Rezensionen 2007
Hermann Winkler, Geschichten eines Mannes.
Bozen: Edition Raetia 2006
In der Verlagsreihe raetia club ist ein schmaler Prosaband erschienen, von Hermann Winkler, 1977 im Südtiroler Pfalzen geboren, nahe Bruneck und nahe der Burg Schöneck, dem wahrscheinlichen Geburtsort Oswalds von Wolkenstein. Das tut allerdings wenig zur Sache, denn hier wird nur spärlich gereimt, der Sprachmischung gefrönt oder von Südtirol erzählt. Die »Geschichten eines Mannes« bringen vielmehr ein literarisches Potpourri an Themen und Formen, die allesamt irgendwie bedeutsam sind: Jugoslawienkrieg-, Cyber-, TiVi-, Pop-, Dachau-, Nine-eleven-, Satiren- und auch Großartiges. Bleiben wir bei Letzterem, das zwei ähnlich gestrickte Geschichten umfasst: »The Red Christmastreeball« - das bereits in der von Nina Schröder herausgegebenenen Südtiroler Weihnachtsanthologie »weißt du was schnee ist/frisch gefallener« (Raetia 2004) erschien - und »Der Abgang«. Beide setzen mit einem lapidaren Satz ein: »Christbamkugeln sind wie Laternen in der Nacht.« bzw. »Es war ein schöner Tag zum Sterben.«
Geschichte 1 gliedert sich in fünf Abschnitte, die den Text durch italienische Titel und Einsprengsel sprachlich verorten. Äußere Nicht-Weihnachts-Welt und innere Betriebswirtschaftslehre kreuzen sich hier zu einer Art Sozialstudie, die klug gemacht ist. Der Textabspann löst das Ganze in einer Widmung auf: »Für den Obdachlosen, der am 27. November 2000 den Mut hatte, in die Vorlesung „Economia Monetaria Internazionale“ an der Università Luigi Bocconi zu kommen, um Menschen, die mit mehr Glück bedacht wurden als er, um ein kleines bisschen von diesem Glück zu bitten.«
Geschichte 2 erzählt den Plot ebenfalls in fünf Abschnitten, aber etwas konventioneller. Es geht um eine Dreiecksgeschichte in Innsbruck, die letal endet, was wiederum dem Textabspann zu entnehmen ist: »TT: Innsbruck - Samstag, 03.10.2000. Bei der Leiche, die am gestrigen Freitag aus dem Inn gezogen wurde, handelt es sich um den 27-jährigen Pharmaziestudenten Ludwig M. aus Klagenfurt. Der Verstorbene hinterlässt eine kleine Tochter.« Der Autor setzt hier auf einen stilistischen par-force-Ritt. Auf den bereits zitierten lapidaren Einleitungssatz folgt nämlich eine „und“-Satzperiode, die sich durchaus kunstvoll über zweieinhalb Seiten zieht und - fortgesetzt auch im dritten Satz - die Geschichte schön vorantreibt.
Die übrigen zehn Geschichten sind auch nicht ungeschickt gemacht, recht trendy collagiert und stellenweise sogar amüsant. Vielleicht aber doch nicht so, dass sie ausreichend überzeugen. Wer weiß, vielleicht ist Winkler, der derzeit für Swarovski in Hongkong arbeitet, dabei einen Roman aus der Welt des Glitzer-Shoppings zu schreiben. Das würde mich sehr interessieren.
Bernhard Sandbichler