Radek Knapp: Flugzeugabsturz mit einem Präsidenten

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Die Nachricht schlägt ein wie ein Blitz. Heute ist der polnische Präsident samt Gattin und 94 anderen Personen bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen.  Ich schaltete den Fernseher in meinem Hotel ein und wünsche mir zum ersten Mal ich hätte für diesen Minischirm ein Vergrößerungsglas. Man sieht einen Miniwald in dem kleine weiße Flocken liegen, die die Trümmerteile der Unglücksmaschine sind. Ringsum laufen hin und her kleine Männchen in russischen Uniformen und geben Befehle auf russisch, die wie kleine Piespser klingen. Ein Männchen in Schwarz steht in der Mitte und sagt etwas. Es ist Wladimir Putin, der Führer einer der größten Nationen dieses immer weniger sympathisch werdenden Planeten.

Am größten ist aber das  Gesicht des polnischen Präsidenten. Es ist in der Ecke eingeblendet. Es ist dasselbe Gesicht, das man schon seit vielen Jahren im Fernsehen sieht, nur läuft jetzt diagonal ein schwarzes Bändchen quer über seine Stirn, schneidet das Ohr und verschwindet in der unteren Ecke. Der Präsident lächelt und es ist das gleiche umstrittene Lächeln, das ganz Polen seit Jahren kennt und laut Umfragen zu 80 Prozent abwählen wollte. Dann werden andere Gesichter eingeblendet. Das seiner Gattin, die ihm irgendwie ähnlich sieht. Dann kommen die hohen Würdenträger. Die Generäle sind um die fünfzig oder sechzig. Sehen streng ins Objektiv und man sieht das hinter ihrer Stirn schwere militärische Geheimnisse schlummern. Ein General gibt sich leger. Er hat eine Sonnenbrille und die Mütze ist keck verschoben. Man sieht, dass für seine Fünfzig überdurchschnittlich durchtrainiert ist.

Dann kommen die Erzbischöfe, nicht mehr  sportlich, verweichlicht und mit einem etwas zu wachen Blick, den man bei Priestern manchmal sieht. Dann die Angehörigen der Katynfamilien, anständige, einfache Gesichter, die schon ein paar im Leben in den Gewehrlauf einer Kalaschnikow geschaut und es überlebt hatten.  Zum Schluss die Besatzung, die Bodyguards und die Stewardessen. Junge Leute, die Stewardessen zwanzig oder etwas mehr. Eine hat eine Stupsnase und ein fröhliches Lächeln eines Mädchens, das zu sagen scheint, es gibt Probleme aber man darf sich nicht von denen unterkriegen lassen.

Dann kommen die Details der Katastrophe. Ich fische mir ohne die Augen vom Schirm zu lösen eine Miniflasche aus der Minibar und lausche. Ich lausche eine halbe Stunde und dann fasse ich mir selber alles zusammen.

Das Flugzeug war nach Katyn/Smolensk zu den Feierlichkeiten zum Gedenken an die 70. Wiederkehr des Massakers von Katyn unterwegs, es gab auf dem Landeplatz einen starken Nebel, der Funkturm riet dem Piloten dringend von einer Landung ab und schlug einen anderen Flughafen vor. Aber das Flugzeug versuchte trotzdem zu landen. Es zerschellte ein paar hundert Meter vor der Landbahn, niemand überlebte.

Und dann denke ich mich mir das, was sich jeder wahrscheinlich in Polen gedacht hat. Katyn? Warum ausgerechnet Katyn?

Katyn ist für die Polen so etwas wie Auschwitz für die Juden. Das ist so als wäre die israelische Delegation mit Präsident und Mossadchef ein paar Kilometer vor Auschwitz umgekommen. Ich sehe schon die Schlagzeiten in der Boulevardpresse.  “Ausschwitz tötet wieder Juden”. Genau so eine Schlagzeile kommt auch  am nächsten Tag  in die Zeitung.  “Verdammtes Katyn, halbe polnische Elite ausgelöscht!”

Ich habe lange nicht verstanden, warum Katyn so ein Trauma ist. NKWD, der russische Vorgänger des KGB hat dort 20 Tausend polnische Offiziere im 2. Weltkrieg umgebracht und in den märchenhaften und nebelproduzierenden Katynwäldern verscharrt. Alles in ein paar Tagen. Schrecklich. Gewiss. Aber trotzdem. Es gab noch schlimmere Massaker im 2. Weltkrieg, wo die Zahlen in die Hunderttausende gingen. Warum ausgerechnet dieses?

Dann erfuhr ich, dass diese 20 Tausend Offiziere den Grundstock der polnischen Intelligenz bildete. Man hatte im Krieg Ärzte, Lehrer, Juristen und sogar Künstler mangels Personals zu Offizieren ernannt. Und 20 Tausend waren damals so wie heute 200 Tausend. Damals musste der Spruch geprägt worden sein Die Deutschen wollen uns die Freiheit wegnehmen, die Russen unsere Seele.

Mich persönlich hatte an Katyn bislang sogar auf eine makabre Art fasziniert. Ich meine den russischen NKWD- Obersten  Wassilij Blochin, der die polnischen Offiiziere persönlich hingerichtet hat. Gegen diesen etwas beleibten, sorgfältig rasierten Mann mit dem Gesicht eines Onkels, der eine heimliche Schwäche für Süßigkeiten hat, steht der französische Henker Sanson, der während er französischen Revolution täglich 10 Leute guillotinierte, wie ein Kind da. Wassilij Blochin hat in seinem langen Leben von denen 30 Jahre  auf aktiven Dienst im NKWD fielen 50 Tausend Menschen (darunter Isaak Babel) eigenhändig umgebracht. Das macht im Schnitt zehn Menschen täglich und zwar dreißig Jahre lang. Jemand sagte, ein einzelner Mensch ist ein Universum. Tötest du einen, tötest du eine ganze Welt. Ich würde gerne einen Mann treffen, der täglich 10 Welten auslöscht.  Natürlich müsste ich hinter dickem Panzerglas sein. Blochin tötete nämlich immer mit einer Pistole, einer Walther, weil deren Lauf nicht so schnell heiß wurde wie bei einer Beretta oder russischen  Fabrikaten.

Ich nahm ein Schluck aus dem Minifläschen und dachte weiter. Ich fragte mich dasselbe, was sich alle in Polen als nächstes fragten. Warum wollte das Flugzeug ausgerechnet in  Smolensk – 20 km östlich von Katyn - landen, wenn das wetterbedingt unmöglich war. Die Antwort brauch ich mir gar nicht suchen, sie kommt gerade in dem Moment auf dem Minischirm. Ein hochrangiger Pilot erklärt, dass der Präsident die Neigung hatte seine Piloten zur Landung zu zwingen. Auch oder vor allem bei widrigen Umständen. Ob er das jetzt getan hat ist natürlich ein Rätsel, aber die Lage war in diesen Minuten vor der Landung für den Präsidenten nicht einfach. Würde das Flugzeug wo anders landen, würde die ganze Feier flöten gehen. Präsident Kaczynski würde nicht in Katyn erscheinen und die Russen daran erinnern, was sie für Mörder waren.  Aber gerade deswegen war er unterwegs. Das war eine Botschaft, die er schon seit dreißig Jahren mit sich trug, sie aufwärmte und an ihr feilte. Eine Botschaft, der er schon vor vierzig Jahren   in seinem jungen Historikerherzen einen besonderen Platz eingeräumt hatte. Und niemand kann es ihm verübeln, dass er sie jetzt  um jeden Preis zu verkünden wollte.

“Aber der Nebel, die Gravitation, Sie verstehen, nimmt keine Rücksicht auf Präsidenten und Ideale”, sagt der Pilot. Er wird schnell abgewürgt, verschwindet vom Bildschirm wie er erschienen ist. Wieder werden die Gesichter der Toten gezeigt und ihre Namen in einer monotonen Stimme vorgelesen.

Ich nehme einen weiteren Schluck und fasse abschließend zusammen:

So wie es die griechische Tragödie gibt, gibt es auch die polnische. Die polnische ist bloß tragischer als eine gewöhnliche Tragödie. Draußen im Westen versteht das niemand. Man fragt sich: wie kann man so einem Präsidenten nachtrauern, den man eigentlich nicht mochte, und der es höchstens auf 25 Prozent der Stimmen brachte. Aber die Sache ist nicht einfach. Das beginnt schon damit, dass Polen ein Land ist, das in den letzten 200 Jahren immer wieder von der Landkarte verschwand um dann auf einem anderen Ort aufzutauchen. Diese Nation hat die Hosen voll. Jede kleine Erschütterung, bringt dieses zerbrechliche Bewusstsein von Freiheit, das sich in den letzten zwanzig Jahren vorsichtig kristallisiert ins Wanken. Und ein Flugzeug mit einem toten Präsidenten vor Katyn ist eine mächtige Erschütterung. Dazu kommt, dass die Polen, wie Krzysztof Dobrek, der Ausnahmemusiker mal gesagt hat, dann am glücklichsten sind, wenn sie weinen. Man müsste ein Lied mit dem Titel komponieren:  Durch die Tränen siehst du die Welt klarer. Natürlich nur als Pole. Als Deutscher, Franzose oder Australier siehst du immer noch alles verschwommen.

Ich schalte die Kanäle um. Überall das gleiche. Alles langsam, alles in schwarz und jeder hat eine tiefe Stimme. Die Ansagerin der Hauptnachrichten hat ein Taschentuch neben sich liegen. Und sogar der Wetterfrosch hat Tränen in den Augen. Schließlich soll das Wetter an der Katastrophe schuld gewesen sein.  Langsam beginnt mir der Kopf zu rauchen. Ich schalte aus und öffne das nächste Minifläschen. Dann  nehme ich mir fest vor, mit allen Mitteln den Namen des Genies herauszufinden, das die Minibar erfunden hat.

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