Rezensionen 2007

Julia Rhomberg, grashalme. statisten.
Gedichte
Innsbruck: Haymon, 2006


Leicht, schwebend und damit große Höhen erreichend, so präsentieren sich die Gedichte in Julia Rhombergs zweitem Lyrikband nach „zuletzt seife und“ (Das fröhliche Wohnzimmer-Edition 2000). Schon die ersten beide Verse stehen hierfür programmatisch: „die gedanken paragleiten / hierhin und dahin“ (S. 7). Und sie landen an unterschiedlichen Orten der Welt, begeben sich „hierhin und dahin“ und fangen sprachlich hoch konzentriert Eindrücke und Stimmungen ein. Im ersten Teil, „januarfluss“, ist es die Begegnung mit einem anderen Kontinent, Südamerika, die festgehalten wird. Dunstig, flirrend, heiß, brasilianisch, aber in klaren, uhrwerkpräzisen Versen gehalten sind die Gedichte in diesem Abschnitt. Die Langsamkeit, die Stille und der Stillstand werden in dynamischen Versen ausgedrückt: „über stunden kein vogel / reglos die lila blüte“ (S. 14). Wortbedeutungen fließen wie in Aquarellen ineinander: „nachts aber fahndet das blaulicht / des mondes nach schläfern / auf den gehsteigen“ (S. 13). Nicht die Ansichtskartenmotive Rio de Janeiros und Brasiliens – die Statue Cristo Redentor wird nur mal kurz angedeutet („christus breitet die arme aus“, S. 13), sondern die Verlorenheit vor ihnen wird gezeigt („in den wolken verfangen sich / junge paare mit dem fotoapparat“, S. 11) und vor allem die Orte dahinter: „fassaden hinter denen / nichts ist als / stillgelegter himmel // totes bahngeleise / ein fleischmarkt“ (S. 18).
Wie ein Bruch, aber nur thematisch, erscheint der zweite Abschnitt, „grashalme statisten“: Von der Copa Cabana geht es nach Tirol, zunächst ins Hallenbad in der Amraser Straße in Innsbruck, in die Laurinallee, dann nach Ratzell und nach Vill. Die Sprachbilder sind in grün getaucht, wie Unterwasseraufnahmen, eingefangen werden Momente, Augenblicke, Lidschläge, Atemzüge und Menschen mit ihren Bewegungen, mit einer Syntax, die die Bewegungsabläufe gleichsam wiedergibt: „auf und zu / auf und zu / ein spanischer fächer“ (S. 26). Poetisch geschickt werden Formkongruenzen genutzt, wodurch eine eindringlich vielschichtige Bilderwelt entsteht: „und wieder ein viertelmond // pausenzeichen in der / vielstimmigkeit des nachthimmels“ (S. 28). Kategorien wie Raum und Zeit, Größe und Kleinheit werden synästhetisch zusammengebracht, wodurch die Gedichte mit einer enormen Spannung aufgeladen werden: „weltall zuschauerraum / grashalme statisten der“ (S. 28).
Im dritten Teil, „luftkalte begonienwinter“, treten verstärkt auch ironische Momente dazu, „die kuh kopf an / kopf mit / der hl. mutter gottes“ (S. 33), sprachlich sehr stark das Ich als „jokerpronomen“ (S. 34). Spielerisch und witzig werden Beziehungsfragen in Schachfiguren ausgedrückt (hie und da / spiele ich schach / mit ihm, S. 35), mit Dame, König, Turm und allem Drum und Dran. Der geografische Kontext, immer noch Tirol, wird als Ansichtskarte beim Wort genommen: „frühjahrslicht hinter schneekuppen / die sommeralm rosenpostgroß // bald fallen die herbstgrenzen / beginnt ´s feilschen ums licht // das überwintern in eisschatten / in sprüngen von spiegeln // im tal, wenn man festsitzt“ (S. 36) – „feilschen“ klingt in diesem Kontext wie ein touristisch artikuliertes „Veilchen“ und festgesessen wird nicht lange, der nächste Abschnitt mit dem richtungsweisenden Titel „rasches packen gewöhnt“ führt von Innsbruck nach Berlin, wobei nicht das Reisen, sondern die Migration, die „niederlassung in / buchstabenlücken“ (S. 39), im Zentrum der poetischen Betrachtung steht, „kopftuch und jeans /spannen / den bogen“, wie es im Gedicht „türkisches geschäft“ (S. 43) heißt.
Klar und dicht geht es in „landschwindlig“ weiter, Venedig wird kunstvoll gestickt („in gold ein gobelin“, S. 47), aber die Lagunenstadt entsteht hier mit wenigen und gezielten Strichen und Stichen nicht anhand ihrer Bauwerke, sondern durch ihre „damen und dogen“, ihr „hundegebell“ und das sie umspülende Meer, das „ein wenig modrig“ ist. Mit weiteren italienischen Orten wie Mantua, Paliano oder nicht näher benannten Inseln tritt auch die italienische Sprache in die Gedichte, was sich im nächsten, schon italienisch co-betitelten Abschnitt „su balconcini / auf winzigen balkonen“ zur Zweisprachigkeit der Texte steigert, was sich nicht nur dadurch, sondern auch durch die Knappheit und Pointiertheit der Gedichte auch wie eine Hommage an den 2005 verstorbenen Dichter Gerhard Kofler liest.
Weiterhin sind es vor allem die Ränder der Alltagswahrnehmung, die die poetische Aufmerksamkeit erhalten, „letzte eidechsen / verschwinden // in den spalten / der nacht“ (S. 57). Die Verse „in rufweite / stille“ aus demselben Gedicht können vor diesem Hintergrund als Motto für das ganze Buch gesehen werden. Der Abschnitt endet in Rom, die Bilder ähneln in gewisser Weise denen aus Rio, einerseits touristen- und großstadtschwer, andererseits eine Leichtigkeit des Lebens vermittelnd: „alle spalle / due stole / rosso pompeiano“, übersetzt „um die schultern / zwei stolen aus / pompejanischem / rot“ (S. 60 und 61), was an Eugenio Montales Vers „il nulla alle mie spalle“, übersetzt „das Nichts auf meinen Schultern“ denken lässt.
„landzungen / prosa“, der nächste Abschnitt des Bandes, unterstreicht einmal mehr, dass hier die stillen Orte und Orte der Stille zwar gewürdigt, aber nicht idyllisiert und verklärt werden, auch die stillen Örtchen dieser Welt müssen gezeigt werden: „die toiletten schmutzig / natürlich“ (S. 69). Wir sind in Indien, mit Tuberkulosefällen und leeren Dorfstraßen, sehr eindringlich wird das Gefühl am fremden Ort in Verse gekleidet: „mit leichtem gepäck /stehe ich hinterm horizont // habe die kleider gewechselt / aber nur wenige worte“ (S. 70). Die Welt wird konzentriert aufs Wort.
„mit hellblauer vespa“ und einem Abstecher ins Elsass sowie einem Popsong klingt der Band aus. Im letzten Gedicht schließt sich mit dem Eröffnungsgedicht unter „mit 4 atü“ der Kreis: In beiden, wie eigentlich allen Gedichten des Bandes ist der Aufbruch, der Ortswechsel das Thema, auf das die Texte fokussieren. Im ersten Gedicht machen sich zwei Gedanken „auf nach bulgarien“ (S. 7), im letzten geht die Fahrt „nach athen“ (S. 85). Das Warum, das Wohin und das was zurückbleibt, vor allem in den Menschen, sind dabei wichtige Triebfedern der Texte: „und nun gehst du / oder ich gehe // eine/r geht immer / hinterlässt // ein tattoo“ (S. 85).
In Summe fügen sich die Grashalme in Julia Rhombergs Buch zu einer wunderschönen Blumenwiese zusammen, die zu betreten, ja zu der aufzubrechen sich allemal lohnt. Sie ist voller poetischer Blumen, die gepflückt und mitgenommen oder besser noch: stehen gelassen und immer wieder betrachtet werden wollen.

Günter Vallaster