Wir-sagen ist so selbstverstaendlich wie Einatmen, unreflek- tierte Routine. Was aber passiert, wenn ich wir
sage? Ich spreche fuer eine Gruppe. Hier steht ich
fuer ein Ganzes: Ich
moechte fuer das wir
einstehen, als Teil und als ausgewiesener oder nicht ausgewiesener Vertreter dieses Ganzen namens wir
. Ich
gehoert dazu, sticht heraus, ist zugleich Ganzes und Teil. Zugleich plural und singulaer?
Ich bin mir nicht sicher. Wenn das wir
ein Ganzes ist, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt, ist ich
darin nicht plural, geht nicht in einer Vielheit auf, sondern bleibt Ganzes im Ganzen – als in sich geschlossener Kreis in einem groesseren gleichfalls in sich geschlossenen Kreis. Ich
ist und bleibt fuer sich, so wie auch wir
fuer sich ist.
Eine Pluralitaet, eine Vielheit ist aber kein Ganzes, keine in sich geschlossene Gesamtheit, sondern ein offenes, fragmentiertes System der Verflechtungen und Beziehungen. Das waere eine andere Dimension des wir
, eine andere Dimension des Wir-sagens, zumindest dem Vermoegen nach. Hier steht das ich
, welches wir
sagt, fuer Verbindungen zu anderen. Es konstituiert sich ueber eine Schwingung, eine Resonanz, die nicht zuletzt auch von der Gemeinsamkeit als Unterschied erfuellt ist: Das, was uns
unterscheidet, erlebt das ich
ebenfalls als Gemeinsamkeit. Diese Resonanz ist kein reissfestes, schon immer gegebenes Band, sondern fluechtig, bruechig. Es sortiert und sammelt sich immer wieder neu.
Vielleicht erweckt das Wir-sagen besonders dann den Eindruck von Staerke und Gewissheit, wenn besagte Resonanz besonders schwer zu greifen ist. So wie heutzutage, in einer Gesellschaft, in der man eigentlich staendig darum kaempfen muesste, diese Resonanz transparent, sichtbar und plausibel zu machen. Eine Gesellschaft, die niemals Ganzes, sondern immer nur Vielheit sein kann, zumal sie sich im Zuge der Globalisierung so schnell und stark veraendert, dass selbst Konservative meinen, es gaebe sie nicht mehr, zumindest nicht als integriertes Ganzes. Um die Aufloesung zu uebertoenen, erklingt das wir
immer lauter. Vor allem auch deshalb, weil dieses wir
ein ich
zur Geltung bringt, das nicht plural, sondern eins sein will. Das ich
des Individualismus-Kults.
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