Salon Littéraire | Katharina Riese : Geselchte Affen oder die Milch ist schlecht

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Salon Littéraire | Katharina Riese :

Geselchte Affen oder die Milch ist schlecht

Riese Kaffeebecher

Die Grenze zwischen Erträglich und Unerträglich dürfen Sie sich vor allem nicht als begreifbar vorstellen. Es ist eher so, dass alles so ist wie vorher, nur dass sich Verbindungen gelöst haben oder manche Dinge nicht mehr gehen, was der/die Betroffene und seine/ihre Umgebung erst recht nicht beziehungsweise nur unter gewissen Umständen und bei bestimmten Gelegenheiten bemerkt. Sie kennen das: Die Milch ist schlecht. Die Milch steht ganz friedlich in ihrer Flasche im Kühlschrank. Sie sieht aus wie immer. In der Früh greifen sie in den Kühlschrank, um einen Schuss Milch in den Kaffee zu geben und dann sehen Sie diese kleinen Flocken im schwarz bleibenden Kaffee und Sie wissen, die Milch ist verdorben.

Das, was als eine milchig weiße Einheit ausgesehen hat, entpuppt sich als Gemisch. Die Teile des Gemischs haben sich getrennt. In aller Stille und endgültig. Aus einer schlecht gewordenen Milch können sie keine genießbare Milch mehr machen. Da können Sie sich halbtot schütteln. Nichts zu machen. Umso ärgerlicher, wenn Experten für das Menschliche Ihnen den mondgesichtigen Rat geben: Immer fest schütteln. Es wird schon wieder! Hass flammt auf. Hilflosigkeit. Schlecht. Mir wird schlecht. Kopfweh, Schwindel, Erbrechen. Migräne. Medikamente. Injektionen. Dann kommt das Leben zurück. Man hat wieder Appetit auf eine Wurtsemmel, eine Zigarette, ein Glas Bier, man ist wieder zurück in der Arena des Konsums und das Leben geht weiter. Na also. So ernst kann die Sache nicht gewesen sein. Das stimmt und stimmt auch nicht, denn ein Trauma ist per se jenseits von Ernst und Nichternst. Leiden, Schmerz, Hass, Wut, Trauer, alle Gefühle sind noch, um im zuvor gewählten Bild zu bleiben “Milch”. Das Unerträgliche liegt nicht in den Ereignissen sondern in den Bedeutungen. Jaques Lacan hat entdeckt, dass das Objekt untrennbar mit seiner Bedeutung verbunden ist. Die Mutter ist “die Mutter”. Das ist so einfach und im Denken schwer durchzuhalten, dass er selbst verrückt geworden ist. Aber es war der richtige Ansatz.

Ein anderes Bild: Ein Haustier, ein Äffchen verschwindet unter mysteriösen Umständen und taucht am Markt als geselchtes Wildfleisch wieder auf. Es liegt, ausgeweidet, aber sonst intakt, mitsamt den Haaren, als schwarz geselchtes Wildfleisch auf einem Berg von Geselchtem und wird von Hausfrauen nach Fettgehalt, Fleischanteil und Raffinesse der verwendeten Gewürze begutachtet und gemustert wird. Das Kind, dessen Haustier das Äffchen war, hat an einem Detail – ein eingerissenes Ohr – sofort erkannt, dass es sein Äffchen ist. Nach dieser grausige Entdeckung, dass für mich jeder Zweifel ausgeschlossen, dass es sich um mein Äffchen handelt, ist nichts mehr wie zuvor und doch ist alles wie zuvor: Der Naschmarkt ist der Naschmarkt, um 16 Uhr habe ich Klavierstunde, danach ist Abendessen. Ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät in die Stunde. Man hat ein Haustier. Normal. Es verschwindet eines Tages. Traurig, kommt aber vor. Am Markt wird Fleisch, geselchtes Fleisch angeboten. Nichts Besonderes. Das Fleisch wird gemustert, begutachtet, gekauft, heimgetragen und als Speise zubereitet. Nichts Besonderes.

P.S. Affenfleisch wird auf Wiener Märkten nicht angeboten. Unter “Wild” werden hier Hasen, Rehe, Fasane, Rebhühner, Hirsche verstanden. Affenfleisch, geselchtes, wird selbstredend nur dort angeboten wo es wilde Affen gibt, zum Beispiel in Afrika. Frage: Woher kommt das Schimpfwort “g’söchter Off” im Wienerischen?

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Katharina Riese

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