Durch die Sharing-Kultur (auch Piraterie genannt) sind digitale Dateien wie Texte, Songs oder Filme heute leicht und meist kostenlos zugänglich. Da es nun mit flattr genauso leicht ist, Geld zirkulieren zu lassen, fragt sich: Wie überzeugt man Menschen davon, freiwillig zu bezahlen? Vielleicht mit diesem Argument: “Bezahl, weil du damit eine gute Sache unterstützt.” Der Autor und Urheberrechtsaktivist Cory Doctorow unterzieht es einer Analyse.
*
Der scheinbar einfache Akt des Kaufens ist ein ziemliches Mysterium. Ökonomen haben sich damit einen Namen gemacht, für Kaufgründe kleinteilige Unterkategorien zu definieren – unter anderem das positional good. Damit wird eine Ware beschrieben, die jemand kauft, weil sie selten und teuer ist und durch die der eigene soziale Status sichtbar dargestellt werden kann. Beispiele hierfür sind teure Autos, Designerkleidung und nutzlose Klumpen aus stark komprimiertem Karbon, die traditionell zur Verlobung geschenkt werden.
Anti-Piraterie-Strategien
Durch das Einkaufen in der digitalen Welt ist diese Komplexität noch vielfältiger geworden. In der physischen Welt besteht eine ernstzunehmende Gefahr, wenn man etwas nimmt ohne dafür zu bezahlen (man kann verhaftet werden und wandert ins Gefängnis); in der digitalen Welt ist diese Gefahr viel kleiner. Sie ist so viel geringer, dass der Großteil von Medien, die online im Umlauf sind, kostenlos und ohne Autorisierung weitergegeben werden.
Diese Tatsache ist bei den Firmen, die die Produkte vertreiben aber auch bei den KünstlerInnen Anlass für häufiges Händeringen, Haareraufen und rechtliche Manöver sowie eine Menge gutgemeinter Worte darüber, warum die Öffentlichkeit etwas kaufen “sollte“, das sie einfach so bekommen kann, ohne einen Cent dafür zu bezahlen.
Die Rhetorik ist oft schwammig, verwirrend und in sich nicht stimmig. So wird in der Werbung vor einer Filmaufführung oder auf der DVD davor gewarnt, dass illegal aufgenommene DVDs eine schlechte Qualität haben und eventuell nicht zuverlässig abgespielt werden. Gleichzeitig versuchen die Hersteller von DVDs immer mehr, die Qualität von legitimen Videos zu verschlechtern – lange Werbung, die nicht übersprungen werden kann, willkürliche Regionalcodes oder die Pflichtinstallation von “Kopierschutz“-Software, die den eigenen PC kapert, um zu verhindern, dass man unerlaubt eine Kopie des Films macht.
Wenn die Strategie ist, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass das “echte Produkt“ verlässlich ist und das Unautorisierte zwielichtig, dann muss alles dafür getan werden, die Verlässlichkeit des legalen Produkts zu erhöhen. Ansonsten spricht sich die Situation schnell herum und die Kampagne schlägt fehl.
Warum sollten wir Geld für digitale Dateien ausgeben?
Versuchen wir die Wertvorstellung für den Kauf von digitalen Gütern genauer zu betrachten. Also der Logik nachzuspüren, derzufolge man Geld für digitale Dateien ausgeben sollte, an die man auch kostenlos herankommt.
Unterschiedliche Firmen und Produkte brauchen verschiedene Wertangebote, aber was auch immer die Strategie ist, die dargelegte Begründung für den Kauf des Produkts sollte durch diese Produkte unterstützt werden. Wenn die Vermarktungs-strategie aktiv gegen das Wertangebot spricht, ist der Ansatz falsch.
“Kauf dieses Produkt, weil du damit eine gute Sache unterstützt.” Mit diesem Satz werben Indie-Künstler für ihre Werke. Es ist einer der Gründe, warum so viele große Firmen der Unterhaltungsindustrie Indie-Ableger haben. Etwas Künstlerisches zu unterstützen, gibt einem einfach ein gutes Gefühl – zu wissen, dass das Geld jemandem zu Gute kommt, der etwas Bewegendes und Unterhaltsames geschaffen hat. Das ist vermutlich der stärkste Motivator von allen, aber er ist auch der Komplizierteste.
Das “Indie-Argument”: Komplexer als gedacht
Damit das Argument effektiv wirken kann, muss der Kunde nämlich wissen, wer hinter dem Werk steht. Dieses Wertangebot begünstigt damit Künstler, die sich gut vermarkten und ein öffentliches Profil haben. Und nicht jeder Künstler ist dazu in der Lage in der Öffentlichkeit mit dem eigenen Publikum abzuhängen. Einige Menschen sind schüchtern. Bei anderen ist es noch schlimmer: Sie haben eine negative Ausstrahlung und mit jedem öffentlichen Auftritt (physisch oder digital) verkleinern sie ihren Absatzmarkt.
Das paradoxe an diesem Wertangebot ist also: Die Künstler mit den ausgefeiltesten Profilen haben diese Profile (unter hohem Kostenaufwand) von Verlegern, Labels, Studios oder einem Mittelmann erhalten. Aber Künstler, hinter denen große Konzerne stehen, werden als weniger “unterstützenswert” angesehen als ihre “Indie”-Gegenstücke. Denn im Grunde ist die Wertvorstellung “unterstütze einen Künstler“ und nicht “unterstütze eine riesige Firma, die sich den Großteil des Gelds nimmt und einen kleinen Rest an den Künstler weitergibt“ (unabhängig davon wie stark der Künstler diese Vereinbarung schätzt und denkt, dass sie fair ist).
Dieses Wertangebot verliert auch an Anziehungskraft, wenn es durch Künstler angepriesen wird, die glamouröse, sehr öffentliche Leben führen. “Unterstütze diesen Film, weil der Star nur 20 Millionen Dollar verdient hat“ – das überzeugt eher wenig. Das ist auch der Grund, weshalb in Anti-Piraterie-Werbung in US-amerikanischen Kinos oft Handwerker, Elektriker und Maskenbildner aus der Filmbranche gezeigt werden. Das sind Berufe, die nicht dafür bekannt sind, Millionäre hervorzubringen. Leider werden diese Leute nicht im gleichen Sinne als Künstler angesehen wie Schauspieler und Regisseure, und das untergräbt dieses Wertangebot zusätzlich.
Anm. d. Red.: Dieser Text wurde Anne-Christin Mook vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Die Bilder sind verfremdete Details des zitty-Covers Wieviel Kreative verträgt die Stadt?
17 Kommentare zu
https://berlinergazette.de/flattr-logik-der-nische/
Das gilt auch für Web Plattformen. Erfolgreich sind und bleiben die „Kostenfreien“. Auch wenn nebenbei mit Werbung Geld verdient wird.
Wenn Google monatlich nur 1 Euro Gebühr erheben würde, wäre dies zwar sehr ertragreich für Google, aber Sie würden auf die nächsten Jahre auf Ihren Untergang zusteuern. Ein kostenfreier Dienst würde den freien Platz sehr schnell einnehmen.
Wenn Google monatlich nur 1 Euro Gebühr erheben würde, wäre dies zwar sehr ertragreich für Google, aber Sie würden auf die nächsten Jahre auf Ihren Untergang zusteuern.
Hat das Internet dabei nicht die Bewerbung erschwert als erleichtert?
Der Content muss gut sein (aus Sicht der Konsumenten) und der Produzent muss eine Community/Fanbasis haben, die vom Content Produzenten überzeugt ist.
früher habe ich immer gesagt, wenn ein Produkt Werbung benötigt ist es nicht gut genug. Deshalb denke ich nach wie vor Werbung geht nur bei guten Produkten. Durch Werbung wird kein Produkt besser, evtl. lässt sich der Umsatz kurzfristig verbessern.
Jetzt mit Social Media wird es einfacher gute Produkte bekannt zu machen. Da funktioniert es auch, aber auch da gilt, schlechtes wird nicht besser.
Ich habe sehr gute Erfahrungen mit meiner kostenfreier Dienstleistung gemacht. Zum Beispiel biete ich bei Facebook Vergleichsrechner für Versicherungen kostenfrei an.
( https://www.facebook.com/onlinemakler )
Wenn jetzt ein Nutzer feststellt, dass er für seine private Haftpflicht derzeit 100 Euro zahlt dies aber auch für 50 Euro im Jahr bekommen könnte, hat er schon mal ein Mehr an Information.
Meist werden dann die Haus und Hof Versicherungsvertreter angesprochen, warum ein so teures Produkt verkauft wurde. Im Verhältnis 1:10 kommt dann auch eine Anfrage zu mir, die ich nicht bekommen hätte, ohne diese kostenfreie Dienstleistung.
Bei Künstlern ist es ähnlich, es gibt so viele, aber erst wenn Sie über Kostenfreie Angebote bekannt werden, bekommen Sie den einen oder anderen Vertrag.
Viele Grüße Lutz
zu flattr kann ich noch nichts sagen, da ich es selbst noch nicht versucht habe.
Es wäre schön, aber mir fehlt da der Glaube. Ich habe die Hoffnung wer Gutes tut, bekomme auch Gutes zurück (früher oder später)
Das Argument "Kauf dieses Produkt, weil du damit eine gute Sache unterstützt." ist schon zu oft missbraucht worden. siehe WWF