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||| CANETTI: “BLENDUNG” IN GROSSEM FORMAT | ARNO SCHMIDT: GASTGEBER , GASTNEHMER ?

| echt welt texte |

CANETTI : “BLENDUNG” IN GROSSEM FORMAT

ED NZZ , 6. 12. 2013

czz_audio_aktuell_black-27.pngczz – Wenn der Regisseur, Komponist und Autor Klaus Buhlert als Spezialist für panoramatische Werke (“Moby Dick“, “Der Process” und jüngst der 24stündige “Ulysses“) jetzt Elias Canettis Roman “Die Blendung” in einen 12teiligen Klangraum überführt, kostet er den grosszügigen akustischen Raum weidlich aus, um Szenen und Charaktere wort-wörtlich zum Klingen zu bringen.

Gleichzeitig bedient sich der Regisseur non-verbaler akustischer Mittel, um Atmosphären zu entfalten. Wo Einzelakkorde, erratische Vokalisen und manche instantane Dynamik der Neuen Musik die Kruste des Konventionalklangs durchbrechen, wird auch das Gespinst der Stimmen vor den Reduktionen eines linearen Realismus bewahrt.

Mit grimmigem Witz führt Canetti seinen “Helden”, den wissenschaftlich genialen, “menschlich” allerdings völlig unentwickelten Sinologen Peter Kien im Reich seiner Privatbibliothek vor. Als der Gelehrte, welcher der profanen Welt eigentlich keine Konzessionen zu machen gedenkt, die Haushälterin Therese engagiert, nimmt das Drama der Verblendungen seinen Lauf. Indem er “die Frau” ehelicht, hofft Kien, in seiner Rolle als “der Mann” grössere Verfügungsgewalt über diese grässliche Gestalt der Gemeinplätze zu gewinnen.
Tatsächlich aber zieht Therese eine monströse Fauna von Typen an, die den Elfenbeinturm als Quelle für schnelles Geld beim Versatzamt betrachten. Kien – nun nicht mehr respektierter “Professor”, sondern der kriminellen Emsigkeit ein Hindernis, wird in ein finstereres Kabinett abgeschoben, wo ihn sein Bruder Georg vorfindet, um die Verhältnisse zu ordnen.

Hier wird nicht nur offenbar, wie dicht das von knapp dreissig Schauspielern intonierte Sprechspiel gefügt ist, sondern erschliesst sich peu à peu auch die musikalische Ratio: Was anfangs nur in Einzeltönen, dann in Akkorden oder rhythmischen Sequenzen erklingt, erweist sich im Verlauf des 12stündigen Hörspiels als Paraphrase jenes tränentreibenden Wienerliedes, das – interpretiert von Anton Karas, Hans Moser, Paula Wessely, André Heller oder Peter Alexander – das Motiv des seligen Vergessens beschwört: “Waun da Heagott net wü, nutzt des goa nix,/ Sei net bös, net nervös, sog es woa nix.”

Der spandünne Kien auf der Leiter in seiner brennenden Bibliothek gibt das Schlussbild eines klanglich-musikalisch fabelhaft massgeschneiderten, gedanklich gut durchdrungenen und von grossen Stimmen getragenen Hörwerks. ( page )

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ARNO SCHMIDT : GASTGEBER , GASTNEHMER ?

ED NZZ , 6. 12. 2013

czz_audio_aktuell_white-20.pngczz – Ist Einer, bloss weil er veröffentlicht, eine öffentliche Figur? Wäre dann jeder Enthusiast berechtigt, dieser angeblich öffentlichen Figur auf Grund, Haus und Pelle zu rücken? – Nicht umsonst hatte Arno Schmidt in den fünfziger Jahren einen Fluchtpunkt gesucht, wo er in ländlicher Stille den Stimmen “seiner” Dichter analytisch und schwelgerisch lauschen und seine eigene finden, zäumen und satteln konnte. In Bargfeld, einem winzigen Weiler, gingen Arno und Alice Schmidt vor Anker und dies bezeichnenderweise im hintersten Häuschen des Heidedorfs.

Das war 1958, womit ein neuer und sowohl in seiner Abgeschiedenheit als auch hinsichtlich der Rauheit seiner Ureinwohner nachgerade exotischer Ort in der literarischen Topographie aufschien. Da wollte, wenn mal wieder ein mit PKW ausgestatteter Reporter auf Jagd nach einer provinzgesättigten Homestory vom Meister abgewiesen worden war, das Genrebild des knurrigen Eremiten nur allzu gut passen. Dass dem nicht unbedingt so war, beweisen die Schmidt-Kenner und -Herausgeber Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma mit ihren Lesungen und Mémoiren anlässlich einer Veranstaltung in Bargfeld.

In erklärenden Sätzen und klug ausgewählten Werkzitaten wird Schmidts Beheimatung im kargen Heideland offenbar, wobei Zitate von gelehrten Freunden wie Jörg Drews oder Hans Wollschläger von manchem Moment inniger Einvernehmlichkeit zeugen. Mit Lesungen aus den “Ländlichen Erzählungen” (“Kühe in Halbtrauer” und “Piporakemes!“) treten Bargfelder (Un-)Gastlichkeiten literarisch hervor. Die Momente der Rührung, die sich angehörs der Texte – insbesondere der liebevollen Anekdoten – einstellen, unterlaufen eigentlich die Ironiepflicht des geneigten Schmidtianers. Wo aber wäre diese besser aufgehoben als in der hier dokumentierten Zusammenkunft just zu Bargfeld? ( page )

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