Rezensionen 2006
Christoph W. Bauer, supersonic. logbuch einer reise ins verschwinden.
Wien: Edition Korrespondenzen, 2005. 132 S.
Wo Dichterworte um Tod und Liebe kreisen, bedrohen sie Absturzgefahr. Hin zum Sterben, durch den Exitus und darüber hinaus ist es eine gefährliche Reise, eine Expedition ins Verstummen, welche für den Dichter bedeuten muss, die Grenzen seiner Wortgewalt einzugestehen, ja vorauszusetzen. Dennoch wagt C.W. Bauer in seinem neuen Poesieband diesen Trip ins Herz des Sterbens hinein, indem er das Thema vielmehr (lyrisch) recherchiert als – um mit Rilke zu sprechen – „poetisch abtastet“.
In seinem „Logbuch einer Reise ins Verschwinden“ betätigt sich Christoph W. Bauer als lyrischer Spurenleser des Todes – und dies gleich auf mindestens drei Ebenen, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.
Nicht nur sammelt er in seinen 70 Gedichten, welche insgesamt ein einziges „Lied vom Tod“ ergeben sollen, kulturgeschichtliche und religiöse Bilder des Jenseits quer durch die Weltgeschichte. Auch switcht der Dichter vor dem Leserauge vom ägyptischen Totenreich über den Hades zur Jenseitskonzeption Dantes, streift babylonische Vorstellungen und blendet antike Anekdoten, wie jene um Simonides und den Faustkämpfer Skopas, sowie Querverweise auf die mittelalterliche Scholastik ein, um last, but not least auch noch schlaglichtartig auf das tibetanische Totenbuch oder Ansichten der Etoro auf Papua Neuguinea zu verweisen. Dazwischen spürt der „Trittbrettfahrer“, wie er sich im Nachwort nennt, der Bedeutung des literarischen Schrifttums über den Tod quer durch (fast) alle Epochen nach. Aus dem hier nur gerafft Aufgezählten wird deutlich, dass der Autor vieles aufgreift, was kulturhistorisch den Tod behandelt. Die lyrische Recherche zum Tod entfaltet demzufolge schon allein durch die erwähnten Verweise nolens volens einen gewissen Anspruch auf Belesenheit. Von diesem ist auch im Nachwort insofern die Rede, als dass dort (indirekt) angemerkt wird, dass es doch eigentlich gelten muss, die „Fakten, Zeilen von Angelesenem“ (131) zu transzendieren, indem der Dichter den „hinterm Gelehrsamkeitsnickel“ (ebd.) versteckten Blick über das erworbene Wissen hinaus wagt.
Folgerichtig erweitert der „Logbuchführer“ die Reise von der beschriebenen abstrakt-kulturgeschichtlichen und –philosophischen um eine weitere, nämlich die geographische Dimension; die Expedition durch die Zeit erscheint dadurch gleichzeitig als ein Forschungstrip durch den Raum: Von fernen und entferntesten Ländern (u.a. Spanien, Australien, Indien, Papua-Neuguinea, Argentinien, Nowosibirsk) bis hin zu kleinen, begrenztesten Lebens- bzw. Todesräumen, deren ultimative Steigerung die Intensivstation darstellt, wechseln die Orte, an denen man per Gedichten an Land gelassen wird, um dann aber immer wieder weiterzureisen und schließlich sogar im All zu kreisen, ohne jedoch je an ein Ziel zu gelangen. Das einzige Ziel bildet ja die Reise selbst, wie dem Leser in den zehn Zyklen progressiv verdeutlicht wird. Ebenso klar zeigt sich vom exhortativen „lets go“ des Anfangs bis zu den letzten, unter „exitus“ zusammengefassten und wiederum mit „lets go“ ausklingenden Texten heraus, dass sich neben physischen Landschaften auch „psychische“ im „Logbuch“ festschreiben müssen, nämlich Erinnerungen, wie etwa die eines alternden Menschen, welchem seine Verortung in der Welt (und in sich selbst) in Todesnähe allmählich abhanden kommt (s. „aprikosen“, 21 – 33) oder auch Verortungsschwierigkeiten einer ganzen Generation, welche erwachsenwerdend ihre Helden und sich selbst vergisst (s. v.a. „aeronauten“, 79 – 93). Die Dimension des Erinnerns bzw. Vergessens vermengt sich in den von I bis LXX durchlaufend nummerierten lyrischen Logbucheinträgen mit der kulturhistorischen und der „geographischen“ Dimension, welche – in wechselnder Konstellation und Intensität – die einzelnen Texte bestimmen und dazu beitragen, dass der Dichter es doch schafft, den Ballast des „Angelesenen“ in den Griff zu bekommen.
Wie schon festgestellt, nimmt ein Poet sich mit einem derartigen Projekt einiges vor und erarbeitet sich in diesem speziellen Fall viel „Faktenwissen“, um sich dem „Thema Tod“ anzunähern - dies vermag dem Leser sicher die Komplexität und die Tradition des Themas zu illustrieren. Zu berühren vermag der Dichter jedoch am stärksten dort, wo in seinen Gedichten am deutlichsten die dritte Dimension dominiert, wo Erinnerungslandschaften in/mit lyric-ähnlichen Passagen angestimmt werden, welche zwischen dem Deutschen und Englischen oszillieren.
Das eine Gedicht vom Tod führt den Leser nach siebzig Einzelschritten folgerichtig wieder zum Ausgang zurück, fordert dazu heraus, mit auf dem Trittbrett der gestreiften Kulturen und Länder zu fahren, mitzurecherchieren, sich mitzuvernetzen und vor allem auch das eigene Bildrepertoire vom Sterben zu überprüfen. Das Nachdenken über den Tod bestimmt den gesamten, ebenso nüchtern wie geschmackvoll gestalteten Band und bildet sinngemäß auch die „Moral von dem Gedicht“. In diesem Sinne und um das charakteristische, fortgesetzte Enjambement in Bauers Dichtung aufzugreifen: „lets go/ on“.
Sabine Eschgfäller