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||| HÖLDERLIN, ENTSCHLEUNIGT | “ERZÄHLERSTIMMEN” : AURA DES AUTHENTISCHEN |

 

HÖLDERLIN, ENTSCHLEUNIGT

echt welt texte |

 NZZ , 4. 1. 2013

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czz – Die sogenannten “Turmgedichte”, welche Friederich Hölderlin seit 1806 im Erkerzimmer des Hauses seiner Pflegefamilie verfasste, dürften seit einigen Jahrzehnten zum meist rezipierten Werk-Komplex im Oeuvre des Dichters zählen. Im Alter von 37 Jahren entmündigt, verbrachte der Dichter – schon für Zeitgenossen ein Inbild des Topos “Genie und Wahn” – 36 Jahre im Tübinger Turm. Die Gedichte, die Hölderlin teils unter Alter Ego-Namen wie “Scardanelli” oder “Buonarotti” in einfachen Reimen niederschrieb, verstören just in ihrer reich mit tröstlichen Naturbildern illuminierten Beschwörung von Harmonie, deren Abgründe nicht selten an den alarmierend anachronistischen Datierungen (“den 9ten Merz 1940″) ahnbar sind.

In klarer Absage an jedwede Form von Drama und Pathos intoniert der in Wien lebende Stimm- und Performancekünstler Christian Reiner in einer Einspielung für ECM das poetische Material: Mit seiner melodisch “geraden” bzw. neutralen Diktion widersagt Reiner der vordergründigen Emotion und trägt damit gleichzeitig der Absenz eines lyrischen Ich Rechnung. Lange Pausen zwischen den Einzelversen – oft sechs, ja acht Taktschläge lang – orchestrieren die den Naturbetrachtungen eingeschriebene Stille. Die temporale Verfremdung entreisst den Reimen deren scheinbare Selbstverständlichkeit und rückt somit das Wörtliche dieser Texte ins Bewusstsein. Ambivalent muss diese vom Labelgründer Manfred Eicher und dem Dichter Wolf Wondratschek produzierte Interpretation freilich dort bleiben, wo die artifizielle Zerdehnung der Versfolge mitunter manieristisch anmutet und die Erkenntnis von Binnenzusammenhängen vernebelt. ( >>> page )

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“ERZÄHLERSTIMMEN” : AURA DES AUTHENTISCHEN

 

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NZZ , 4. 1. 2013

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 czz – “Wir wollten blühen. Wir wollten Frucht bringen.” Mit erstaunlicher Klarheit klingt dieser Beginn von Gerhart Hauptmanns Autobiografie in einer phonographischen Aufnahme aus dem Jahr 1905 ins 21. Jahrhundert herüber: kraftvoll und prononciert, im gehobenen Ton einer Ansprache. Zwischen diesem frühesten Originalton und dem jüngsten Zeugnis – Marlene Streeruwitz liest für den HR im Mai 2012 – liegen 107 Jahre Audio- und Autorengeschichte. Nach dem erklecklichen Echo, das die vor drei Jahren veröffentliche O-Ton Anthologie “Dichterstimmen” mit Klangzeugnissen von 122 Lyrikern fand, setzt Der Hörverlag dank des bewährten Herausgeberteams Christiane Collorio, Michael Krüger und Hans Sarkowicz die Klangarchäologie im Reich deutschsprachiger Prosa fort.

Die in Qualität und Quantität spektakuläre Edition versammelt auf 44 CD Text- und Stimm-Dokumente von nicht weniger als 183 Autorinnen und Autoren. Literaturgeschichte erweist sich in dieser Perspektive als eng mit der Medien-, Technik- und Rundfunkhistorie verzahnt, wobei die auditiven Primärquellen erstaunliche oder gar neue Einsichten und Aufschlüsse gewähren: in emphatischem Sinn vermag die Stimme mit ihrem unverwechselbaren Timbre, Takt und Tonus, ihrem regionalen Zungenschlag und historischen Anklang die nackte literaturhistorische Chronik zu beseelen. In analytischer Hinsicht gibt die Autorenlesung mit ihrem Aufführungs-Charakter Hinweise darauf, wie der jeweilige Autor sein Werk gehört und somit buchstäblich verstanden wissen wollte.

Ingesamt wurde der heiklen Auswahl repräsentativer Texte und Autoren im Rahmen des archivalisch Vorhandenen mit Grazie begegnet und der schweizerischen wie auch der österreichischen Literatur auf undogmatische Weise angemessener Platz eingeräumt. Mit jeder Laufminute der insgesamt 3380 Minuten Spielzeit erweist sich, dass der von Walter Benjamin Mitte der dreissiger Jahre in seinem massgeblichen Essay “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit” diagnostizierte “Verlust der Aura” womöglich die photographische, in keiner Weise jedoch die phonographische Reproduktion anbelangt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Über dem planen Material von Literaturgeschichte(n) wölbt sich plötzlich ein Kosmos der Konkretionen, stiftet Bezüge und erregt Emotionen, sodass sich die “Erzählerstimmen” letztlich als grandioses Projekt auratischer Aufklärung erweisen. ( >>> page )

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F. SCOTT FITZGERALD : WUNSCHLOSES UNGLÜCK

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NZZ , 4. 1. 2013

czz audio aktuell blackczz. · Was sich als Sittenbild mondäner Expatriates anlässt, die ihren amerikanischen Glamour zwischen Riviera und «Ritz« zur Schau stellen, sieht zunächst nach einer heiteren Feier der Lebenslust aus. Wie Lichtpunkte wirken die Figuren hingetupft, als könnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben. Und doch bereitet F. Scott Fitzgerald, der mit diesem von autobiografischen Motiven geprägten vierten und letzten Roman neun lange Jahre rang, das Unglück von langer Hand vor.Es ist, als hätte der Autor unmerkliche Mengen von Giftstoffen beigemengt, welche durch den Kunstgriff des Perspektivwechsels plötzlich kenntlich werden und den Glanz der Figuren erheblich trüben. Es erweist sich, dass seelische Verwerfungen durch Langeweile auf hohem Niveau nicht einzulullen sind und der Tag der Wiederkehr des Verdrängten jederzeit heranbrechen kann. So zumindest suggeriert es die Geschichte um den Sturz des jovialen Weltmannes Dick Diver in Trunksucht, Einsamkeit und schliesslich ins Verschwinden. Hier schimmert die Selbstwahrnehmung des Autors fast ungefiltert durch.Als Sprecher hält Burghart Klaussner eine wohldosierte – mitunter auch ein wenig ironische – Äquidistanz zu den Figuren in ihrem wechselvollen Geschick. Von mehr als nur lokalem Interesse dürfte die Schilderung jener psychiatrischen Klinik in der Schweiz anmuten, wo F. Scott Fitzgeralds Ehefrau Zelda nach einem Nervenzusammenbruch Patientin von Eugen Bleuler war. ( >>> page )

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