Radek Knapp: September 2009, Wien Südbahnhof

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September 2009, Wien Südbahnhof

Als ich an diesem Dienstag morgen am Südbahhof eintrudelte, mußte ich an Nat King Cole denken. Er liebte es fremde Orte zu besuchen. Das einzige, was er an der Reise hasste war das Reisen. Ich mochte das Reisen, misstraute aber aus fundierten Gründen dem Reiseprozeß. Das Auto beförderte allein in einem Monat mehr Menschen ins Jenseits als der Eletkrische Stuhl in seiner ganzen Geschichte, und wenn es um schlechte Erfahrungen mit dem Fliegen ging, konnte ich sogar auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Meine Flugangst holte mir ich keineswegs durch das Betrachten von Flugzeugkatastrophen im Fernsehen, sondern in einer Aeroflotmaschine von Singapaur nach Warschau. Dass sie von zwei betrunkenen Piloten gesteuert wurde, die Gesichter von Kindern hatten, störte mich nicht. Ich war Slawe und konnte dem Vodkakonsum auch eine philosphische Note abgewinnen. Aber dass die beiden Burschen eindeutig einen zuviel in der Krone hatten wurde über Taschkent klar. Ausgerechnet über dieser kleinen Stadt setzte mitten im Flug ein Motor aus, wodurch die beiden gezwungen wurden ihre Pilotenkabine zu verlassen. Glücklicherweise trudelte die Maschine gewaltig, was sie geistesgegenwärtig ausnutzten, um ihre vodkabedingten Gleichgewichtstörungen zu verschleiern. Zur Beruhig der Situtation trugen sie Werkzeuge in der Hand, die ich das letzte Mal in einer tschechischen Doku aus den fünfziger Jahren über das Leben der böhmischen Klempner gesehen hatte. Sie öffneten eine Klappe im Boden des Flugzeugs und reparierten dort mit Hilfe einer Art Hammer und eines französischen Schlüssels vor Augen der 150 Passagiere den Schaden. Unterdessen gingen die russischen Stewardessen herum und verteilten Vodka. Jenen, die gerade einen Herzinfarkt erlitten klopften sie zusätzlich auf die Schulter und beruhigten sie mit einem “Harascho. Wsio normalnie” (Ist alles Gut. Alles ist normal) .

Seitdem waren Züge meine Lieblinge. Erstens hielten sich die Katastrophen in Grenzen. Und zweitens gab es immer Überlebende, unter denen ich mich mit meinem imaginären Auge stets sah.

Beim Euroexpress Chopin Wien – Krakau – Warschau konnte ich mich nicht nur in Sicherheit wiegen. Ich würde mich auch keine Minute langweilen, denn auf den Passagier warteten stets die üblichen Attraktionen. Der Speisewagen wurde von Männern regiert, von denen James Bond noch was lernen konnte, und die Schaffner waren freundlich und intellektuell veranlagt. Sie konnten einem ahnungslosen Passagier mit wenigen Worten die dunkeln Machenschaften der Weltwirtschaftskapitäne klarer schildern als jeder Universitätsprofessor und waren imstande jederzeit das Schema eines Dieselmotors der Firma Mercedes im Kopf abrufen. Für Abenteurer mit Alkoholproblem wechselte der Chopin in der Grenzstadt Breclav extra die Lokomotive, was einem eine Viertelstunde Zeit verschafte, um aus dem Zug zu schlüpfen, eine kleine Tour durchs Zentrum zu machen und noch rechtzeitig mit ein paar Dosen Gambrinus zurückzukehren. Noch vor kurzem, fünfzehn Jahre sind ja bekanntlich ein Augenblick, gab es noch eine weitere Attraktion. Man nannte ihn den Eisernen Vorhang. Da wurde der Chopin in Breclav zwei Stunden buchstäblich gefangengehalten. Jeder westliche Bürger konnte erleben, was es bedeutete, die eigene Existenz in die Hand eines Mannes zu legen, der in einer grünen Zöllneruniform steckte. Mit etwas Glück machte man noch außerdem die Bekanntschaft mit einem tschechischen Schäferhund, gegen den Komissar Rex ein Intellektueller war …

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