Eine der Konstanten der Bourgeoisie ist die Produktion von Müll. Manchmal ist dieser Müll unangenehm, unbrauchbar oder einfach nur gefährlich. Gefährlich nicht zuletzt für die Bourgeoisie selbst. Er kann gegen sie und ihre Ordnung verwendet werden. Als Baustein für die nächste Revolution.
Für Künstler ohne Mäzen gehört Überleben zu den Schlüsselproblemen. Kunst und Leben werden oft kompromittiert, um “irgendwie durchzukommen”. Unser revolutionäres Ziel besteht darin, Parasiten der bourgeoisen Dekadenz zu werden. Wie Pilze und Mistfliegen müssen wir lernen, von den Abfällen der Bessergestellten zu leben.
Subversion des Zeitgeists
Der wahre Revolutionär muss geizig sein! Und die billigsten Dinge sind immer noch die, die nichts kosten. Immer dran denken: Für jede gesparten 6, 15 Euro kann man sich eine Stunde für die Beschäftigung mit Kunst leisten.
Der revolutionäre Geizhals muss sich selbst immer in dialektische Opposition zur Mode stellen. Wenn “Altbau mit Dielen” das ideale Ambiente für Yuppie-Porno-Tagträume wird, werden wir zu Plattenbau und Laminat wechseln. Wenn dein bric-a-brac aus den Sechzigern das heiße Ding auf eBay ist – verkauf es.
Genauso muss der revolutionäre Geizhals sich sein Medium wählen und den Trends trotzen. Wenn die Nachbarn ihren Videorekorder wegschmeißen, beschäftige dich mit analogen Videos. Verzichte auf den Flatscreenmonitor und kehr zur Röhre zurück. Belebe die fast nicht mehr abspielbaren Kassetten wieder. Erfreue dich an der Ästhetik des Zerkratschten, des Unvollkommenen und des Unbrauchbaren.
Verweigere dich dem Upgrade. Kann dein zehn Jahre alter PC nicht auch E-Mails verschicken, Texte drucken und ins Internet gehen? Kann dein ’91er Mazda nicht auch von A nach B fahren? Neue Sachen werden jeden Tag auf den Markt geworfen, mit glitzernden neuen Funktionen, die unnötig und sogar ablenkend sind. Lass dich nicht vom Neuen verführen. Man kann das Rennen nicht verlieren, wenn man gar nicht erst antritt.
Gefühle für materielle Dinge zu entwickeln, ist die größte Bedrohung für unsere Revolution. Jede kulturelle Innovation kann von den Machtstrukturen für sich beansprucht werden. Der einzige Widerstand: Sich willentlich und freiwillig hingeben. Sobald Material hip oder teuer wird, müssen wir uns davon abwenden – wie von einem sinkenden Schiff.
7 Kommentare zu
http://www.satt.org/literatur/00_10_abfall_1.html
http://www.indiskretionehrensache.de/2010/06/vwl-oekonomie-blog/
"Wer keine Zeit hat, ist eine Ungeheuer, eine Mißgeburt: er stiehlt irgendwo Zeit, unterschlägt sie. (Wieviel Zeit musste verschlissen, wieviel gestohlen werden, um die zu Unrecht berühmte militärische Pünktlichkeit so sprichwörtlich zu machen: Milliarden getohlener Stunden Zeit sind der Preis für diese aufwendige Art der Pünktlichkeit, und erst die neuzeitlichen Mißgeburten, die keine Zeit haben! Sie kommen mir immer vor wie Leute, die zuwenig Haut haben...)"
Böll / Irisches Tagebuch