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PRESSPLAY : AKUSTISCHE ABENTEUER | STEN NADOLNY : WERDEN UND GEWORDEN- SEIN | MAX HERRMANN- NEISSE : EXZESSIV EXPRESSIV

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PRESSPLAY : AKUSTISCHE ABENTEUER

In : NZZ , 5. 10. 2012

czz audio aktuell blackDie Zeiten, da die Produktion von Hörspielen aus technischen, distributiven und finanziellen Gründen an die Funkhäuser gebunden war, sind vorbei: der Geräte- und Software- Markt ermöglicht heute durch leistbare Technik auf breiter Basis die Realisation audiophoner Werke praktisch im Schlafzimmer.

Spätestens seit Mitte der Neunziger Jahre wuchs eine freie Hörspielszene heran, welche bei Festivals wie dem Leipziger Hörspielsommer, der Chemnitzer Hörspielinsel oder dem Berliner Hörspielfestival sich präsentiert. In diesen Auffangbecken akustischer Originalität sucht und findet Claes Neuefeind das Material für seine “pressplay”-Anthologien, deren dritte Ausgabe soeben erschienen ist und zwanzig aktuelle Produktionen vorstellt.

Die Klangarbeiten sind zwischen einer dreiviertel Minute und einer knappen Stunde lang, wobei deren Autorinnen und Autoren in den sechziger bis achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren sind. Was bei der jüngsten “pressplay”- Ausgabe auffällt, ist, dass sich der Grossteil der Produktionen mit medialen Themen auseinandersetzt, seien dies nun die verschiedensten Formen des Datings im Internet, seien dies die Usancen in sozialen Netzwerken wie Facebook: bereits die vom Programm vorgegebenen sprachlichen Gesten (“x gefällt das”, “als Freund adden”) stellen den Klangkünstlern reizvolles Sprach- und Klangmaterial zur Disposition, um Gruppen- und Massendynamiken witzig auszuspielen.

Andere Ansätze der Medienreflexion bedienen sich des Dokumentarischen wie ein Feature über journalistische News-Produktion, für welches typische Alltagssituationen in den Redaktionen von ntv, heute, taz, Tagesschau etc. aufgenommen worden sind. Eine klassische Dokumentation geht den illegalen Geschäften mit der Kehrseite unseres kommunikationstechnischen Fortschritts – dem hochgiftigen Elektroschrott – nach.

Freilich sind nicht alle der zwanzig – durchwegs mit exzellenten Sprechern besetzten – Hörstücke in gleichem Masse geglückt, was sie deshalb nicht weniger hörenswert macht. “pressplay 3″ schult das Gehör für Genres, verfeinert das Gespür für gestalterische Mittel und stellt ganz gewiss ein ebenso spannendes wie lehrreiches akustisches Abenteuer dar. ( page )

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STEN NADOLNY : WERDEN UND GEWORDEN- SEIN

In : NZZ , 5. 10. 2012

czz audio aktuell whiteSo ein Unfall geht schnell, zeitigt allerdings in den wenigsten Fällen die komplizierten Wirkungen, wie sie der deutsche Schriftsteller Sten Nadolny für seinen Protagonisten Wilhelm Weitling vorsieht.

Die Fiktion, dass Weitling, Richter im Ruhestand, infolge eines Chocs bei einem Bootunfall am Chiemsee aus dem Jetzt fällt, um in seine Lebenssituation als Sechzehnjähriger zu stürzen, mag zunächst surreal anmuten. In Tat und Wahrheit bildet dieser kleine literarische Trick die Chance, eine Alter Ego-Figur in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung zu beobachten und dabei zu spekulieren, was in diesem Leben anders hätte laufen können.

Die Biographie ist hier allerdings kein Spiel, dessen Elemente (noch) verhandelbar wären: Weitling vermag sein 2010-Bewusstsein nicht in die Lebenswelt von 1958 zu übersetzen, um der Larve seiner selbst zu einer “besseren” Entwicklung zu verhelfen. Der Clou indes ist, dass Nadolnys Protagonist bei der spiegelbildlich angelegten Rückkehr in seine bejahrte Hülle in einem anderen Sein landet, wo die Hauptfigur nicht als Richter, sondern als Schriftsteller werkt.

All diese Alter Egos und Spiegelungen, welche von Seiten des mitunter philosophischen, mitunter ironischen Erzählers freundlich in Trab gehalten werden, erscheinen in Gert Heidenreichs agiler Sprechkunst sehr präsent, doch auch in angemessener Distanz. Wo die Narration trotz ihrer gewagten Konstruktion das Einzelne in einen Pool der Ruhe tunkt, assoziiert man natürlich sofort Titel und These von Sten Nadolnys Welterfolg, dem 1983 erstmals erschienenen Roman “Die Entdeckung der Langsamkeit“.

Die Gunst der Stunde des neuen Buches nutzend und anlässlich seines 70. Geburtstags hat sich Sten Nadolny der Mühe unterzogen, dieses eminente Werk integral einzuspielen, wobei seine sanfte, an langer Leine schwingende Stimme von den Abenteuern und Forschungen des John Franklin, Seemann und Nordpolforscher, erzählt, auch hier das Werden und Geworden-Sein reflektierend. ( page )

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MAX HERRMANN- NEISSE : EXZESSIV EXPRESSIV

In : NZZ , 5. 10. 2012

czz audio aktuell black“Wir waren sowohl Lyriker als auch Zyniker. Korrekt und anarchisch.” Der dies schrieb, besass eine der meistgehörten Stimmen des literarischen Expresssionismus der Zwischenkriegszeit, ja verkörperte gleichsam den Aufschrei derer, welche die drastische Erfahrung der individuellen und gesellschaftlichen Versehrungen, die der erste Weltkrieg hinterlassen hatte, in Wort und Bild darlegten.

Max Herrmann, der sich – nicht zuletzt, um sich von dem Kunsthistoriker gleichen Namens abzusetzen – nach seiner Herkunftsstadt Neisse nannte, zählt gleichzeitig zu den meist gemalten, gezeichneten und fotografierten Figuren der Weimarer Republik: Von Ludwig Meidner bis hin zu George Grosz, dessen Wahlverwandtschaft Max Herrmann-Neisse in seinen Erinnerungen beschwor, sind jeweils mehrere Studien und Portraits der verwachsenen Gestalt des Dichters erhalten.

Es heisst, dass Herrmann-Neisse seine Leiblichkeit in den literarischen Kabaretts der Bohème und Avantgarde geradezu offensiv ausstellte. Mit Grosz verbrand diesen kleinen grossen Mann der Hang zu dramatischen Sprachbildern und einer oft brutalen Bildersprache, ganz zu schweigen von der Kritik am Kapitalismus und dem wieder erstarkenden Nationalismus.

Als Herrmann-Neisse kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 nach London emigrierte, vegetierte er dort in zunehmender Isolation und Depression. Die Tragödie geht über den frühen Tod dieses Dichters 1941 hinaus und gilt einem lange Zeit vergessenen Werk.

Ein Hörbuch, klug aus den Materialien einer Tagung zu Werk und Wirkung Herrmann-Neisses komponiert, lässt jetzt aufhorchen und es verschmelzen dieses Leben, dieses Werk zu einem einzigen Schrei der Verzweiflung. Als Klangcollage mit Lautzitaten und evokativen Stimmungen illustriert, verfehlt das Hörbild nicht seine Wirkung. ( page )

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