Salon Littéraire | Louise Bogan “Body of this Death” (1923): Vier längere Gedichte. Übertragen und kommentiert von Klaus Bonn

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louise bogan portrait


Salon Littéraire | Vier längere Gedichte aus Louise Bogans “Body of this Death”. Aus dem amerikanischen Englisch übertragen von von
Klaus Bonn

louise bogan body cover

Die vier hier ausgewählten Texte stammen aus dem ersten Gedichtband der US-Amerikanerin Louise Bogan (1897-1970). Die kleine, gerade einmal dreißig Seiten umfassende Sammlung mit 27 Gedichten erschien 1923 in New York bei Robert M. McBride. Es sind die längsten Poeme des Bändchens, aus dem noch keines bislang ins Deutsche übertragen worden ist.

Bogan war von 1931-1969 Herausgeberin des New Yorker, zuständig als Literaturkritikerin für Poesie. Sie war mit Theodore Roethke befreundet, den sie in seiner dichterischen Arbeit unterstützte. Bogan übersetzte Gedichte von Yvan Goll und zusammen mit Elizabeth Mayer Ernst Jüngers Roman Gläserne Bienen sowie Goethes Wahlverwandtschaften. Zusammen mit Elizabeth Roget übersetzte sie Jules Renards Journal.

Auf Deutsch findet sich die Übertragung des Gedichts The Dragonfly (Die Libelle) (1963) in der Anthologie: “Sehen heißt ändern”. Dreißig amerikanische Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, hg., übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Jürgen Brôcan. Stiftung Lyrik Kabinett München 2006.
Überdies finden sich zwei Gedichte aus dem Sammelband “The Blue Estuaries. Poems 1923-1968” in der Übersetzung von Johannes Beilharz auf dessen Webseite: http://www.jbeilharz.de/poetas/bogan/ (Klaus Bonn)

 

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01) A Letter / Ein Brief
02) Betrothed / Verlobt
03) Words For Departure / Worte zum Aufbruch
04) Fifteenth Farewell / Fünfzehntes Lebewohl

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01) A Letter

I came here, being stricken, stumbling out
At last from streets; the sun, decreasing, took me
For days, the time being the last of autumn,
The thickets not yet stark, but quivering
With tiny colors, like some brush strokes in
The manner of the pointillists; small yellows
Dart shaped, little reds in different pattern,
Clicks and notches of color on threaded bushes,
A cracked and fluent heaven, and a brown earth.
I had these, and my food and sleep — enough.

This is a countryside of roofless houses, —
Taverns to rain, — doorsteps of millstones, lintels
Leaning and delicate, foundations sprung to lilacs,
Orchards where boughs like roots strike into the sky.
Here I could well devise the journey to nothing,
At night getting down from the wagon by the black barns,
The zenith a point of darkness, breaking to bits,
Showering motionless stars over the houses.
Scenes relentless — the black and white grooves of a woodcut.

But why the journey to nothing or any desire?
Why the heart taken by even senseless adventure,
The goal a coffer of dust? Give my mouth to the air,
Let arrogant pain lick my flesh with a tongue
Rough as a cat’s; remember the smell of cold mornings,
The dried beauty of women, the exquisite skin
Under the chins of young girls, young men’s rough beards, —
The cringing promise of this one, that one’s apology
For the knife struck down to the bone, gladioli in sick rooms,
Asters and dahlias, flowers like ruches, rosettes. . .

Forever enough to part grass over the stones
By some brook or well, the lovely seed-shedding stalks;
To hear in the single wind diverse branches
Repeating their sounds to the sky — that sky like scaled mackerel,
Fleeing the fields — to be defended from silence,
To feel my body as arid, as safe as a twig
Broken away from whatever growth could snare it
Up to a spring, or hold it softly in summer
Or beat it under in snow.

I must get well.
Walk on strong legs, leap the hurdles of sense,
Reason again, come back to my old patchwork logic,
Addition, subtraction, money, clothes, clocks,
Memories (freesias, smelling slightly of snow and of flesh
In a room with blue curtains) ambition, despair.
I must feel again who had given feeling over,
Challenge laughter, take tears, play the piano,
Form judgments, blame a crude world for disaster.

To escape is nothing. Not to escape is nothing.
The farmer’s wife stands with a halo of darkness
Rounding her head. Water drips in the kitchen
Tapping the sink. To-day the maples have split
Limb from the trunk with the ice, a fresh wooden wound.
The vines are distorted with ice, ice burdens the breaking
Roofs I have told you of.

Shall I play the pavanne
For a dead child or the scene where that girl
Lets fall her hair, and the loud chords descend
As though her hair were metal, clashing along
Over the tower, and a dumb chord receives it?
This may be wisdom: abstinence, beauty is nothing,
That you regret me, that I feign defiance.
And now I have written you this, it is nothing.

 

Ein Brief (übertr. von Klaus Bonn)

Ich kam hierher, angstgeplagt, wankte zuletzt
Fort von Straßen; die sinkende Sonne packte mich
Tagelang, der Herbst lag in den letzten Zügen,
Die Sträucher noch nicht kahl, doch in winzigen Farben
Erzitternd, ein paar Pinselstrichen gleich
Nach Art der Pointillisten; dünne gelbe Sprengsel,
Wurfpfeilförmig, kleine rote in verschiedenen Mustern,
Knipser und Kerben aus Farbe auf Buschwerk mit Ranken,
Ein Himmel mit Riss im Fließen, und eine braune Erde.
All das hatte ich, und mein Essen und Schlaf — zur Genüge.

Dies ist eine Landschaft mit Häusern ohne Dächer, –
Wirtshäuser zum Regen, — Türschwellen aus Mühlstein, Fensterstürze
Schief und anfällig, Unterbauten zu Flieder gesprossen,
Obstgärten, wo Äste gleich Wurzeln in den Himmel schlagen.
Hier könnte ich wohl die Reise ins Nichts ersinnen,
Bei Nacht an den schwarzen Scheunen heruntersteigen vom Wagen,
Der Zenit ein schwarzer Punkt, der in Stücke zerbricht,
Reglose Sterne über die Häuser ergießt.
Szenen, unerbittlich — die schwarzen und weißen Ritzen eines Holzschnitts.

Wozu aber die Reise ins Nichts oder sonst ein Verlangen?
Wozu das Herz, von gar sinnlosem Abenteuer ergriffen,
Das Ziel eine Kiste aus Staub? Setz meinen Mund der Luft aus,
Lass hochmütige Pein mein Fleisch ablecken mit einer Zunge
So rau wie die einer Katze; erinnre dich des Geruchs von kalten Morgen,
Der getrockneten Schönheit der Frauen, der vorzüglichen Haut
Unter dem Kinn junger Mädchen, der kratzigen Bärte junger Männer, –
Das unterwürfige Versprechen von diesem, von jenem die Abbitte
Für das Messer, das bis auf die Knochen drang, Gladiolen in Krankenzimmern,
Astern und Dahlien, Blumen wie Rüschen, Rosetten …

Genug, um für immer Gras über den Steinen zu lösen
Durch einen Bach oder eine Quelle, die lieblichen, Samen verwehenden Halme;
In dem alleinigen Wind verschiedene Äste zu hören,
Die ihr Rauschen zum Himmel wiederholen — diesem Himmel einer abgeschuppten Makrele gleich,
Der die Felder flieht — vor Stille geschützt zu werden,
Meinen Körper so dürr zu spüren, so sicher wie ein
Von jedwedem Wachstum abgeschnittener Zweig ihn fangen,
Zu einem Frühling hoch ihn führen, oder sanft im Sommer an ihn halten,
Oder unter Schnee ihn schlagen könnte.

Ich muss genesen.
Auf starken Beinen gehen, die Hürden des Sinnes überspringen,
Wieder vernünftig reden, zu meiner alten Patchworklogik zurückkehren,
Addition, Subtraktion, Geld, Kleidung, Uhren,
Erinnerungen (Freesien, die entfernt nach Schnee riechen und nach Fleisch
In einem Raum mit blauen Vorhängen), Ehrgeiz, Verzweiflung.
Ich muss wieder fühlen, wer das Fühlen preisgegeben hatte,
Gelächter heraufbeschwören, Tränen hinnehmen, Klavier spielen,
Urteile bilden, einer groben Welt die Schuld für das Unheil zuweisen.

Die Flucht zu ergreifen ist ein Leichtes. Nicht die Flucht zu ergreifen ist ein Leichtes.
Die Frau des Farmers steht da mit einem Glorienschein aus Finsternis,
Der um ihren Kopf kreist. Wasser tropft in der Küche,
Tippt auf den Ausguss. Heute haben die Ahorne mit dem Eis
Einen Ast vom Stamm gespalten, eine frische holzige Wunde.
Die Reben sind in sich verdreht mit Eis, Eis lastet auf den berstenden
Dächern, von denen ich Dir erzählte.

Soll ich die Pavane
Für ein totes Kind spielen oder die Szene, in der dieses Mädchen
Sein Haar auflöst, und die lauten Akkorde hernieder gehen,
Als ob sein Haar Metall wäre, schmetternd
Über den Turm ziehen und ein stummer Akkord es empfängt?
Das mag Lebensweisheit sein: Enthaltsamkeit, Schönheit ist nichts,
Dass du mich vermisst, dass ich Trotz vortäusche.
Und jetzt habe ich Dir das geschrieben, es ist nichts.

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02) Betrothed

You have put your two hands upon me, and your mouth,
You have said my name as a prayer.
Here where trees are planted by the water
I have watched your eyes, cleansed from regret,
And your lips, closed over all that love cannot say.

My mother remembers the agony of her womb
And long years that seemed to promise more than this.
She says, “You do not love me,
You do not want me,
You will go away.”

In the country whereto I go
I shall not see the face of my friend
Nor her hair the color of sunburnt grasses;
Together we shall not find
The land on whose hills bends the new moon
In air traversed of birds.

What have I thought of love?
I have said, “It is beauty and sorrow.”
I have thought that it would bring me lost delights, and splendor
As a wind out of old time. . .

But there is only the evening here,
And the sound of willows
Now and again dipping their long oval leaves in the water.

 

Verlobt (übertr. von Klaus Bonn)

Du hast deine beiden Hände auf mich gelegt und deinen Mund,
Du hast meinen Namen als Gebet aufgesagt.
Hier, wo Bäume am Wasser gepflanzt sind,
Habe ich deinen Augen zugeschaut, von Bedauern geläutert,
Und deinen Lippen, verschlossen über alldem, was Liebe nicht zu sagen vermag.

Meine Mutter erinnert sich an die Qual ihres Schoßes,
Und an lange Jahre, die mehr zu versprechen schienen als das hier.
Sie sagt: „Du liebst mich nicht,
Du brauchst mich nicht,
Du wirst fortgehen.“

In der Gegend, in die ich gehe,
Werde ich das Gesicht meiner Freundin nicht sehen,
Auch nicht ihr Haar in der Farbe sonnenverbrannten Grases;
Gemeinsam werden wir das Land nicht finden,
Auf dessen Hügeln sich der Neumond krümmt
In von Vögeln durchzogener Luft.

Was habe ich über die Liebe gedacht?
Ich habe gesagt: „Sie ist Schönheit und Leid.“
Ich habe gedacht, sie brächte mir verlorene Wonnen zurück, und Glanz
Wie der Wind aus vergangenen Zeiten …

Doch hier gibt es nur den Abend,
Und das Rauschen der Weiden,
Die hin und wieder ihre langen eirunden Blätter ins Wasser tunken.

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03) Words For Departure

Nothing was remembered, nothing forgotten.
When we awoke, wagons were passing on the warm summer pavements,
The window-sills were wet from rain in the night,
Birds scattered and settled over chimneypots
As among grotesque trees.

Nothing was accepted, nothing looked beyond.
Slight-voiced bells separated hour from hour.
The afternoon sifted coolness
And people drew together in streets becoming deserted.
There was a moon, and light in a shop-front,
And dusk falling like precipitous water.

Hand clasped hand,
Forehead still bowed to forehead —
Nothing was lost, nothing possessed,
There was no gift nor denial.

2
I have remembered you.
You were not the town visited once,
Nor the road falling behind running feet.

You were as awkward as flesh
And lighter than frost or ashes.

You were the rind,
And the white-juiced apple,
The song, and the words waiting for music.

3
You have learned the beginning;
Go from mine to the other.

Be together; eat, dance, despair,
Sleep, be threatened, endure.
You will know the way of that.

But at the end, be insolent;
Be absurd — strike the thing short off;
Be mad — only do not let talk
Wear the bloom from silence.

And go away without fire or lantern.
Let there be some uncertainty about your departure.

 

Worte zum Aufbruch (übertr. von Klaus Bonn)

Nichts wurde erinnert, nichts vergessen.
Als wir erwachten, fuhren Wagen vorbei auf dem sommerlich warmen Pflaster,
Die Fensterbänke waren nass vom Regen in der Nacht,
Vögel machten sich breit und ließen sich über Schornsteinaufsätzen nieder
Wie mitten unter grotesken Bäumen.

Nichts wurde gebilligt, über nichts hinausgeschaut.
Schwach gestimmte Glocken trennten Stunde von Stunde.
Der Nachmittag gab Kühle durch sein Sieb
Und Leute zogen sich auf Straßen zusammen, die sich leerten.
Es gab einen Mond, und Licht in einer Ladenfront,
Und Dämmerung, die hereinbrach wie jäh herabstürzendes Wasser.

Hand mit Hand verschränkt,
Stirn zu Stirn noch gebeugt –
Nichts war verloren, nichts in Besitz,
Es gab weder Geschenk noch Verweigern.

2
Ich habe mich an dich erinnert.
Du warst nicht die einst besuchte Stadt,
Auch nicht die Straße, die hinter den Laufschritt zurückgefallen ist.

Du warst so misslich wie Fleisch
Und leichter als Frost oder Asche.

Du warst die Rinde,
Und der Apfel mit weißem Saft,
Das Lied und die Worte in Erwartung der Musik.

3
Du hast den Anfang gelernt,
Geh von dem meinen zum andern.

Tu dich mit andern zusammen; iss, tanz, verzweifle,
Schlaf, setz dich der Gefahr aus, ertrage.
Du wirst wissen, wie das geht.

Aber zum Schluss, sei anmaßend;
Sei widersinnig — schlag die Sache kurzerhand ab;
Sei verrückt — nur lass kein Gespräch aufkommen
Trag die Blüte des Schweigens.

Und geh fort ohne Flamme oder Windlicht.
Umgib deinen Aufbruch mit ein wenig Ungewissheit.

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04) Fifteenth Farewell

I
You may have all things from me, save my breath.
The slight life in my throat will not give pause
For your love, nor your loss, nor any cause.
Shall I be made a panderer to death,
Dig the green ground for darkness underneath,
Let the dust serve me, covering all that was
With all that will be? Better, from time’s claws,
The hardened face under the subtle wreath.

Cooler than stones in wells, sweeter, more kind
Than hot, perfidious words, my breathing moves
Close to my plunging blood. Be strong, and hang
Unriven mist over my breast and mind.
My breath! We shall forget the heart that loves,
Though in my body beat its blade, and its fang.

II
I erred, when I thought loneliness the wide
Scent of mown grass over forsaken fields,
Or any shadow isolation yields.
Loneliness was the heart within your side.
Your thought, beyond my touch, was tilted air
Ringed with as many borders as the wind.
How could I judge you gentle or unkind
When all bright flying space was in your care?

Now that I leave you, I shall be made lonely
By simple empty days, — never that chill
Resonant heart to strike between my arms
Again, as though distraught for distance, — only
Levels of evening, now, behind a hill,
Or a late cock-crow from the darkening farms.

 

Fünfzehntes Lebewohl (übertr. von Klaus Bonn)

I
Du kannst alles von mir haben, nur meinen Atem nicht.
Das schmächtige Leben in meinem Hals lässt keine Bedenkzeit zu
Für deine Liebe, deinen Verlust oder irgendeinen Anlass.
Soll ich zum Kuppler des Todes werden,
Den grünen Grund aufgraben um der Finsternis drunter willen,
Den Staub mir zu Diensten sein lassen, der alles, was war, bedeckt
Mit allem, was sein wird? Lieber, aus den Klauen der Zeit,
Das verhärtete Gesicht unter dem feinen Gewinde.

Kühler als Steine in Brunnen, süßer, freundlicher
Als heiße, heimtückische Worte bewegt sich mein Atmen
Dicht an meinem stürzenden Blut. Sei stark und hänge
Dicht gewebte Nebelschleier über meine Brust und meinen Geist.
Mein Atem! Wir werden das Herz vergessen, das liebt,
Auch wenn in meinem Leib pocht seine Schneide und sein Fangzahn.

II
Ich irrte, als ich Einsamkeit für den weitreichenden Duft hielt
Von gemähtem Gras auf verlassenen Feldern,
Oder einen Schatten, den Absonderung wirft.
Einsamkeit war das Herz im Innern deiner Flanke.
Dein Denken, über meine Berührung hinaus, war schiefe Luft,
Von so vielen Rändern umringt wie der Wind.
Wie hätt ich dich als einfühlsam oder lieblos ermessen können,
Da all der glanzvoll weite Raum in deiner Sorge saß?

Jetzt, da ich dich verlasse, werden mich einfache, leere Tage
Mit Einsamkeit umfangen, — nimmer jenes frostige,
Nachhallende Herz in meinen Armen zu entzünden,
Als sei es außer sich ob der Ferne, — nur
Abendschichten jetzt, hinter einem Hügel,
Oder ein später Hahnenschrei von den dunkelnden Farmen her.

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Hinweise | Eben erschienen :

Stanley Cavell: Die Sinne von Walden (übers. von Klaus Bonn). M. e. Vorwort von Mark Greif (übers. von Kevin Vennemann) – Berlin, Matthes & Seitz 2014
⇒ Eben als Online-Publikation erschienen: Vom grünen Leuchten, vom grünen Licht und vom Zufall – Jules Verne, Eric Rohmer und F. Scott Fitzgerald @ Philologie im Netz | FU Berlin 70|2014

 

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Klaus Bonn @ in|ad|ae|qu|at

 

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