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Elfriede Jelinek: Flucht und Macht
NZZ, 5. 9. 2014

audio aktuell neuczz – Die Nachrichten und Bilder von den nicht anerkannten Immigranten, die im Winter 2012/13 elf Wochen lang in der klammkalten Wiener Votivkirche ausharrten, sorgten im Hinblick auf die österreichische Flüchtlingspolitik für denkwürdige Bilder. Dies, zumal aufgeflogen war, dass ein mächtiger Industriekonzern zugunsten der österreichischen Einbürgerung einer Tochter Boris Jelzins politisch interveniert hatte.

Wo wird entschieden, fragt Elfriede Jelinek in ihrem 2013 entstandenen Text «Die Schutzbefohlenen», wer willkommener oder missliebiger Fremder ist? Wer sind die Bauernopfer einer Postdemokatie?

Sind die übergangenen Stimmbürger dies nicht ebenso wie die Ver- und Getriebenen?

Im Mahlwerk der Jelinekschen Sprache verwandeln sich die Fall-Geschichten in steinige Motivlawinen, welche die Blümchenwiesen der seligen Verdrängung empfindlich ritzen. Vielfältig ist der reissende Sprachfluss durchwirkt von Momenten aus den «Schutzflehenden», dem ältesten Werk des Aischylos, welches die Flucht der Danaiden nach Argos und deren politisch prekäre komplizierte Aufnahme thematisiert.

Wo manche Parallele auf der Hand liegt, greift der mit seinen akustischen Literatur-Inszenierungen herausragende Regisseur Leonhard Koppelmann das besondere Stilmerkmal des im 5. Jahrhundert v. Chr. entstandenen Theatertextes auf, nämlich die zentrale Rolle des Chores. Stimmen und Widerstimmen bauen sich auf zu einer massiven Klangwand, von welcher der scharfkörnige Sand der (An)Klage in die geschmierte Geläufigkeit der Diskurse rieselt. Text und Szene brechen Systeme auf, um symbolisch das freizulegen, was der in Rede stehende mächtige Konzern produziert: einen Haufen von Einzelteilen.

  • Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen, Regie: Leonhard Koppelmann, 1 CD (79 Min.), BR/belleville 2014

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Stanislaw Lem: Unter Doubles
NZZ, 5. 9. 2014

audio aktuell neuczz – Solaris, ein seltsamer Planet in einer fernen Galaxie: weiten Teils mit Meer bedeckt, beschienen von zwei alternierend aufziehenden Sonnen, ist seit Längerem spektakuläres Liebkind der Wissenschaft. Imaginiert hat dieses Gestirn Stanislaw Lem in dem 1961 erschienenen gleichnamigen Science-Fiction-Roman, welcher in düsteren Prospekten Fragen zur Natur menschlichen Bewusstseins aufwirft.

Die Besatzung, die ein neu hinzukommender Raumfahrer in der recht verkommenen Raumstation über dem Meer von Solaris antrifft, erscheint im Zustand totaler Demoralisation und dumpfen Desinteresses. Eben hat sich ein Kollege an Bord das Leben genommen. Noch beklemmender sind allerdings jene befremdlichen Entitäten, welche sich in menschlicher Gestalt, generiert aus jeweils persönlichen Bewusstseinsinhalten der Raumfahrer, materialisieren. Die 3-D-Doubles, mit Sprechfähigkeit, ja mit einem gewissen Spektrum von Denken ausgestattet, lassen keine Absicht, keinen Plan oder gar eine gezielte Strategie erkennen wie es für die aggressiven Duplikate bei Philip K. Dick gilt. Die Frage, ob die Vernichtung dieser verführerischen und verwirrenden “Wesen” legitim sei, dreht sich in metaphysischen Loops.

Die auditive Fassung lässt trefflich die bizarren, mitunter auch witzigen Momente des Romans aufleuchten. Nicht zuletzt gibt der Urtext Gelegenheit, die bezwingenden Bilder von Andrej Tarkowskijs eminenter Verfilmung (1972) ebenso auszuloten wie Steven Soderberghs Variation mit George Clooney in der Hauptrolle (2002). Detlef Bierstedt, deutscher Synchronsprecher Clooneys, gibt die fast neun Stunden gelassen und verleiht den Figuren stimmlich Gestalt, ohne dabei auf die dramatische Pauke zu hauen.

  • Stanislaw Lem: Solaris, gesprochen von Detlef Bierstedt; 2 MP3-CD (525 Min.), HörbucHHamburg 2014

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Friedrich Torberg: Existenz ohne Erbarmen
NZZ, 5. 9. 2014

audio aktuell neuczz – Packendes poetisches Planspiel, schonungsloses KZ-Drama, philosophisch-theologische Parabel: Friedrich Torbergs Novelle «Mein ist die Rache», 1942 im amerikanischen Exil publiziert, inszeniert mit alttestamentarischer Wucht, beklemmender Brutalität und böser Schicksalsfügung ein existenzielles Problem, dessen Aporien wie Krakenarme den fehlbaren Menschen zugrunde reissen.

Die Szenerie eines fiktiven KZ-Nebenlagers gibt einen geschlossenen Kosmos, dessen jüdischen Insassen den perfid erdachten, geniesserisch praktizierten physischen und psychischen Foltermethoden des Lagerleiters ausgesetzt sind. Es ist eine Welt ohne Heil, ohne Gnade, ohne Hoffnung, ohne Sinn, in welcher es schon nicht mehr darum geht, den Täter anzuklagen, sondern um die Form, dem existenziellen Extrem theologisch-ethisch entgegenzutreten.

Die mosaische und in der Bibel vielfältig zitierte Direktive «Die Rache ist mein; ich will vergelten» spricht dem Menschen das Recht des Richtens ab und befiehlt, dieses dem biblischen Gott zu überantworten. Das pure Sein als Opfer, als Schuld, als Widerstand prägt nicht nur die verzweifelten Verständigungen in der Baracke, sondern in infamer Spiegelung die sophistischen Spiele, die der sadistische Lagerleiter mit seinen Opfern treibt. Grausig rundet das überraschende Finale den Kreis von Opfer und untilgbarer Schuld: schwer, steinern, ewig.

Mit dem Burgschauspieler Cornelius Obonya ist eine mächtige Stimme am Wort, intensiv und sensibel, musikalisch die Dynamiken des Textes auslotend. Ein Sprecher, welchen man den Dramaturgen deutschsprachiger Hörverlage dringend ans Herz legen möchte.

  • Friedrich Torberg: Mein ist die Rache, gesprochen von Cornelius Obonya, 2 CD (127 Min.), Mono Verlag 2014

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