NORA GOMRINGERS MONSTER IM GEDICHT | STIMMSTARK : GERT FRÖBE LIEST MORGENSTERN , KÄSTNER | APART : KATHARINA THALBACH LIEST RINGELNATZ
NORA GOMRINGERS MONSTER IM GEDICHT
NZZ 5. 4. 2013
czz – Sie kam aus der Slam-Szene, fand in einer stimmlich-klanglich orientierten Poesie die Richtung ihrer Dichtung und wurde 2011 als bisher jüngste Preisträgerin mit dem Jacob-Grimm-Preis geehrt: Nora Gomringers Stimme eignet eine Aura, die aufhorchen lässt, klinge sie nun mädchenhaft hell, fragil oder schnippisch. Nuanciert zitiert sie distinkte Register und lässt in tieferen Lagen einen erdigen Blues erahnen.
Wie wenig der Stimmklang wirkungssicherer Selbstzweck ist, sondern beim Schreiben den «Versuch zu klingen» inspiriert, erweist ihr eben mit CD erschienener sechster Gedichtband. Der 25 Texte umfassende Zyklus von «Monster Poems» kartografiert allerlei Unwesen, von mythischen Typen wie Dracula bis hin zu Hollywood-Kreaturen wie King Kong oder dem Weissen Hai. Wobei offenbleibt, wer monströser sei, die Homunkuli, Golems und Mutanten oder deren Schöpfer, die Frankensteins, Wagners und Gen-Ingenieure dieser Welt.
Die Dichterin verschränkt popkulturelle Meme mit Mythen und Märchen, wobei Hinweise auf menschliche Monster aus den Chroniken der Gewalt rekurrieren. So evoziert Böcklins «Toteninsel» plötzlich die norwegische Insel Utøya («Versionen»), werden Dorian Gray und Midas («Golden Boy») ebenso enggeführt wie der irre Killer aus «Psycho» und das Schicksal der Dichterin Sylvia Plath («P»). Die Texte sind von einem Faden der Reflexion und Exposition von Herrschaft und Gewalt durchwirkt, ohne dass dies pathetisch anmuten würde.
Wo die Monster, wie schon Augustinus wusste, mitten unter den Menschen wohnen, kodifiziert der grosse böse Wolf des Märchens bestehende männliche Machtverhältnisse («Jäger»). Vielleicht aber, wird im Eingangsgedicht avisiert, ist alles ganz anders und es sei Weiblichkeit in einer «Man’s Man’s Man’s World» das eigentlich Monströse («Monster & Mädchen»). In virtuosem Vortrag verschmitzt intoniert, geben die Gedichte erst peu à peu die ihnen eingewobenen Monstermuster zu erkennen: der Hörer darf diese aufspüren, muss aber nicht. ( >> page )
-
Nora Gomringer spricht Monster Poems . Buch, illustriert von Reimar Limmer, und CD (31 Min.), Voland & Quist 2013
-
radio | on air on line on site : Nora Gomringer , Wolfgang Helmhart – “Literatur als Radiokunst” im ORF- “kunstradio”
-
|||
STIMMSTARK : GERT FRÖBE LIEST MORGENSTERN , KÄSTNER
NZZ 5. 4. 2013
czz – Krähend und krächzend, fiepend und lispelnd, säuselnd und heulend – als stimm- und atemstarker Rezitator war der Charakterdarsteller Gert Fröbe ein eminenter Interpret der neusachlichen, humoristisch und lautlich ausgreifenden Poesie von Erich Kästner, Joachim Ringelnatz oder Christian Morgenstern. Der Kein-&-Aber-Verlag legt aus Anlass des 100. Jahrestags von Fröbes Geburt (Februar 2013) seine bisherigen Fröbe-Editionen neu auf.
In einer Aufnahme aus dem Jahr 1988 hört man Fröbe mit Morgenstern, dessen Tier- und Elementargedichte dem Interpreten viele Freiheiten gewähren: von der unentschlossenen Schnecke, der ururalten «Schildkrökröte» und den selbstverständlich nach «Emma» aussehenden Möwen bis hin zu den Figurationen von Wasser, Wind und Feuer zieht der Sprecher alle Register mimischer Stimmung. Dass Fröbe es auch leiser konnte, zeigt eine Lesung aus Erich Kästners «Lyrischer Hausapotheke». Der pointierten Lakonie in rhythmisch dynamischer Taktung fügt Fröbe einige Dehnungen und Raffungen hinzu, erlaubt sich allenfalls kurze szenisch-mimische Momente, wobei die den Gedichten Kästners innewohnende Melancholie stets merkbar mitschwingt.
Mit Gert Fröbe ist ein Könner zu hören, dessen expressives Rezitieren fruchtbare Fragen zu Stand und Wandel der Vortragskultur inspiriert. ( >> page )
-
Gert Fröbe liest Christian Morgenstern und Erich Kästner , 2 CD (69 Min.), Kein & Aber 2013
|||
APART : KATHARINA THALBACH LIEST RINGELNATZ
NZZ 5. 4. 2013
czz – Die Magie ihrer Stimme ist diffizil zu definieren: Mit dem Klang ihres rauchig-kratzigen, schnarrenden, ja androgyn gefärbten Organs vermag die Schauspielerin Katharina Thalbach immer wieder neu zu faszinieren. Ihre zwischen rauem Berliner Schnodder und warmem Singsang changierende, manchmal karg verknappte Diktion kommt der witzigen, mitunter «sinnigen» Dichtung des Joachim Ringelnatz enorm entgegen.
Die Anthologie, die der Audiobuch-Verlag eben vorlegt, ist mit Bedacht komponiert, so dass lyrische Hits wie der «Bumerang» im Wechsel mit weniger geläufigen Prosastücken erklingen. Diese Erzählungen, Schnurren und Märchen lassen Aussenseiter als ehrliche und authentische Charaktere dastehen, in sinnbildhaftem Gegensatz zu dem in Konvention, Vorurteil und Komment moralisch verbogenen Bürger.
Manche der flott gereimten Gedichte, deren Protagonisten oft Tiere oder Dinge sind, enden in unverhältnismässig sentenziösen Kadenzen, welche komisch die scheinbare Kleinheit der Szene kontrastieren: «So will man oft und kann doch nicht / Und leistet dann recht gern Verzicht», heisst es beispielsweise von der gescheiterten Australienreise zweier Ameisen. Am charmantesten setzen sich freilich die Feind- und Freundlichkeiten trivialer Objekte in Szene: so wie die Romanze von Schraube und Nagel, ein philosophisches Brikett oder ein verliebter «Briefmark». Sie alle erweckt Katharina Thalbachs Stimme zum Leben und dreht dem gängigen Attribut der «Unsinnspoesie» eine lange Nase. ( >> page )
-
Katharina Thalbach liest Joachim Ringelnatz , 1 CD (69 Min.), Audiobuch-Verlag 2013
|||