Salon Littéraire | Michael Hammerschmid : “ich schreibe jetzt figural” – Zur Ästhetik von Friederike Mayröckers “Und ich schüttelte einen Liebling”

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||| ENTGRENZTER TRAUM | EXPERIMENT UND WIRKLICHKEIT | DÉJÀ-VUS | “LIEBLINGS-…“ UND “UNDS“ IM TEXT | NICHT-STIL | “UND ICH SCHREIBE JETZT FIGURAL” | ANMERKUNGEN | QUELLE | AUTOREN | HINWEIS

Salon Littéraire | Michael Hamerschmid :

“ich schreibe jetzt figural” – Zur Ästhetik von Friederike Mayröckers – UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING ( 2005 )

for the one and only gertrude stein

eine rose ist eine rose ist eine rose
aber eine frau ?
ein riese ist ein riese ist ein riese
aber eine frau ?
ein stein ist ein stein ist ein stein
aber eine frau ?
eine frau ist eine frau ist eine frau
aber eine rose ?

(E. Jandl – sprechblasen)

und EJ telefonierte mir, womit beschäftigst du dich eigentlich den ganzen Tag,
und ich sage, ich denke über die Gestalt meiner Sprache nach, usw.

( F. Mayröcker – UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING ) [1]

Friederike_Mayröcker_eigenhaendig_Huendchen
ENTGRENZTER TRAUM

Friederike Mayröcker schreibt an einem literarischen Projekt, von dem sie verschiedentlich angedeutet hat, es bräuchte eine Lebensdauer von mindestens 150 Jahren, um die Wunschkräfte, die darin arbeiten, an einen befriedigenden Punkt zu führen. Diese 150 Jahre sind zweifelsohne als Chiffre für die Überschreitung gewöhnlichen Menschenalters zu verstehen, wie man es etwa aus der Bibel oder von Mythen her kennt. Mit diesem Wort ist aber auch der Umgang mit den Rahmungen sogenannter Wirklichkeit angesprochen, durch die sich Friederike Mayröckers Schreiben bewegt: über Grenzen hinaus, in den entgrenzten Raum und Traum der Sprache. Angesichts des Jandlschen Schreibens und seiner Grundhaltung, die im vorliegenden Kontext das Bezugsfeld bildet, stellt sich daher die Frage, wie sich die Ästhetik der Überschreitung bei Friederike Mayröcker genauer beschreiben lässt. Wie gestaltet sich das Verhältnis der scheinbaren Höhen ihrer Prosa zu den scheinbaren Tiefen der Jandlschen Dichtung ? Wo ergeben sich signifikante Vergleichspunkte und Differenzen in der Grundtendenz ihrer literarischen Arbeit ?[2] Anhand von Friederike Mayröckers letztem Buch UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING , gewissermaßen dem opus magnum seit Ernst Jandls Tod, lassen sich erste Antworten und Perspektiven auf diese Fragen formulieren.

Zunächst fällt auf, dass UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING in einem sehr einfachen und luziden Ton geschrieben ist, der so manche Räudigkeit und Skizzenhaftigkeit früherer Arbeiten zurücknimmt. Vor allem im Vergleich mit dem Vorgängerbüchlein “Die kommunizierenden Gefäße“ wird dies deutlich, das einem mit Kurzabsätzen und schillernden, geballten Capriccios begegnet, währendUND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING längere Episoden und eine flächigere, weitgestrecktere Erzählweise entfaltet. Aber auch in diesem letzten Buch sind die Brüche und Schichtungen Grundbestandteil der Mayröckerschen Prosa. Diese doppelte Haltung der Vereinfachung und des entgrenzenden, brechenden Selbstbezugs laufen auf die Frage nach einer eigenen Ästhetik des Herunterkommens bei Friederike Mayröcker hinaus:

Zuallererst könnte man dieses Buch so behandeln, wie die Autorin die Bücher und Kunstwerke, die Menschen und Phänomene ihrerseits behandelt, um sich so unmittelbar wie möglich auf den Gestus des Buches einzulassen:

und ich lese jetzt Gertrude Stein und Jacques Derrida und ausschlieszlich und ich lese sie immer wieder und ich gerate an Stellen die ich schon gut kenne und manchmal habe ich sie auswendig gelernt, und ich kann nur visuell denken, und ich bin Zärtlichkeit gar nicht mehr gewohnt, … (186)

In Variationen kehrt das Thema, das Motiv der intensiven Lektüre im Text mehrfach wieder, und formuliert nicht zuletzt auch einen Anspruch. Einen Anspruch auf ein rückhaltloses Hineingehen in einen Text: Im konkreten Fall eine Aneignung durch Wiederholung und Auswendiglernen, mithin durch ein etwa an Schauspieltechniken erinnerndes Verlassen seiner Selbst. Dieser Zugang deutet auf eine bestimmte Art des Herunterkommens von den eigenen Vorstellungen und Bildern hin, die diese notwendigerweise zuerst einmal zurücklässt und Abschied von ihnen nimmt.[3]

Diese Öffnung gegenüber dem anderen wird dabei zwar als eine quasi totale Erfahrung erlebt, doch bleibt diese nicht beim rückhaltlosen Sich-Aussetzen stehen. Im Gegenteil: Der Weg des Mayröckerschen Schreibens vollführt an diesem äußersten Punkt, an diesem Extrem, auch schon seine Umkehrung und überschreitet daher den Moment der Identifikation oder Idylle. “… und einen Zipfel herausziehen ganz fremd, herausziehen und sein Eigenes daraus machen“ (132) heißt es etwa an einer anderen Stelle, in einem der oft refrainartig auftauchenden Sätze des Buches.

Der Satz erzählt wieder von einer ganz anderen Haltung, als hätte die Methode nun plötzlich gewechselt. Man könnte sie als eine räuberische Methode bezeichnen, die sich gleichsam holt, was sie braucht, und sich gerade nicht dem anderen aussetzt, sondern dieses Andere “mit langen Fingern“ zerfleddert. Dieser Gestus des Herausziehens nimmt sich also das Recht subjektiver Aneignung und Verwandlung, während das Auswendiglernen quasi aus der Not einer Sucht, einer suchthaften Begeisterung zu entspringen schien. UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING setzt mit diesen autopoetischen Beobachtungen und an sich selbst gerichteten Appellen die stark dialogische Ästhetik der früheren Bücher fort. Die Kurzsätze und Satzteile, wie der zuletzt zitierte, gehören zu deren ästhetischem Programm. Sie fungieren, bildlich gesprochen, als die Stacheln in ihrem Fleisch, die wie immer wieder gestellte Frage- und Erinnerungszeichen, zum Weiterdenken, Wiederdenken und Weiterschreiben anfeuern.

UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING ist von permanenten Registerwechseln, Rhythmuswechseln und Irritationsmomenten durchzogen, die einmal kursorisch aufzulisten ein erstes Bild der Mayröckerschen Prosa und seiner Ästhetik ergeben: Dazu zählen die Kursivschreibung von Sätzen oder Satzteilen, “und die leibhaftige Sprache wie Leuchtschrift vor meinen Augen … “ (73), die Großschreibungen wie „eine ANGST FLUT“ (197) und die Doppelpunkte, die “sz“-Schreibung, die Chiffrierung von Namen wie bei EJ, die Auseinanderschreibung von zusammengesetzten Substantiven, etwa “Lese Pfad“ (30), das Auslassen von Artikeln, veränderte Wortstellungen, “und Sonne innig glänzte …“ (30), der häufige Gebrauch von Worten wie “nämlich“, “etc.“, “also“, “und“, “oder“; der Einsatz von Virgeln und Doppelpunkten, etwa

Schlieszlich sind die Menschen unbewuszt so: wenn sie allein sind, wollen sie mit anderen zusammen sein … (15)

und von doppelten statt dreifachen Punkten sowie die in diesem Buch ebenfalls nur selten verwendeten Klammern, “(>>Kein Donner im Haar..<<)” (191) und die Kürzeln wie in “rund um den Kopf mit Spangen und kl. Kämmen festgeklemmt …“ (81). Nun haben all diese Verfahren zum einen den Effekt, das Gesamtbild des Textes graphischer, notierter, komponierter erscheinen zu lassen, zum anderen aber im jeweiligen Kontext ganz spezifische Wertigkeiten und Funktionen.

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EXPERIMENT UND WIRKLICHKEIT

Diese Rhetorik der kleinen Elemente, die einen wesentlichen Aspekt der Mayröckerschen Entgrenzungsarbeit sichtbar macht, berührt sich indirekt mit jener Ausrichtung von Jandls Dichtung, die diese seit 1956/57 und bis zumindest Mitte der 70er Jahre explizit eingeschlagen hat und die zur literarischen Erforschung der visuellen und akustischen Grenzen der Sprache führte. Diese Tendenz entfaltet sich ebenso in Friederike Mayröckers Poesie und bildet in ihren Texten eine eigene Formen- und Ausdruckswelt aus. Man könnte sogar soweit gehen und behaupten, dass sich ihr Schreiben ohne Rücksicht auf diese graphische und akustische Dimension kaum begreifen ließe. Nicht zufällig setzt es daher immer wieder auch direkt im Bildnerischen und bei verschiedenen Malern an [4].

Die Frage nach der Wahrnehmungsart von Friederike Mayröckers Prosa, die hier im Mittelpunkt steht, muss diese Überschreitung des so genannten Literarischen und der scheinbaren Innerlichkeit dieses Begriffs mitbedenken. Wobei gerade UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING als ein Buch der Innerlichkeit beschrieben werden kann. Doch muss der Begriff der Innerlichkeit für diesen Zwecke anders gewendet und in seiner dialektischen Spannung aufgefaltet werden. So sehr Mayröckers Schreiben auf der einen Seite das Feld des Literarischen überschreitet und erweitert, so sehr führt sie es auch wieder auf das “Wesen“ und eine innerliche, innere Sprache eng. Was diese Art von Innerlichkeit betrifft, ist UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING etwa auch mit Jandls Theaterstück AUS DER FREMDE vergleichbar, mit dem es in erster Linie den knappen Gang entlang an den privaten, alltäglichen Ereignisse gemeinsam hat.

In gewissem Sinn kann der innerliche Gestus des Buches auch als herausfordernder Kommentar zum sogenannten experimentellen oder avantgardistischen Schreiben verstanden werden. Wie nahe kommt der Text dabei aber an sein Quasi-Gegenteil, die Narration, heran, ohne seine eigenen Methoden und seine Geschichte im Zeichen der experimentellen Literatur zu verleugnen ? Und wie nahe kommt er umgekehrt an die sogenannte Wirklichkeit heran ?

Eine mögliche Antwort auf diese Fragen steckt in der indirekten Rede, die in dem Buch entwickelt wird. Denn obgleich sich in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING anekdotenhafte Episoden im Ton intimster Zuwendung zeigen, ist der Kontext und das gesamte Gefüge, in dem sie auftreten, derart komplex, dass diese Direktheit des Anekdotischen wieder unterlaufen wird. Bereits der Beginn des Textes gibt einen Blick auf die Eigenart dieser indirekten Rede frei, mit deren Hilfe sich das Buch dann immer wieder der Frage der Liebe zuwendet.

Diese Passage zeigt zunächst den unvermittelten Einsatz des Mayröckerschen Sprechens, das offensichtlich keinen eigentlichen Anfang kennt und, wie sich zurecht vermuten lässt, auch kein eigentliches Ende.

und was das Ende meines entstehenden Buches angeht, sage ich zu EJ, hatte ich immer schon Schwierigkeiten, das Ende meiner Bücher zu markieren, nicht wahr, aber wie und wann gestaltet sich nun tatsächlich das Ende eines Buches, frage ich mich, sage ich zu EJ, ich glaube es war immer so, dasz das Ende eines Buches dann kam wenn meine Kräfte erschöpft waren … (179)

Sprechen und Schreiben scheint bei Mayröcker nur als ein unendliches oder genauer anfang- und endloses Sprechen zu verstehen zu sein. Das heißt auch, als eine Art Raunen, in dem das individuelle Leben unwillkürlich über- und unter-, und verschiedentlich durchschritten wird. Die Wendung “meine Nerven waren sehr aufgeregt“ tippt dabei das Problem an, das dieses schreibende Ich haben muss, um überhaupt produzieren zu können. Doch lässt sich dies nur in einem sehr vermittelten Sinn der Erzählerin zuordnen, denn schon unmittelbar darauf wird Gertrude Stein, eine der Hauptbezugsfiguren des Buches, zum Sprechen gebracht. Auf diese Weise wird der Dialog mit sich selbst unentwegt über solche Dritte und Andere gebrochen, erweitert und in lebendiger Bewegung gehalten, womit die Kernfunktion dieser indirekten Rede und ihre Programmatik angesprochen ist.

Der Umweg über die Wiese in der zitierten Anfangspassage lässt eben jemanden Anderen, Dritten begreifen, was Liebe ist. Man könnte diese fremde Instanz ganz allgemein als eine geheimnisvolle Produktionskraft bzw. Schreibkraft beschreiben, die Schmetterlinge und Vögel entstehen lässt, egal ob sie tatsächlich da sind oder nicht, – “das also ist Liebe“. In gewissem Sinn beginnt das Buch mit dieser poetischen Behauptung, dass sich die Liebe und ihre Kraft erst über den Umweg der indirekten Rede entfaltet. Dieser Leitton wird dann im ganzen Text auf unterschiedlichste Weise beibehalten. Indem die Dritten und Anderen permanent zum Sprechen gebracht werden, entfaltet sich ein verschränkter Polylog, in dem es weder Ende noch Anfang gibt, was den Text, seine Zeit und seinen Raum, in einen zauberhaften Schwebezustand versetzt.

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DÉJÀ-VUS

Vielleicht lässt sich diese Eigenart der Mayröckerschen Textkomposition am treffendsten mit dem Begriff des “dejá-vus“ erfassen. Schon in früheren Büchern und Gedichten kommt die täuschende Wirklichkeit dieser mit Freud wohl als Fehlleistung zu bezeichnenden Gedächtnisleistung auf unterschiedliche Weise vor. Nimmt die direkte Reflexion über das déjà-vu in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING zwar nur eine beiläufige Rolle ein, so arbeitet dieser Effekt darin indirekt um nichts weniger drängend und stellt nicht zuletzt vor elementare Fragen: Ob und welche Arten von Wiederholung es eigentlich gibt ? Wie Vergangenheit und Zukunft zusammenhängen? Ob sie zusammenhängen ? Und ob die Zukunft nicht, wenn es solche déjà-vus geben sollte, vorausgeahnt werden kann ? Wie es zu so genannten Sinnestäuschungen kommt, und ob sie nicht eine andere Wahrheit in sich bergen und sich also diese Täuschungen letztlich vielleicht doch als Wahrheiten entpuppen könnten ? Ob Einmaligkeit dann in Wahrheit nicht Zweimaligkeit bedeutet ? Oder in den Worten des Buches:

und ich fragte mich, woran liegt es dasz ich mich nicht auf eine Sache konzentrieren kann, und in meinem Kopf hüpfte alles hin und her und durcheinander, nämlich das Auftauchen dieser Déjà-vus, sage ich zu EJ, wäre das nicht ein Indiz dafür dasz wir schon mehrere ja unzählige Male auf dieser Erde gewandelt sind und in den verschiedenartigsten Gestalten, nicht wahr, ach, sage ich, ich kann es nicht glauben und mir fehlt der Vorstellungswillen dafür, ich habe nur Angst, ich kenne fast nur noch die Angst, die Angst vor dem Tod, täglich und stündlich die Angst vor dem Tode haben ist ein schlimmer Zustand, sage ich … (186)

Es lohnt sich, die Frage der Wiederholung, die das déjà-vu antreibt, angesichts des fehlenden Dritten, EJ, und mit diesem angesichts des Todes in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING noch einmal genauer in den Blick zu nehmen. Dabei scheint es dann, dass eine wesentliche Triebkraft des Textes an der Hoffnung auf Wiederholung ausgerichtet ist, die als eine den subjektiven Wahrnehmungsapparat austricksende Kraft andere Wirklichkeiten herzustellen vermag. Gerade auf formaler Ebene bildet sich Mayröckers genaue und vielfältige Arbeit mit wiederholten Elementen ab. Man denke an die weiter oben bereits erwähnten Satzepisoden und leichten Variationen von Textteilen, die das Erinnerungsvermögen einerseits herausfordern, während sie es andererseits umgehen und täuschen. Beständig taucht dabei die Frage auf, ob man einen bestimmten Textteil schon so oder etwas anders gelesen hat, was auf diese Weise einen geradezu tranceartigen Wahrnehmungszustand erzeugt, der die rituelle Seite und drogenartige Wirkung der Mayröckerschen Texte hervortreten lässt [5]: In ihren Tableaus an Sinnestäuschungen und Wahrnehmungsaffekten wird dabei letztlich auch das eigene Unbewusste zum Arbeiten gebracht.

Schließlich erfährt die Frage nach der Wiederholung vor allem in Bezug auf die Begleitfigur Gertrude Stein eine gewisse Zuspitzung, die als Autorin der Wiederholung schlechthin bezeichnet werden könnte. Nicht allein wegen ihrer zur Berühmtheit gelangten Zeile “a rose is a rose is a rose“, sondern auch aufgrund der Poetik von Romanen wie THE MAKING OF AMERICANS [6], zu deren ästhetischem Kern ganz wesentlich die Wiederholung und die Variation von “patterns“ zählen.

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LIEBLINGS-…“ UND “UNDS “ IM TEXT

Gertrude Stein fasst an einer Stelle ihrer von Ernst Jandl übersetzten poetologischen Vorlesungen die Unterschiede von Prosa und Poesie einmal so zusammen:

Poesie und Prosa. Ich kam zum Ergebnis dass Poesie ein Aufrufen ein intensives Aufrufen der Benennung von irgend etwas sei und dass Prosa nicht das Verwenden der Benennung von irgend etwas als eines Dinges an sich sondern das Schaffen von Sätzen sei die unabhängig existierten und indem sie aufeinanderfolgten aus allem Möglichen eine fortlaufende Sache machten nämlich Absätze und auf diese Weise eine Erzählung die eine Erzählung von irgend etwas ist. Darin besteht natürlich eine Erzählung dass ein Ding irgendeinem anderen folgt [7].

Diese beiden Pole benennen die Eigenart des Schreibens von Friederike Mayröcker auf überraschend genaue Weise. Wie oben ausgeführt, charakterisiert der Zug zur Entgrenzung den Grundgestus des Mayröckerschen Schreibens: “und ich kann mich mit allem und allen identifizieren also ich laufe dauernd über und ich halte allen und niemandem die Treue, nicht wahr …“ (165). Es mag daher kaum erstaunen, dass dieser Gestus auch die Gattungsgrenzen von Prosa und Poesie erfasst.

Dabei scheint eine bestimmte Ebene der Mayröckerschen Texte wie Lyrik im Sinn der Benennung bei Stein zu sprechen, während eine andere genau an diesem Aufeinanderfolgen von Dingen ausgerichtet ist. Diese erste, lyrische Ebene, auf der meist verwandelnde, epiphanieartige Erlebnisse erzählt werden, lässt sich etwa in der so häufig bei Mayröcker und auch im Titel des hier im Mittelpunkt stehenden Buches vorkommenden “Lieblings…“-Chiffre auf einen ersten Begriff bringen [8]. Wobei der “geschüttelte Liebling“ des Titels im konkreten Fall ein recht breites Feld an Assoziationen freisetzt, das zumindest von der Verzweiflung angesichts seines Dahinscheidens bis zum geschüttelten Obstbaum reicht. Das Buch lässt sich von hier aus als eine unentwegte Zuwendung zu solchen “Lieblings-…“ – Dingen, Kunstwerken, Erlebnissen, Erfahrungen etc., und dabei nicht zuletzt zum Lieblingsmenschen Ernst Jandl verstehen, der im Buch auch selbst nur als eine Chiffre unter anderen auftaucht.

  • … und immer wieder diese meine geriatrische Sicht der Dinge, Falte im Trinkglas , und EJ sagt, Raymond Chandler ist mein Lieblingsautor … (131)
  • und ich sitze da lese in Jacques Derrida und spüre die WELLENGÄNGE die mir eine Euphorie: Schreib Euphorie ins Blut jagt und zugleich die Andacht der Tränen vergieszen … (130)
  • und ich sage zu Bodo Hell, das ist jetzt meine Lieblingslektüre … (118)
  • ich warte immer auf gewisse Magie Partikelchen …“ (100)
  • nämlich sich ganz hineinsteigern in die Materialität der Sprache welche die Elektrisierung erzeugt (63).

Diese kleine Auswahl an Stellen, in denen von Euphorien und verschiedenen Lieblingen gesprochen wird, sind Benennungen von Intensitätserfahrungen, an denen sich die Schreibbegeisterung des schreibenden Ich im buchstäblichsten Sinn entfacht. Die Wahrnehmung ist auf dieser poetischen Ebene eine durch und durch demokratische und unberechenbare. Und ihre Poesie am Zufall und an den unvermuteten leuchtenden Momenten ausgerichtet, auch wenn diese erst in der rückhaltlosen Auseinandersetzung mit Kunst und Wirklichkeit aufscheinen. Gerade die optisch herausstechenden Elemente des Textes, von denen bereits die Rede war, lassen immer wieder diese andere Zone der Wahrnehmung hervorleuchten.

Die kursiven Sätze und Satzsplitter etwa, in denen nicht selten die Wortstellung verdreht ist und in denen andere Regeln zu gelten scheinen. Wenn man den Text für einen Moment als Bild wahrnimmt, dann wirken sie wie Teile eines Palimpsests, wie geschichtete Texte oder geschichtete Textzeit, wie teilweise decollagierte Collagen, die wiederum weitere Bilder freisetzen: Die schrägen Buchstaben der Kursivschrift scheinen dann etwa eine andere Geschwindigkeit zu haben, als würde der Wind über sie hinwegwehen und sie zum Laufen bringen. Und die Falte in der “Falte im Trinkglas“ beginnt aus dem Glas wie eine gleichzeitig punktgenaue und auch halluzinierte Beobachtung herauszuschillern.

Auf der einen Seite könnten also die “Lieblings-“ Dinge, -Menschen, -Lektüren etc. für den Pol der Benennung stehen, von dem Gertrude Stein gesprochen hat. Und das heißt für den Versuch, die Wahrnehmung so weit als möglich zu singularisieren und so einzigartig und unwiederholbar wie möglich zu machen.

Während die andere Tendenz dieses Buches, das in einer früheren Fassung übrigens “Narration“ hätte heißen sollen (62), trefflich mit dem Steinschen “Aufeinanderfolgen von Dingen“ charakterisierbar wäre. Am augenfälligsten findet dieses Aufeinanderfolgen im “und“ des Textes ein Zeichen.UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING deutet schon darauf hin, dass dieses Sprechen als ein ergänzendes, aufeinander folgendes, sich fortsetzendes Sprechen zu verstehen ist. Viele der Absätze des Buches beginnen mit so einem “und“, das gleichsam nach vorne und zurück weist:

Und ich nähere mich dem Zentrum des Schreibens und es ist ein wunderbarer Regenmorgen und ich hatte einen Brocken Weiszbrot verschluckt, und ich hatte Magenschmerzen weil ich das Weiszbrot, ohne es gekaut zu haben, heruntergeschluckt hatte, es glitt meinen Schlund hinunter, glatt und wie kl. Schlange , und hie und da wird die Werkstatt aufgemacht, dasz man sehen konnte was alles entsteht, und ich nahm eine höhere Dosis, und mein Koffer lag halb gepackt auf dem Sofa und ich wuszte ich würde … (60).

Das “und“ in dieser Passage – die Stelle erstreckt sich noch auf eine weitere ganze Seite – ist weniger Kitt, mit dem etwa alles aneinander geklebt würde, als ein offenes Element, das sozusagen lose zwischen der Unendlichkeit der Erscheinungen steht, anonym, austauschbar, und das gleichzeitig auf geradezu zauberische Art verbindet und in Beziehung setzt, was eigentlich verstreut ist. Das “und“ wird, mit Walter Benjamin gesprochen, zum Zeichen einer rite de passage, mithin zu einem mythischen Übergangszeichen, das weiterwinkt, zulässt, durchlässt und aufmacht:

  • Und da stehen wir nun, und ich beobachtete … (75),
  • Und es stürzen die Tränen und wie ich im Fieber bin dies alles hin- und herauszuschreien und -schreiben nicht wahr … (87),
  • Und ich war vexiert, und ich schreibe jetzt figural … (116),
  • und EJ im Krankenhaus und EDITH und ich ihn täglich besuchten und es ihm schlecht ging … (63).

All diese durch “unds“ eingeleiteten Absätze kommen aus einem Nirgendwo [9]. In gewissem Sinn haben sie eine ähnliche Funktion wie die Infinitive der heruntergekommenen Sprache Ernst Jandls. Sie werden zu den Nullstellen der Prosa, die sie erst zusammenhängen, ohne sie jedoch auf eine etwaige Kausalität zu reduzieren. Ähnlich wie die Infinitive von Jandls heruntergekommener Sprache von ihrer Zahl, ihrem Modus und ihrer Person befreien, so laden auch sie sich erst in ihrem jeweiligen Kontext mit spezifischen Bedeutungen und Funktionen auf und fungieren so gleichsam als neutrale Elemente oder Batterien. An diesen Partikelchen zeigt sich Sprache letztlich als jenes intersubjektives Medium, durch dessen Objektivität gerade bei Mayröcker und Jandl die subjektiven Möglichkeiten des Ausdrucks aufscheinen. Auf dieser Ebene und an solchen Zeichen wie dem “und“ zerstäubt aber auch die oben angesprochene Intimität einer solchen Prosa und verwandelt sich zurück in objektives, intersubjektives Sprechen: “und die Liebe ging ein und aus und ohnegleichen“(63), worin die Medialität ihrer Prosa auch so eingeschränkte und einschränkende Begriffe wie Intimität und Privatheit wieder durchlässig macht und sie aus ihren apolitischen und konservativen Festschreibungen herauslöst und für einen neuen Gebrauch freistellt [10].

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NICHT-STIL

In gewissem Sinn zeigt sich die Mayröckersche Prosa an diesem Punkt als ein beziehungsstiftender Kosmos, der sich als Zwischen- oder Übergangssprache, als “und“-Sprache artikuliert. Die in ihr wirkende Beziehungsarbeit – “Drähte Kabel zu den verschiedensten Personen …“ (11) – macht auf sich vor allem durch die zahlreichen Namen und Figuren aufmerksam. Darin schwingt zum einen die oben beschriebene Benennungstendenz mit, zum anderen fächert sich das sprechende Subjekt auf diese Weise in eine Unzahl von mitsprechenden Figuren und Stimmen auf. So wird die Prosa zu einer Narration, die sich weniger personal als vielmehr kollektiv und interaktiv artikuliert. Dass die im Text kursierenden Namen dabei meist von real existierenden Personen stammen, gibt der Prosa etwas Tagebuchartiges und Privates, wobei sich dieser Eindruck wie eine Haut auch wieder ablöst, wenn sich dieses Ich in seinen vielfachen Brechungen und Schichtungen unentwegt vervielfältigt und verwandelt.

In gewissem Sinn gibt es in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING keine Identität. An ihrer Stelle kommt es indes zu unterschiedlichen Identitäts- und Verwandlungsmomenten [12], die dem ungeschützten Schreibgestus und der existenziell geschüttelten Sprache geschuldet sind. Die Ausrichtung an der eigenen Wahrheit und den eigenen Triebfedern, Motiven, Affektmustern scheint dabei sowohl eine Grundkonstante des Mayröckerschen wie auch des Jandlschen Schreibens zu bilden [13]: In diesem entstehenden Buch habe ich einen Nicht-Stil angewendet also eine Art literarischer Selbstentblöszung, nicht wahr, […]“ (222), heißt es in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING einmal. Das Ideal dieser Prosa, ganz an diesem Nicht-Stil ausgerichtet, ist mithin der eigenen Nicht-Existenz sehr viel näher als irgendeiner offiziellen Sprechweise. Wie weit kann sie sich aber von der Existenz anderer Sprachen wegbewegen ? Und wie nahe kommt sie gleichzeitig an die Wirklichkeit und die Figuren heran, von denen sie handelt ?

Die Problematik führt tangential zu jenen Fragen, die auch in Jandls heruntergekommener Sprache in den Vordergrund getreten sind. Auch bei Jandl ist die Sprache zu einer Nennsprache und einer Sprache der ersten und letzten Dinge geworden. Auch sie ist eher als eine Nicht-Sprache in einem Nicht-Stil beschreibbar, die auf ihre “Sogenanntheit“ und damit auf ihren uneigentlichen Status oder Nicht-Status hinweist. Auch die heruntergekommene Sprache hat ephemere Figuren aufscheinen lassen. Und auch bei Mayröcker sind es die Dritten, die Unsichtbaren, Verdeckten, die unheimlichen Anwesend-Abwesenden, die die Sprache und den Ausdruck zum Sprechen und zum Vorschein bringen. Erst diese befördern Klartext der Rede zutage. Die Frage steht daher im Raum: Was ließe sich bei Mayröcker genauer als “figural“ verstehen ? Um sie näher zu beleuchten, kann man im Grunde an jeder Stelle des Buches einhaken:

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“UND ICH SCHREIBE JETZT FIGURAL”

also ich wuszte nicht was er meinte ich verstand nicht was er sprach und ich sagte zu ihm, weil ich einen meiner weiszen Tennisschuhe hinter dem Papierkorb hervorblitzen sah, glaubte ich eine Sekunde lang ich stünde selbst dort in meinen weiszen Schuhen, und am 4. 1. 78 schrieb er auf einen Zettel: das Gedächtnis als Sinnesorgan zur Wahrnehmung von zeitlich Entferntem, nämlich Partie im kl. Tannenwald, der gepuderte Mund, damals, 55, im Lehrerheim Winterbach kostete ich zum ersten Mal Coca-Cola, das EJ auf einer Wanderung mitgenommen hatte, aber es schmeckte mir nicht, es schmeckte fremdartig, EJ schmeckte es vorzüglich und allmählich nachdem wir es immer wieder tranken, begann es auch mir zu schmecken und es wurde unser Lieblingsgetränk und wir liefen durch den Wald und da war ein geputztes Lamm in den Wolken, aber die groszen Zusammenhänge die groszen Bedeutungen gingen mir ab, und hinter den Rollos war ein glühender Ball, verloren im Weltall. Und ich schreibe jetzt ganz figural, sage ich zu EJ, und ich spüre wie es mir kalt und heisz den Rücken herunterrieselt und ich geniesze es wenn es mich fortträgt und ich lausche der Wahnsinnsarie der Maria Callas, und zwischen zwei Wolkenbrüchen eine Menschen- oder Tinten Figur . (209)

Die hier zitierte Passage besteht etwa aus einem Reden, oder genauer, aus aneinander gereihtem Reden und Denken, das in der sprechenden Chiffre EJ im Grunde nur eines jener KOMMUNIZIERENDEN GEFÄSSE findet, das weder bloß aufgefüllt wird noch Ernst Jandl nur persönlich meint. Auch die sonstigen Namen und Chiffrierungen haben bei Mayröcker eine vielfältigere Rolle als die des direkten Meinens: Freilich, sie zeigen einerseits aus dem Text heraus und dabei auf jene Unzahl von Menschen, auf von Friederike Mayröcker geschätzte Menschen (Lieblingsmenschen), die in dem Text vorkommen. Darüber hinaus öffnen diese Namen den Text aber auch. Sie geben sie gleichsam her und zurück und rufen die Menschen und Namen in den Text herein, wobei sie zu so etwas wie Lockzeichen werden. Im poetisch-demokratischen Geflecht der Zeichen und Stimmen entsteht dabei kein Exklusivitätsanspruch auf diese Namen und ihre Nennung, es sei denn, dass alles Gesagte, Erzählte, Bedeutete in gewissem Sinne exklusiv ist. In Mayröckers Spracharbeit lässt sich aber bereits etwas von den figuralen Bewegungen erkennen, die sich darin formieren. Möglichst einfach ausgedrückt: Nicht die Figuren allein machen in ihren Texten das Figurale aus, sondern die Strategien und Verfahren, die Zeichen und Nuancen tauchen selber figural auf, bilden selber die verschränkten Figurationen, aus denen das ganze Buch letztlich besteht: in der Rolle von Erzählfiguren, Wortfiguren, Stilfiguren, figuralen Tönen und Schattierungen usw. [14]

Mit anderen Worten, das Figurale kann überall auftauchen, und sei es als“Menschen- oder Tinten Figur.“ Hinter “zwei Wolkenbrüchen “ [15]. Es verwundert daher nicht, dass es im poetischen Raum von Mayröckers Buch kein Argument gibt, dass den Figuren einen Vorzug vor den anderen Erscheinungen zuschreibt. Zwar sammeln sich die Aussagen unwillkürlich an den aussagenden Subjekten und ihren Namen, doch könnten sie potenziell auch als andere Formationen und an anderen Figuren auftauchen. Subjektivität und Objektivität stellen dabei jene Spannung her, die den Stoff und den Motor der Aussagen freisetzen, die aber niemals das Ziel dieser Aussagen bilden. In diesem Sinn ist UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING auch kein Buch über Ernst Jandl und kann dennoch als poetisches Dokument zu EJ verstanden werden: als das fehlende Dritte, mit dessen Hilfe, der Kosmos EJ wieder in Schwingung versetzt, in Gesellschaft und Beziehung gebracht wird. Was sich darüber hinaus als indirekter Kommentar zu seinem Werk und seiner Person verstehen lässt. EJ wird wieder und wieder zum Sprechen gebracht und dadurch in Bewegung, in Erinnerung, in Beziehung gehalten. Die Chiffrierung ist dabei so notwendig wie im poetischen Sinn fragwürdig .

Als weitere Stichwortgeber fungieren in dem Text daher zahlreiche weitere Figuren, wie unter anderem die Ärztin, Gertrude Stein, EDITH, Leo Navratil, die Werke von Jacques Derrida, usw. [46]. So entpuppt sich das scheinbar private Schreiben der Friederike Mayröcker wie jenes Ernst Jandls als ein Schreiben in Gesellschaft. Wobei Gesellschaft bei sowohl bei Jandl wie auch bei Mayröcker die alltägliche, kleine Öffentlichkeit meint, der jeder ausgesetzt ist. Und die von den Freundinnen und Freunden, den Bekannten, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, von den Lebendigen und der Toten gebildet wird. Also eine Öffentlichkeit, in der nichts weniger als die Selbstverständlichkeiten und Empfindlichkeiten, die Wunden und Wunder des Alltags eine wesentliche Rolle spielen.

Auf diese Weise nimmt der Text Mayröckers eine dem Handkeschen KASPAR vergleichbar Haltung ein [16]. – Nur kommen die Einsagungen nicht von anonymen Fremden wie bei Handke. Dort gibt es anonyme Einsager, die auf den anfangs sprach- und wehrlosen Waisen einsprechen und ihm nicht zuletzt Zweifelhaftes zuflüstern. Sondern von der anderen Seite, eben von vertrauten Personen, her:

und das Alltagsgefüge rüttelt an mir und ich nähere mich dem Zentrum des Schreibens und Schreiens und EJ ruft, bin mit dir durch Ätherwellen verbunden. (69)

Während der KASPAR Handkes nicht einmal ein Misstrauen entwickeln kann, weil er auch kein Selbst entwickeln kann (das, eben weil er ganz den Manipulationen ausgesetzt ist), lässt sich UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING von der Sprache tragen und vertraut ihr letztlich immer wieder bedingungslos:

Ich lasse mich führen von meiner Sprache ich lasse mich tragen von meiner Sprache als sei ich ausgestattet mit Fittichen aber ich sehe es nicht und es musz von alleine kommen. (62)

Wobei die Beistrichlosigkeit dieser Stelle überrascht, beschleunigt und verwirrt, und die Wendung: “aber ich sehe es nicht“ die Ungewissheit und Offenheit als Voraussetzung dieses Schreibens nachvollziehbar macht. Eine Offenheit, die immer alles bei Friederike Mayröcker erwarten lässt.

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ANMERKUNGEN

1 ] Die in Klammern ( ) gesetzten Ziffern beziehen sich auf die Seitenzahlen in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING – Frankfurt am Main – Suhrkamp 2005

2 ] Vgl. zu der Poetik Jandls in Bezug auf Mayröcker bis einschließlich REQUIEM FÜR ERNST JANDL ( Frankfurt am Main – Suhrkamp 2001 ) ; vgl. Klaus Kastberger: Vom vom zum zum. Mayröcker bei Jandl und umgekehrt – In: PROFILE 12 – Ernst Jandl. Musik Rhythmus Radikale Dichtung – Hg. v. Bernhard Fetz – Wien – Zsolnay 2005, 158–1792 ] Vgl. zu der Poetik Jandls in Bezug auf Mayröcker bis einschließlich REQUIEM FÜR ERNST JANDL ( Frankfurt am Main – Suhrkamp 2001 ) ; vgl. Klaus Kastberger: Vom vom zum zum. Mayröcker bei Jandl und umgekehrt – In: PROFILE 12 – Ernst Jandl. Musik Rhythmus Radikale Dichtung – Hg. v. Bernhard Fetz – Wien – Zsolnay 2005, 158–179

3 ] DIE KOMMUNIZIERENDEN GEFÄSSE lassen sich in gewissem Sinn als Materialsammlung verstehen, als Rohstoff, die in einige Passagen des späteren Buches eingehen. Die erste Stufe von Friederike Mayröckers Arbeit gewinnt ihr Material, wie sich gerade im Vergleich der beiden Bücher nachvollziehen lässt, in der écriture automatique und in den Fehlleistungen und Schwächen: “Vertippe mich pausenlos, verlese mich pausenlos, …“ heißt es etwa sowohl in DIE KOMMUNIZIERENDEN GEFÄSSE ( Frankfurt am Main – Suhrkamp 2002 , 78 ) als auch in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING ( Frankfurt am Main – Suhrkamp 2005 , 100 )

4 ] Vgl. Friederike Mayröckers Buch DIE ABSCHIEDE, in dem das Abschiednehmen zum Motor für einen ganzen Text wird. (Vgl. Mayröcker – DIE ABSCHIEDE – Frankfurt am Main – Suhrkamp 1980 )

5 ] Man denke unter anderem an Antoni Tapiès in DIE KOMMUNIZIERENDEN GEFÄSSE , an Francisco de Goya in NADA / NICHTS (vgl. Mayröcker 2001), oder an Francis Bacon in UND ICH SCHÜTTELTE EINEN LIEBLING: “eigentlich imaginiere ich zu schreiben wie Francis Bacon gemalt hat“ (vgl. Mayröcker 2005 – UND ICH SCHÜTTELTE … , 70 )

6 ] Sie sind darin dem ausufernden Litanei-Stil Josef Winklers in vielerlei Hinsicht verwandt.

7 ] Gertrude Stein – THE MAKING OF AMERICANNS . GESCHICHTE VOM WERDEGANG EIINER FAMILIE – Übertragen von Lilian Faschinger u. Thomas Priebsch – Wien – Ritter 1989

8 ] Gertrude Stein – ERZÄHLEN. VIER VORTRÄGE – Übers. von Ernst Jandl – Frankfurt am Main – Suhrkamp 1971

9 ] Vgl. u.a. LANDSCHAFT MIT VERSTOSSUNG in MAGISCHE BLÄTTER II ( Frankfurt am Main – Suhrkamp 2001/1987, 10) :”Ging ruhelos auf und ab, in meinen Lieblingsbüchern, in meinen mehreren Lieblingsbüchern als könnte ich dort etwas von dem wiederfinden was ich verloren hatte, zwei Eichenhaine umfingen mich.“

10 ] Vgl. Peter Handkes “und“-Sprache, etwa in MEIN JAHR IN DER NIEMANDSBUCHT ( Frankfurt am Main – Suhrkamp 1994 , 246 ) die einen märchenhaft erzählenden Ton anschlägt. Hier ein Absatzbeginn: “Und einmal dann glaubte er so meiner Zuneigung nicht mehr. Er mied mich nichts eigens, es gab mich nicht. Bei der Begegnung am Morgen nahm er mich zur Kenntnis, ohne mich dabei wahrzunehmen.“ Auch die “unds“ bei Handke scheinen gleichsam Anknüpfungspunkte an eine “große Erzählung“ zu sein, eine Erzählung der Sprache, wenn man so sagen kann, in der sich diese “unds“ wie kleine Zauberer verhalten, die die Welt miteinander verbinden helfen. Wobei sich die Erzählung auf diesem Weg auch der Aufzählung annähert, einer beseelten Aufzählung aber, im Gegensatz etwa zu entseelten Listen.

11 ] Verwandtes ließe sich auch zum Schreiben Robert Walsers sagen, das sich ebenfalls in einer Zone scheinbarer Intimität und Weltabgekehrtheit, besonders in der späten Zeit der MIKROGRAMME , entfaltet. Auch dieses Schreiben, das quasi unterhalb der Oberfläche und in den Zwischenräumen bereits bedruckten Papiers seine Spur zog, wird zu einer Art befreiter und grenzüberschreitender Gegenrede, in der die Aktualitäten seiner Zeit beinahe noch unmittelbarer als bei Mayröcker zutage drängen. Die Intimität des Tons, die Anreden an die Leserinnen und Leser, die Unbestimmtheit des Genres, lassen in mancherlei Hinsicht an Mayröckers Prosa denken. Vgl. Robert Walser -AUS DEM BLEISTIFTGEBIET. MIKROGRAMME AUS DEN JAHREN 1924- 1933 , 5 Bde. – Frankfurt am Main – Suhrkamp 1985 – 2000

12 ] Auch Anspielungen auf Augustinus berühmte CONFESSIONES sind bei Mayröcker zu finden. “und nun gebt erneut acht ihr meine Leser, Augustinus XIII, xix, 25.“ (Mayröcker 2005 – UND ICH SCHÜTTELTE … , 157)

13 ] Darin zeichnet sich wohl auch die Prägung der beiden Werke durch die Bibel ab. Man denke nur an den Gestus von Jandls Traktat-Gedichten, etwa an VON EINEN SPRACHEN , der vor allem vom Grundmuster des Bekenntnisses geprägt ist. Vgl. Jandl: DIE BEARBEITUNG DER MÜTZE (1978) , E. J. : POETISCHE WERKE 7 – Neudwied – Luchterhand 1997, 194

14 ] Vielleicht stammt diese Frage von der Auseinandersetzung mit Gilles Deleuzes Buch zu Bacon: FRANCIS BACON – LOGIK DER SENSATION, wo dem Problem des Figurativen und des Figuralen nachgegangen wird ( Gilles Deleuze – FRANCIS BACON – DIE LOGIK DER SENSATION – München – Fink 1995 )

15 ] Elfriede Jelineks Prosa verfährt in diesem Punkt durchaus vergleichbar. Auch diese lässt sich als vielstimmige Zwischensprache verstehen, deren Ausrichtung jedoch nicht in erster Linie am Kreis der Bekannten ausgerichtet ist wie bei Friederike Mayröcker, sondern viel mehr am Stimmengeflecht der Medien und der Klischees von Weltanschauungen.

16 ] Nicht zuletzt folgt auch die Dichtung Friederike Mayröckers unentwegt dem Gestus der Widmung, sei es im Titel oder unterhalb des Gedichts, was nur auf einer weiteren Ebene zeigt, wie genuin diese Zuwendung und dieses In-Beziehung-Treten zu ihrer Poetik gehört, während bei Jandl die Widmung im Vergleich dazu weit seltener vorkommt.

17 ] Vgl. Peter Handke – KASPAR ( 1969 ) – Frankfurt am Main – Suhrkamp 1992

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QUELLE

Michael Hammerschmid und Helmut Neundlinger : “VON EINEN SPRACHEN”. POETOLGISCHE UNTRSUCHUNGEN ZUM WERK ERNST JANDLS – Innsbruck – Studienverlag 2009 , 173 – 184

Illustration : Friederike Mayröcker

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AUTOREN

Friederike Mayröcker

Michael Hammerschmid

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HINWEIS

Von Friederike Mayröcker sind folgende Werke rezent erschienen | aktuell im Erscheinen :

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