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HELENE HEGEMANN : SCHAUM DER NULLER JAHRE

| echt welt texte |

NZZ , 4. 3. 2011

icon listening black 200czz – Mehr Zeitgeist geht nicht: Nachdem das rasant-radikale Romandebüt der damals 18-jährigen Helene Hegemann 2010 zunächst mit Begeisterung als jugendliches Seinsprotokoll der nuller Jahre begrüsst worden war, wendete sich das Feuilletonblatt mit dem Aufkommen von Plagiatsvorwürfen. Dies umso mehr, als sich der Klau im Internet ereignete, wo ein Blogger von der Berliner Techno-Klub-Kultur berichtete.

Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Hegemanns “Axolotl Roadkill” gingen eben wieder die Wogen hoch bei der Debatte um Wohl und Wehe des World Wide Web, so dass die Autorin rasch zum Exempel einer Generation des “copy and paste” avancierte. Dabei placiert Hegemann schon auf den ersten Seiten ihres Buches quasi eine “Gebrauchsanweisung” für ihr Werk, indem sie einer der Figuren in den Mund legt: “Ich bediene mich überall, wo ich Inspiration finde und beflügelt werde.”

Trotz der unverhohlenen Mimikry an Sounds und Stimmen wie die von Rainald Goetz oder Sibylle Berg weist Hegemanns furiose Prosa hinreichend Eigenständigkeit auf, um die selbstquälerische Reflexivität der im Buch 16-Jährigen zu dokumentieren. Im Monolog des Tagebuchs, aber auch in Dialogen oder einer SMS-Korrespondenz wechseln in sprachlichen Kaskaden manische und depressive Momente ab – parallel zum Pendeln zwischen Dünnhäutigkeit und Abgebrühtheit in der Weltwahrnehmung.

Die Pointe ist freilich, dass eine Person, die in jedem dritten Satz auf ihre psychische Dissoziation zu sprechen kommt, einem in Figurenzeichnung und Stimmungsbildern absolut geschlossenen Roman entstammt. In der akustischen Fassung, die bei Hörbuch Hamburg vorliegt, ist es Burgschauspielerin Birgit Minichmayr, die Hegemanns rand- und bandlosem Verbalradikalismus ihre grimmige Stimme gibt.

  • Helene Hegemann : Axolotl Roadkill – Lesung Birgit Minichmayr – 4 CD (242 Min.) – Hörbuch Hamburg 2010 ( Detail )

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WOLFGANG HERRNDORF : GRAND TOUR NIT TÜCKEN

| echt welt texte |

NZZ 4. 3. 2011

icon listening whiteczz – Seltsam verletzlich war es in Wolfgang Herrndorfs Prosa bis anhin zugegangen. Sowohl der Romanerstling “In Plüschgewittern” (2002) als auch die beim Bachmann-Preis 2004 vorgestellte Erzählung “Diesseits des Van-Allen-Gürtels” zeigen ein cooles Berlin, an dessen Ignoranz und Isolation die Protagonisten (heimlich) scheitern.

Mit seinem jüngsten Roman, “Tschick“, dreht der 1965 geborene Autor die Perspektive um und kehrt zusammen mit seinen romanesken Antihelden dem Mief der Metropole den Rücken. Indem die Klassenkameraden Maik und Tschick von Berlin fort und in einen fabelhaften Sommer fahren, öffnet sich das platte Land im Osten, das sich als weniger wild denn als von kuriosen Charakteren bewohnt erweist.

Die Abenteuer, die den Dreizehnjährigen im Zuge ihrer ziemlich ziellosen Reise in einem von Tschick kreativ “entlehnten” Lada widerfahren, sind ein pittoresk pikaresker Ausbruch aus der häuslichen Enge. Wobei freilich schnell plausibel wird, wie nahe der wohlstandsverwahrloste Architektensohn Maik dem sogenannten “Asi” (“Asozialen”) Tschick in vielerlei Hinsicht ist. Herrndorf legt mit “Tschick” einen erfrischenden Jugendroman vor, dessen Protagonisten den letzten Sommer ihrer Kindheit mit einer “Gand Tour” der Pannen, Peinlichkeiten und Pfiffigkeiten zelebrieren.

In der auditiven Fassung des Romans läuft Hanno Kofler (geb. 1980) angesichts der gewitzt zwischen Migranten-Pidgin und Jugendjargon changierenden Sprache Tschicks zur Höchstform auf. Don Quijote und Sancho Pansa, Tom Sawyer und Huckleberry Finn winken Herrndorfs sympathischen Figuren aus der Ferne frohgemut zu. ( Detail )

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| echt welt texte |

NEUE “MÄRLI FÜR ERWACHSENE”

NZZ , 4. 3. 2011

icon listening black 200czz – Wenn Kinder, wie der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim dekretierte, “Märchen brauchen”, so frommt auch sogenannt Erwachsenen das Wundersame und Schreckliche, vorzugsweise mit gütlich-glücklichem Ende. Seit Jahren erfreut sich die Veranstaltungsreihe “Märli für Erwachsene” eines steigenden Publikumszuspruchs, so dass nun die dritte Folge der gewitzt verdrehten, verschobenen oder aus ungewohntem Blickwinkel stibitzten “Märli” vorliegt.

Was diese von Schweizer Kabarett-Künstlern und Spoken-Word-Künstlerinnen erdachten und vorgebrachten “Märli” eint, ist das bei allem Aberwitz wirkungsvolle Understatement in der Diktion. Neben absurden Plots wie der unaufhaltsamen Schrumpfung des Kopfes eines Herrn Giacometti (Timmermahn) ist eine Reihe witziger Verschiebungen der Perspektive zu beobachten. So etwa das traurige Schicksal des Baggers Massimo, der – trotz heldenhaften Verdiensten um Strasse und Verkehr – es beim “Anbaggern” möglicher Lebensgefährtinnen an der nötigen Grazie mangeln lässt (Simon Libsig). Köstlich transportiert Trudi Gerster das Märchen vom “Wolf und den sieben Geisslein” in den Management-Jargon, und Borkenkäfer “Schtif Mäkwin” (besser bekannt als Steve McQueen) hätte sich eine Kreuzfahrt komfortabler vorgestellt als den unerwarteten Massenbetrieb auf Noahs Arche.

Auch eine Art “Märli” erzählt der Autor Tim Krohn, der sich mit “Der Geist am Berg” um das Genre der Legende bemüht. Die Geschichte von Stine, einem der “Geierwally” nachempfundenen Kind der Berge, bleibt parabolisch offen und in stetem Dialog mit den erstaunlichen Sounds der Musikerin Anna Trauffer. Selten ist ein solch beziehungsreiches, zugleich aber auch dem Aggregat der Stille verpflichtetes Ineinander von Text und Komposition zu vernehmen.

Märli für Erwachsene – Live-Anthologie – 1 CD (61 Min.) ; Tim Krohn : Der Geist am Berg , Musik Anna Trauffer – 1 CD (47 Min.) – beide : swissandfamous 2010 ( Detail )

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KLANGAPPARAT

Eine gehörige Portion Durchhaltevermögen präsentiert das Netlabel Deep-X Recordings auf ihrer Februar- Release : Mit dem Jekaterinenburger Mr.Dee (aka Dmitrii P.) czz-hoerempfehlunggilt die Aufmerksamkeit nun einem der Lokalmatadoren – Seine “Winter Remixes P2” taugt mit Deep Minimal- und experimentellen Sounds zum praktikablen Ohrenwärmer .

ClLICK LINK TO LISTEN (WMP )

thx to deepgooa

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