In Deutschland war kürzlich die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle in aller Munde. In Österreich erregte jetzt der Fall Gottfried Küssel Aufmerksamkeit. Der Gründer des Neonazi-Blogs Alpen-Donau.info steht vor Gericht. Die Verstrickungen des Blogs mit der österreichischen Partei FPÖ werden dabei jedoch kaum thematisiert. Der Fall zeigt, dass Extremismus nicht nur an den Rändern der Gesellschaft anzutreffen ist, sondern längst in der Mitte angekommen ist. Dabei findet sich Radikalität nicht nur im politischen Spektrum wieder, sondern auch und vor allem am Finanzmarkt. Der Menschenrechtler Philipp Sonderegger führt uns die Ausmaße des Extremismus in Europa vor Augen.
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Seit einigen Wochen steht der bekennende Neonazi Gottfried Küssel vor Gericht. Er wird der neonazistischen Wiederbetätigung beschuldigt. Dieses Delikt ist Teil des Verbotsgesetzes, mit dem die NSDAP 1974 in Österreich untersagt wurde. Es stellt die öffentliche „Leugnung, Verharmlosung, Gutheißung und Rechtfertigung“ nationalsozialistischer Verbrechen unter Strafe und soll die Betätigung für die NSDAP und ihre Ziele unterbinden.
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Küssel und zwei Mitangeklagte hinter der mittlerweile geschlossenen Website Alpen-Donau.info zu stehen. Die Neonazi-Seite fungierte über zwei Jahre lang als Drehscheibe rechtsextremer und neonazistischer Umtriebe ehe sie im März 2011 geschlossen werden konnte. Gruppen aus ganz Österreich hatten die Seite genutzt, um Hetzparolen gegen Minderheiten zu verlautbaren und neonazistische Aktionen zu dokumentieren. Politisch Andersdenkende wurden bedroht und ihre Daten und Anschriften veröffentlicht.
Küssel wurde bereits in den 1990ern wegen Wiederbetätigung zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Als Gründer und Chef der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (VAPO) organisierte Küssel paramilitärische Wehrsportübungen. In einem Interview bezeichnete er sich als “Nationalsozialisten”, bei anderer Gelegenheit kündigte er an, den Staat Österreich “zu zerschlagen”.
An zumindest einer dieser Wehrsportübungen nahm auch der Chef der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) Heinz Christian Strache teil. Das belegen Fotos, die Strache in Tarnuniform zeigen – umringt von Rechtsextremisten. Strache freilich behauptet, es habe sich lediglich um Paintball-Spiele gehandelt und er habe die Szenerie nach einem einmaligen Besuch rasch wieder verlassen. Auch von Alpen-Donau.info bestehen mehrere Querverbindungen zur FPÖ. Ein Nationalratsabgeordneter musste nicht zuletzt deswegen den Hut nehmen. Die FPÖ dementiert jede Verstrickung der Partei.
Die Verstrickungen von FPÖ und Alpen-Donau.info
Die Debatte um diesen Fall verkennt, dass Extremismus auch in der Mitte der Gesellschaft schlummert. Zum einen werden Kontakte von FPÖ-FunktionärInnen in die Neonazi-Szene auch von politischen Mitbewerbern verharmlost, um die FPÖ als potentiellen Koalitionspartner nicht ausschließen zu müssen. In manchen Umfragen werden ihr immerhin bis zu 30 Prozent der österreichischen Stimmen zugetraut.
Besonders die konservative Volkspartei möchte sich diese Option offen halten. Aber auch der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hatte die Teilnahme Straches an Wehrsportübungen als “Jugendsünde” abgetan. Außerdem wurden viele Forderungen der FPÖ, die Anfang der 90er-Jahre noch als rassistisch und rechtsextrem gegolten hatten, von SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) und ÖVP (Österreichische Volkspartei) sukzessive umgesetzt. Vor allem im Asyl- und Fremdenwesen agiert Österreich seit Jahren als europäischer Negativ-Vorreiter. Den Aufstieg der Freiheitlichen konnte diese Strategie freilich nicht aufhalten.
Wenn man von Extremismus spricht, sollte man aber nicht nur an links und rechts denken, sondern auch an die politische Mitte. Dort hat sich in den letzten Jahrzehnten eine extreme Markt-Ideologie breit gemacht, von der eine beachtliche Bedrohung für das europäische Gemeinwesen ausgeht. Gefährliche Finanzprodukte haben 2008 die Lehmann-Pleite ausgelöst und die Nordhalbkugel in eine tiefe Finanzkrise schlittern lassen. Bis heute setzen die Markt-ExtremistInnen in den europäischen Regierungen auf das freie Spiel der Stärkeren, anstatt sich endlich die demokratische Kontrolle über Wirtschaft und Finanzmärkte zurück zu holen.
Am Ende einer langen Wachstumsphase erodieren nun die Mittelschichten. Breite Bevölkerungsteile sehen den Gesellschaftsvertrag der Nachkriegsjahre verraten: Sie haben brav gearbeitet und sich etwas aufgebaut, aber ihre Kinder werden trotzdem weit schlechter dastehen als sie selbst. Profitiert hat von der neoliberalen Ideologie, die seit den 80er Jahren kontinuierlich in Europa Fuß gefasst hat, lediglich eine kleine Gruppe. Das belegen zahlreiche Statistiken über das Aufgehen der Vermögensschere. Weit verbreitete Abstiegsängste nähren autoritäre Strömungen, die europaweit als anti-islamische Kampagnen oder repressive Überwachungspolitiken an Terrain gewinnen.
Nicht nur gegensteuern sondern erneuern
Rechtsextremismus kann nicht nur durch Kampf gegen Rechtsextremismus bekämpft werden. Um erfolgreich zu sein, müssen die Bemühungen auch den Resonanzboden in der gesellschaftlichen Mitte in ihren Fokus nehmen. Das Vertrauen in demokratische Verfahren muss wieder hergestellt werden, indem sich die Politik das Primat über die Ökonomie zurück holt.
Das demokratische Versprechen, dass alle, die den Gesetzen unterworfen sind, die gleiche Möglichkeit haben, an ihrem Zustandekommen mitzuwirken, muss mit neuem Leben erfüllt werden. Dies erfordert eine gerechte Verteilung von Chancen, Rechten und Gütern. Solange es einer etablierten Minderheit so leicht gemacht wird, die Spielregeln zu ihren Gunsten zu beeinflussen, müssen wir damit rechnen, dass autoritäre und rechtsextreme Versprechungen nichts an ihrer Attraktivität verlieren.
Anm. d. Red.: Das Video oben entstand am Rande der Konferenz re:publica 2012. Dort sprach der Verfasser des Textes bei einer Podiumsdiskussion über Rechtsnationale, rassistische und islamkritische Öffentlichkeit im Netz.
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Thomas Deecke