Rezensionen 2006
Maria E. Brunner, Was wissen die Katzen von Pantelleria
Wien: Folio Verlag 2006
Maria E. Brunners neues im Folio Verlag erschienenes Buch könnte denselben Titel tragen wie das vorhergehende, 2004 im selben Verlag erschienene: „Berge Meere Menschen“. Dieses beginnt in einem abgelegenen Gebirgsort in einem Tal in Südtirol und erzählt die Geschichte eines weiblichen Findelkindes, Kostkind genannt. Sie ist die Protagonistin des Romans, der eindringlich, verhalten und sprachlich präzise die Enge und Grausamkeiten dieser Welt schildert. Es ist die Geschichte eines permanenten Unbehaustseins, einer Fluchtbewegung, die die Protagonistin wegführt von diesem Ort, sie UNTERWEGS sein lässt: „Heimliche kleine Fluchtversuche oder gestohlene Augenblicke des Alleinseins. Aber alle großen Wege durch ein vertraut gewordenes Land schienen bereits verbaut. Weit weg mussten die Reisen führen und das Meer vor den Fenstern grenzenlos sein.“
Es versteht sich jedoch von selbst, dass das Buch einen anderen Titel trägt: „Was wissen die Katzen von Pantelleria“ – Er lässt die Leserin „intuitiv“ an die Nähe von explizitem und implizitem Wissen denken und liest sich deshalb durchaus programmatisch für die Art des Erzählens Brunners. Das Buch versammelt Prosatexte, die im Laufe der Jahre und auf Reisen entstanden sind, Reisen in den Süden Italiens, nach Deutschland, auf den Balkan, Reisen ans Meer und in die Berge, Begegnungen mit Menschen. Unterschiedlich in Länge und Erzählhaltung, wird der Band von einem inneren Kern zusammengehalten: vom „feurigen“ Interesse an anderen Menschen, an jenen, die an den Rändern leben. Durch intensive formale Arbeit abgekühlt, liegt nun höchst destillierte, luzide Prosa vor.
Die Fluchtbewegung, geschildert in „Berge Meere Menschen“, hat also einer Bewegung und Beweglichkeit im Suchen, im Hin-Schauen und Hin-Gehen Platz gemacht. Fremdheit und Vertrautheit gleichzeitig durchdringen die Texte, Synchronie und Diachronie, Mimesis und Poiesis. Die Realität und der Mythos von Orten, Landschaften und Menschen verzahnen sich ineinander, besonders eindrucksvoll meiner Meinung nach in den Texten zu Sizilien und Süditalien, einem der vier mit „Landschaften“ bezeichneten Zyklen. Da wird der Bogen von den arabischen Ursprüngen der Namen über literarische Bezüge und mythische Erzählungen bis zur bedrückenden Gegenwart gezogen, wie im kurzen Text „Donnafugata“. „Sonnenschirm“ und „Stacheldraht“ findet sich im selben Satz in der Beschreibung eines Badeorts.
Der „café al bar“ und der Mafia-Tod liegen Sekunden nahe beieinander – die Welten, die dazwischen liegen, durchdringt Brunner in eindringlichen, dabei wie unterkühlt festgehaltenen Momenten.
Es gelingt der Autorin, die so genannte „mediterraneitá“ von deren verschiedensten Seiten zu beleuchten und in wenigen Zeilen zusammenzuführen, so wie sich die Texte prinzipiell dem Gestaltungsprinzip der Verkürzung und Verknappung verschrieben haben.
Da finden sich verträumte Anarchisten, Dorflehrer, Bauern in stummer Auflehnung gegen erzwungene Zugehörigkeiten, melancholische Staatsdiener, atavistische Tiermenschen, nordafrikanische Immigranten; Mythos und harte Realität halten einander die Waage und schwingen in jedem Text mit. Und immer wieder sind es Frauen, die dieser Härte der Realität trotzen, wenn sie auch sehr oft Opfer derselben sind. Auch im Zyklus jener Texte, die auf Reisen durch den Balkan entstanden sind, sind es Frauen, die aus ihrer Perspektive die Grausamkeiten der Kriege schildern.
Ein weiterer Zyklus versammelt „Landschaften“ zu Südtirol. Unter „Bolzano/Bozen“ findet sich ein poetologischer Essay, der sowohl die Position der Betrachterin/Erzählerin beleuchtet als auch das „Fremde“ sprachlich reflektiert. In drei Sätzen komprimiert findet sich hier der „Stein des Anstoßes“ für ein Erzählen: „Das Unbekannte als erste Quelle von Staunen und Versteinerung. Verstörung und Erleichterung erst beim Überschreiten der Schwelle. Wenn man längst darüber hinaus ist.“
Ein weiterer Text „Bahnhöfe, Städte, Lager, Friedhöfe“ ist eine in epische Form gegossene, nicht explizit formulierte Hommage an Alexander Langer. In ihm reflektiert Brunner die Situation von Intellektuellen in Südtirol, die, wie Langer, zu „Fremden“ schlechthin wurden, in einer Ambivalenz aus bewusst gesetzter Entscheidung und erzwungener Haltung. So wie Langer letztendlich gänzlich wegging, verließen, wie Maria E. Brunner selbst, viele das Land: „Für immer in diesem Grünland zu leben, dazu waren die wenigsten von uns geschaffen.“ Wenn auch Alexander Langer in diesem Text etwas mythologisiert wird, so gelingt es Brunner doch, von der Geschichte dieses Einzelnen größere Zusammenhänge erkennbar zu machen.
Maria E. Brunner vereint in ihrem bisherigen Werk die verschiedensten Facetten der sprachlichen Annäherung an Nähe und Ferne, an das „Eigene“ und das „Fremde“. Wobei – und das möchte ich betonen – hinterfragt oder verschoben wird, was denn nun das „Fremde“ sei – das, was eigentlich als das Eigene gelten sollte? Und das Eigene demzufolge: das, was gemeinhin als „fremd“, als das „andere“ gesehen wird? Und genau diese Hinterfragung und Verschiebung der Perspektiven, die aus einem genauen, starken gleichwie fragilen Blick ersteht, macht die Spreng-Kraft sichtbar, die von der literarischen Reflexion ausgehen kann.
Anna Rottensteiner