Rezensionen 2007

Paul FloraWie's halt so kommt
Erinnerungen aufgezeichnet von Felizitas von Schönborn
Zürich: Diogenes-Verlag 2007


Raben. Venedig. Ein Paar auf einem Felsen. Der Betrachter sieht nicht, ob die Frau den Mann zurückhält oder in den Abgrund stürzt. Gezeichnet in originellem Strich. Das ist sein unverkennbarer Stil. Der 1922 in Glurns geborene Paul Flora ist der nachlässig-elegante, melancholische Hausherr der Hungerburg, während des Zweiten Weltkriegs studiert er an der Kunstakademie München, wo die Weiße Rose Widerstand gegen das Regime leistet. Von 1957 bis 1971 zieren seine politischen Karikaturen wöchentlich das Titelbild der Zeit, ihr Erfolg basiert auf einer Mischung aus angelesenem, fundiertem Weltwissen, distanzierter Wahrnehmung und zeichnerischem Können. Und Marion Dönhoff wundert sich in der Hamburger Redaktion der Zeit, wieso Flora auf seinem Berg sitzend immer weiß, was in der Welt vor sich geht. So zeichnet er im Stand der Unschuld 3500 Beiträge für die Zeit, die er wöchentlich in gelben Kuverts nach Hamburg schickt, wofür er mehr verdient als ein österreichische Minister, und deren Nachdrucke unter anderem in der Times, im Observer und in der New York Times erscheinen.
In seinen Gesprächen mit Felizitas von Schönborns gibt sich Flora lokalverbunden: „Ich bin ein Tiroler, wenn auch kein lustiger, um einem weitverbreiteten Gerücht entgegenzutreten. Außerdem bin ich ein Anhänger der Provinz. Es ist mir lieb, wenn Gesellschaften aus nicht mehr als sechs Personen bestehen, und ich gehe gerne im Wald und im Gebirge spazieren. Bei einer Umfrage nach drei Dingen, die mir gefallen, antworte ich: Provinz, Oktober, Trompetenblasen.“ Schönborn zeichnet diese Gespräche auf und fasst sie in Memoiren zusammen, beschreibt Flora als gutmütigen Misanthropen, der niemals so weit ginge wie Karl Kraus, der angeblich jeden Menschen, den er nicht kennen lernte, für einen Gewinn hielt, oder wie jener Universitätsprofessor, der auf die Frage nach der schwarzen Fahne auf der Universität geantwortet haben soll: „Mir ist jeder recht“, der aber vielleicht doch Karl Valentins Einsicht teilen würde, dass früher sogar die Zukunft besser war. Daraus entsteht nicht nur die Lebensgeschichte Floras, sondern auch ein Portrait seiner Zeit, das mit originellen Fotos, die ihn mit seinem großen Vorbild Alfred Kubin, mit Erich Kästner, Ernst Krenek, Federico Fellini, Friedrich Dürrenmatt und Kaiser Franz Joseph zeigen, abgerundet wird.
Flora verband mit Ludwig von Ficker eine lange Freundschaft, auch mit dem Diogenes-Verleger Daniel Keel, der den dienstältesten Autor des Verlages als scheu, zugleich als Barockschrank von einem Mann beschreibt, oder mit Loriot, von dem folgende Anekdote beim gemeinsamen Büchersignieren erzählt wird: Während Loriot zweihundert Bände identisch signiert, versieht Flora jedes Buch mit einer individuellen Zeichnung auf Wunsch. Loriot neigt zwar nicht zu Depressionen, meint aber, solche Erfahrungen können einen doch in der charakterlichen Entwicklung um Jahre zurückwerfen, und tröstet sich im Stillen mit der Tatsache, fast die ganze Auflage signiert zu haben. Dazu Paul Flora: „Ein von Loriot nicht signiertes Buch ist eine bibliophile Kostbarkeit.“
Freilich sind solche Erinnerungen, wie André Gide einmal festgestellt hat, immer nur halbwahr, so groß das Bemühen um Wahrheit auch sein mag: Alles ist immer viel komplizierter, als man es sagen kann, und Nathalie Sarraute meinte in ähnlichem Zusammenhang einmal: „Je n´ai aucune confiance dans les autobiographies, parce qu´on s´y décrit toujours sous un jour..., on veut se montrer sous un certain jour. Et puis c´est toujours très partial – enfin, moi, je n´y crois jamais. Ce qui m´ intéresse toujours quand je lis les vraies autobiographies, c´est de voir‚ah bon c´est comme ça qu´il voulait qu´on le voie’.“1 

Birgit Holzner

 


1 „Autobiographien traue ich nicht, weil man sich darin immer in einem bestimmten Licht darstellt, man will sich in einem bestimmten Licht darstellen. Zudem sind es immer nur Bruchstücke – kurzum ich traue ihnen nicht. Was mich an Autobiographien immer zu lesen interessiert, ist: Ah, so will er sich also gesehen wissen.”