Jetzt ist es kalt draußen. Alles friert zu, die Straßen, manchmal auch die Herzen. Wer kein Dach über dem Kopf hat, kann es sich, um mit Max Goldt zu sprechen, im Haus der Harry-Rowohlt-Hasser bequem machen. Dort gibt es bestimmt viel Platz, denn wer hasst schon Harry Rowohlt?
Kein anständiger Mensch, richtig. Ob wegen seiner kongenialen Flann O’Brien-Übertragungen, seiner Übersetzungen von David Sedaris, die die Originale bisweilen überflügeln, seinen schmerzhaft sporadischen ZEIT-Kolumnen oder, für die ganz Verstrahlten, seine Rolle als Obdachloser in der “Lindenstraße”: Nicht wenige glauben daran, dass, wenn es einen Gott gibt, er sich vermutlich als Harry Rowohlt ausgibt. Nicht nur wegen dem Bart.
Aufopfern für das Publikum
Und wie Christus opfert er sich: “Das Publikum hat ein Anrecht darauf mitzuerleben, wie der Referent sich zugrunde richtet.” lautet das Motto seiner gerühmten vielstündigen Marathonlesungen, “Schausaufen mit Betonung” genannt, in denen Rowohlt vorliest (und das macht niemand besser), erzählt und vor allem viel kippt – Whiskey, vornehmlich. Oder besser: kippte.
Seit einigen Jahren leidet Rowohlt an Polyneuropathie, einer Nervenkrankheit, die zum Beispiel zur Halblähmung der Füße führt (dahin sind die Zeiten der Dorftingeltouren), die ihre Ursache “mit einer Wahrscheinlichkeit von 33,3 Periode Prozent” im Suff hat. Ärztlich erlaubt sind Rowohlt nur noch vier Besäufnisse im Jahr, kostbare Momente. Verständlich, dass er sich die fürs Private aufhebt.
In Schlucken-zwei-Spechte
Damit seine Jünger nicht auf jene autobiographischen Anekdoten, mit denen Rowohlt sonst seine Lesungen ausschmückt, verzichten müssen, gibt es jetzt In Schlucken-zwei-Spechte in erweiterter und aktualisierter Auflage. Das ist ein an der irischen Küste entstandener Gesprächsband zwischen Harry himself und Ralf Sotscheck, Rowohlt-Freund und hauptberuflich Irland-Korrespondent für die taz.
Und so sind sie ewig aufs Papier gepinnt: Geschichten über polnische Jazzer in Krachledernen auf der Reeperbahn und indische Wrestler, über Crumb, Sedaris und McCourt und über den gnatzenden Raddatz und den verehrten Kollegen Wollschläger. Man merkt: Eine Schatzkiste, für verregnete New Yorker Nachmittage, grüne irische Sommer und eisige deutsche Wintereinbrüche. Ein Buch für die Ewigkeit: Das Rowohlt-Evangelium.
8 Kommentare zu
Aber im Ernst: Die O'Brien-Übersetzungen sind wirklich großartig; man wünscht sich, er würde sich mal am "Ulysses" versuchen. (Warum er's nicht macht, das steht im Buch.) Selbst wenn es "Pooh's Corner" und die Marathonlesungen nicht gäbe - dafür hätte er schon die Seligsprechung verdient.