Rezensionen 2008

Egon A. Prantl, Andrea Steinlechner: Madagaskar. Ein pornographischer Roman   
Innsbruck-Wien-München: Skarabaeus 2007 

Geriatriepornografie auf der Schatzinsel 

Ich sitze in der Straßenbahn und lese „Madagaskar. Ein pornographischer Roman“. Der Platz scheint mir gut gewählt. Ringsum gackernde Teenager. Auf der Rückseite der Lehne des Sitzes vor mir steht mit Edding geschrieben: „Anna Anal“, darunter „Bitch sucht Boy zum Budern“, daneben die jeweilige Handynummer. Ich bin versucht das Alphabet fortzusetzen mit „Cärtlicher Cicker“, habe aber keinen wasserfesten Stift dabei. Also lesen statt schreiben.
„Ein pornographischer Roman“. Soso. Das Label als Schutzschild oder Stigma, frage ich mich und sichte das anrüchige Vokabular auf der ersten Seite. Ich werde fündig: „geankenorgasmus“, „nasses höschen“, „muschi“ „klitschnass“, „klitoris“, „geilheit“, und noch einmal „klitschnasse muschi“. Auf der zweiten Textseite folgt dann der „Schwanz“. Er wird noch oft kommen. Klotzen und Kleckern ist angesagt.

„Madagaskar“ will eine Liebesgeschichte sein – „aber was für eine: direkt und hemmungslos, hart und authentisch – und voll von leidenschaftlichem Leben.“, verspricht mir der Umschlagtext. Was jetzt? Liebesgeschichte oder pornografischer Roman?
Ich lese die ersten 13 SMS von Raoul an Sophie, sie lassen mich kalt. Pornografie ist kalt, Liebe warm. Geht das zusammen? Ich betrachte den Gesamttext. Er besteht aus SMS, Emails und Tagebucheinträgen. Die Heldin heißt Sophie, der Held Raoul. Beide bereits ältere Semester. Sie hat 13 Jahre Manfred und Kinder hinter sich und einen Job in der Bekleidungsbranche inne, führt also nach außen hin ein unscheinbares Dasein. Er ist Außenseiter mit Hang zum Wildsein. Sie muss dauernd irgendwas im Waschsalon waschen, damit sie mit ihm mailen kann. Er liest vor dem zu Bett gehen Bloch oder schaut Kriegsfilme. Sie leidet an Alleinseinsdepressionen, er an Sehnsuchtsanfällen.

Ich bringe die ersten Verkehrsakte hinter mich und konstatiere: Ausgelutschte Schwanz-Titten-Fotzen-Diktion hier, pathetischer Schmachtwulst dort. Einerseits platter Pornotalk und andererseits schwülstiges Gefühlsgedusel. Ich lese weiter und hoffe, dass da noch mehr, will heißen etwas anderes, kommt. Beispielsweise eine Geschichte, eine eigene Sprache, ein individueller Intimjargon.
Nach 190 Seiten muss man feststellen, dass man vergebens gehofft hat. Man hat unzählige belanglose SMS gelesen, hat tapfer schnoddrige SMS- und Mailschreibweisen erduldet, Rechtschreibeigenwilligkeiten auch. Das ist ja alles halb so schlimm, wenn man unbedingt „giebt“ schreiben will, meinetwegen. Auch halb so schlimm aber beklagenswert ist die formale Aufbereitung der Textelemente. Denn wenn der Text schon ausschließlich aus SMS, Mails und Tagebucheinträgen besteht, dann möge man diese bitte auch mit Datum und Uhrzeit, beziehungsweise Betreff versehen. Es ist durchaus aufschlussreich zu erfahren, wann die jeweils vorangegangene Nachricht beantwortet wurde.

Wäre da nicht der beharrende Anspruch darauf, etwas ganz Außergewöhnliches zu leben, man könnte die Geschichte ja als verunglückten Versuch über die Liebe mit pornografischen Anstrich abtun. Aber nein, diese „Zitronengrasliebe“ die sich zur „Wolfsliebe“ entwickelt, möchte glaubhaft machen, sie sei wunder wie wild und außergewöhnlich. Raoul weiß um ihre Bestimmung:  „Die Götter haben uns zusammengefügt, sie wollen, das weiß ich, kein Opfer. Nein, sie wollen, dass wir den Menschen zeigen, wie man Wildnis in Zivilisation lebt.“ (S. 79)
Von wegen Wildnis. Die angegraute „Wölfin“ und der greise „Wolf“ haben bestenfalls Streichelzooqualität. „ich weine, wenn ich das Geschriebene lese. Pures Selbstmitleid.“, bekennt Sophie in einem Tagebucheintrag (S. 12). Dem Leser ist nicht zum Weinen zumute, ergreifend ist in dieser Geschichte nämlich kaum etwas, ärgerlich einiges. Aber man folgt dem Austausch der sich Liebenden durchaus mit Mitleid. Denn es ist nicht leicht, in Würde zu altern. Das Gefühl des Fremdschämens beschleicht einen, man findet das Dargebrachte peinlich. Zum Beispiel „das meine Muschi“-“mein Schwanz Spielchen“. Das heißt: Er sagt zu ihrer Muschi stets „meine Muschi“, sie zu seinem Schwanz „mein Schwanz“. Jaja, Hingabe; ist mir schon klar aber: diese vereinnahmende, besitzergreifende Diktion nervt sehr bald sehr. Dazu gesellt sich ein Infatil-Touch, denn alles was nicht „Liebessaft“ oder „Sperma“ ist und auch irgendwo da unten raus kommt, nennen die Wolfsliebenden „Pipi“. „Supi!“, ist man geneigt auszurufen.

Nicht halb, sondern wirklich schlimm ist die Spracharmut dieses Textes. Die Geilheit, die Sehnsucht, etc. ist zu oft einfach nur „irre“ oder „unbeschreiblich“, die „Muschi“ ist immer „nass“, der „Schwanz“ droht dauernd zu „explodieren“ und man wäre froh, täte er dies auch tatsächlich einmal, das wäre zumindest eine beschreibungstechnische Herausforderung bzw. Abwechslung im Textschlamm. Mehr Bilder wie das titelgebende „Madagaskar“ (die Geilheit, die uns nach „Madagaskar beamt“) hätten dem Text gut getan. Zu oft bleibt das Blut im Schwanz, wenn es um Beschreibungen diverser (kaum sonderlich origineller, meist altersbedingt bequemer) Akte geht. Da wird dann bloß billig Plumpvokabular aufs Papier gespritzt. Zu allem Übel gipfelt die kaum vorhandene Story in einer sturzbiederen Alkohol-ist-böse-Moralpredigt, die hier nicht weiter kommentiert werden soll.

Was aber noch verraten werden soll ist, dass sich die zwei Zitronengraswilden tatsächlich „Schatz“, ja bisweilen gar „Schatzwölfin“ und „Schatzwolf“ nennen. Da läuft es den Leserschafen kalt übers Rückenfell. Man könnte ausrufen: authentisch und direkt! Man kann aber auch sagen: einfallslos und langweilig! Pornografie braucht keine Metaphern, könnte man einwenden. Aber sie braucht definitiv mehr Einfallsreichtum. Eine Sprache für die Liebe zu finden, ist eine Kunst, auch die Pornografie will gewieft versprachlicht werden, wenn sie funktionieren soll. Das ist Andrea Steinlechner und Egon A. Prantl in „Madagaskar“ nicht gelungen.

Markus Köhle