths “Die Klosterschule” (1968) oder Wolf Haas’ schwarzer Groteske “Silentium !” (1999) – anmutet, so mannigfaltig wurden in den vergangenen Jahren Fälle des Missbrauchs von Kindern seitens des Personals aufgedeckt und -geschrieben.

Mit seinem bahnbrechenden Roman “Die Verwirrungen des Zöglings Törleß” (1906) hatte Robert Musil einen neuen Weg eingeschlagen: Indem er ein Szenario auffaltete, in welchem Schüler den charakterschwachen Kollegen Basini routinemässig bis zum Äussersten quälen. Ohne recht zu wissen, was ihn erwartete, schliesst sich der pubertierende Törleß den älteren Kameraden Beineberg und Reiting an und wird solcherart zum stummen Zeugen der brutalen Schikanen.

Explizit hatte sich Musil gegen zeitgenössische Interpretationen geweht, welche den “Törleß” als psychologischen oder Entwicklungsroman verstanden wissen wollten. Dem Autor selbst schwebte eine “Idee” vor, nach welcher der Roman (mit manchem autobiografischen Detail) symbolisch durchgeformt worden sei. Das Motiv der Schuld dürfte dabei eine deutliche Rolle gespielt haben. Als Erzähler greift Michael Rothschopf Musils ausgreifende Sätze geschmeidig auf, während Michals Riesslers kammermusikalisch die wechselnden Dynamiken des Hörstücks akzentuiert.

Robert Musil : Die Verwirrungen des Zögling Törleß, 2 CD (ca.167 Min), SWR 2 / Ö1 / DAV – Der Audio Verlag 2014

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