Rezension vom 27.08.2015
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"Ein Leben", 1883 erschienen, ist meine erste Annäherung an Klassiker der französischen Literatur. Guy de Maupassant war mir aus dem früheren Französischunterricht noch ein Begriff mit seiner Novelle "Boule de suif", und so war ich gespannt, diesen Autoren wieder für mich zu entdecken. Ein sehr schöner, poetischer Roman aus der Feder eines damals erst Anfang dreißigjährigen Autors, der für Skandale sorgte und sogar aus den Buchhadlungen verbannt wurde.
Beschrieben wird das Schicksal der jungen Jeanne Le Perthuis des Vauds, der Tochter eines Barons und einer Baronesse. Als 17jährige ohne jegliche Lebenserfahrung kehrt sie nach einer Ausbildung im Kloster nach Hause zurück und verbringt den Sommer gemeinsam mit den Eltern auf dem Landgut Les Peuples. Dort lernt sie den einige Jahre älteren Vicomte Julien de Lamare kennen und wird ziemlich prompt mit ihm verheiratet. Die ganz neuen, aufkeimenden Gefühle des jungen Mädches für einen Mann werden schlagartig durch die harte Realität zerschlagen. Die rohe und unromantische Hochzeitsnacht ist etwas, auf das niemand Jeanne vorbereitet hat und ihre naiven Vorstellungen von Liebe in den Schatten stellt. Schon bald kommen auch die dunklen Seite des verherrlichten Gatten ans Licht und Jeanne sieht sich mit Geiz und Kontrolle konfrontiert. Schlimmer aber noch wiegt die ständige Untreue Juliens, aus dessen Affäre ein uneheliches Kind hervorgeht. Ein schwerer Schlag für die junge Ehefrau. Ihre Familie bietet ihr keinen Rückhalt und so lebt sie weiter mit dem untreuen Gatten. Die Geburt des eigenen Sohnes Paul gibt ihrem Leben endlich einen Sinn, doch soll der weitere Lebensweg Jeannes weiterhin beschwerlich und voller Schicksalsschläge sein. Wird die adlige Dame ihren Weg meistern?
Der Titel "Ein Leben oder Die schlichte Wahrheit" ist meiner Meinung nach ziemlich treffend. Das Leben einer adligen Dame des 19. Jahrhunderts muss ziemlich sinnfrei und auch in gewisser Weise ereignislos gewesen sein. Jeannes Leben ist frei von einer effektiven Beschäftigung, nur gelegentliche Besuche von Freunden und Landpartien zu Pferde oder auf dem Boot bieten kurze abwechslungsreiche Stunden. Nur das Mutterglück ist eine besondere Aufgabe, die mit (zuviel) Eifer in Angriff genommen wird. Dieses oft oberflächliche Leben kennt leider kaum echte Zuneigung und Freundschaften, das muss Jeanne erkennen. De Maupassant gelingt es, das ganze Leid und den Kummer der jungen Frau stilistisch treffend und in sehr poetischer Form einzufangen. Sätze wie " Zuweilen beweint man die Illusionen mit ebenso viel Trauer wie die Toten." sind ein wahres Kleinod der Literatur. Naturbeobachtungen gehen oft mit den Emotionen der Protagonistin einher, so verändert sich mit Herbst und Winter oft die Stimmung und auch die Handlung wird zunehmend düsterer.
Der Einstieg in den Roman fiel mir zunächst ein wenig schwer, man musste sich natürlich erst in die etwas altertümliche Sprache und den Stil einfinden. Die Handlung nahm aber bald an Fahrt auf und der Lesegenuss begann. Eine wechselvolle Geschichte voller Tragik und Dramatik, eine ganz neue Entdeckung eines Klassikers um Frauen des 19. Jahrhunderts.. Ich kann nur empfehlen, sich an die Lektüre zu wagen!
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