Wieviel Geld braucht man zum Leben? Diese Frage bekommt in den Bildern von Alec Soth einen neuen Sinn. Der US-Künstler fängt das neue Gesicht der freiwilig gewählten Armut ein: Menschen, die ein Leben ohne Mangel führen, jenseits des Kapitalismus. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki geht der Sache nach.
Wenn ich eingangs frage “wieviel Geld braucht man zum Leben?”, so will ich nicht in die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen einsteigen. Es geht mir nicht darum, wie hoch das Existenzminimum ist und wie ungerecht dessen Bemessung. Und auch nicht, wieviel mehr Menschen am unteren Ende der Einkommenspyramide eigentlich zusteht. Nein, diese häufig gestellte Frage zielt an dieser Stelle in eine andere Richtung. Die Frage nach dem “wieviel” scheint eine eindeutige Ziffer als Antwort zu verlangen. Eindeutig und normativ. Eine Ziffer, die für alle gilt.
Geld als unhinterfragbarer Maßstab
Dieses “braucht man” ist freilich irreführend. Wie kann man schon sagen, was “man” braucht. Schnell entgegnet: Die Bedürfnislage der Menschen kann nur individuell geklärt werden – mit Blick nach oben sehen wir immer mehr Großverdiener, mit Blick nach unten immer mehr Menschen, die sich von den normativen Richtmarken nicht angemessen erfasst fühlen. “Ich kann mit so wenig nicht leben!” Doch das, was ich versuche aufzuzeigen, ist damit noch nicht beschrieben. Das eigentliche Problem besteht darin: Der Frage “wieviel Geld braucht man zum leben?” liegt die Annahme zu Grunde, dass die Bedürfnislage des Menschen in Geld messbar ist. Geld gilt als ultimativer Maßstab – nicht Liebe, nicht soziale Beziehungen, nicht Gesundheit, etc.
Doch es geht mir nicht um Dinge, die man mit Geld NICHT kaufen kann. Vielmehr darum, inwieweit Geld als ultimativer Maßstab für das Überleben trotz der gerechtfertigten Debatten um das Existenzminimum und trotz der vertretbaren Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen – inwieweit Geld als ultimativer Maßstab für das Überleben grundsätzlich hinterfragt werden sollte. Jetzt werden Sie sagen: “Hier schreibt ein Journalist, da kann ich mir schon denken, wie das weitergeht.” Sicherlich, Journalisten bekommen bekanntlich nicht nur zahlreiche Rabatte (etwa bei Flugreisen), sondern auch vieles umsonst: Journalisten werden bei Empfängen, Tagungen und anderen Anlässen mit guten Speisen und Getränken versorgt, etc.
Man kann davon noch lange nicht überleben, doch wer ist schon “man”? Es gibt nicht wenige durchaus glückliche Menschen, die von solchen Privilegien und von der Hand in den Mund leben. Interessant unter ihnen sind jene, die aufgrund solcher Privilegien sensibilisiert werden für das, was man im Leben ohne Geld bekommen kann und wie man seine Bedürfnisse an Dingen ausrichten kann, die kein Geld kosten.
Hier verschiebt sich der Blick vom Privileg auf das Gemeingut. Es ist eine dramatische Verschiebung. Denn während es beim Privileg per Definition um ein Vorrecht geht, das einer einzelnen Person oder einer Personengruppe zugestanden wird, ist das Gemeingut quasi dessen Gegenteil: kein Vorrecht, sondern etwas, das per Definition für alle potenziellen Nachfrager frei zugänglich ist. Damit ist ein zentrales Thema der Gegenwart benannt. Wie rückt es in das Bewusstsein?
Immer wieder heißt es in den Massenmedien und in der Alltagskommunikation: “Wir leben in einer Gesellschaft des Überflusses”. Damit sind häufig jene materiellen Güter gemeint, die im Überfluss produziert werden. Spätestens jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, müssen wir erkennen, dass nicht nur komerzielle Güter, sondern auch Gemeingüter im Überfluss vorhanden sind. Besonders offensichtlich ist das im Bereich der Information: ein Tag im Internet reicht, um zu begreifen, wie umfassend hier Gemeingüter im Überfluss vorhanden sind.
Abschied von der Logik des Mangels
Trotzdem ist die Situation alles andere als rosig. Wir haben es hier vielleicht mit dem größten und weitreichendsten Kampf zu tun, der derzeit ausgefochten wird: Was ist ein Gemeingut? Wie soll es genutzt werden? Wer darf über all das entscheiden? Die Lobby derer, die alles privatisieren wollen, ist groß und mächtig. Es geht ihnen um (sehr viel) Geld. Andere, die die Gemeingüter verteidigen, kämpfen für eine gerechtere Welt. Wiederum andere führen ein Leben, in dem Gemeingüter im Überfluss vorhanden sind, in dem Mangel kein Kriterium für Armut ist.
Diese Menschen bekommen in den Bildern des Künstlers Alec Soth ein Gesicht. Aussteiger, Einsame, Flüchtlinge des Kapitalismus. Sie leben außerhalb des dominanten Systems, improvisieren am Rande von Wäldern und Wüsten, weitgehend ohne Geld. Und doch zeigen sie auf ihre Art sehr viel über das System, in dem Geld noch regiert. Denn sie verkörpern einen Wertewandel, der sich in “unserem” System vollzieht – von der Logik des Mangels, die den Kapitalismus inthronisieren half, hin zu der Logik des Überflusses.
Seit Jahren leben Soths Figuren draußen, meistens unter freiem Himmel, ihr Blick ist nachts nach oben gerichtet. Bis ans ihr Lebensende werden sie damit beschäftigt sein, die Sterne zu zählen. Vielleicht auch, weil es immer mehr werden.
Anm. d. Red.: Bis zum 30. Juli ist unter dem Titel Broken Manual eine Werkschau von Alec Soth in der Berliner Galerie LOOCK zu sehen. Die beiden Fotos in diesem Artikel stammen aus der Ausstellung.
28 Kommentare zu
Ich habe mich ja vor einiger Zeit einem vergleichbaren Thema gewidmet und traf dabei so Einige, die sich "aus der Not eine Tugend" machten.. quasi "schön reden" als Notwehr-Reaktion.
was genau hast du dazu gearbeitet? nicht etwa in berlin? ;)
http://www.coll.mpg.de/
Ist es nicht so, dass jeder Abwurf von Ballast, erst einmal die Befreiung von Überflüssigem bedeutet. Vielleicht hat der Autor schlicht und ergreifend nicht realisiert, dass dies ein Schritt zur Freiheit bedeutet und Freiheit ist kein Mangel, ganz im Gegenteil.
Der Artikel hätte mehr Sinn gemacht, wenn eines dieser Individuen, das so garnicht in unsere Gesellschaft passen will, zu Wort gekommen wäre. Vielleicht hätte der Autor gelernt sich zu wundern, das hilft.
Für mich relativieren sich immer wieder unsere künstlich produzierten Bedürfnisse, wenn ich Menschen begegne, die in ihrer "unfreiwilligen Armut", die ihen Alltag bestimmt, in den wesentlichen Dingen mir über sind, wenn sie fröhlich das Wenige was sie haben mit mir teilen und sich darüber freuen, dass sie das können.
In dieser Umgebung ist Reichtum zu finden, dessen Bedeutung in den Bereichen wirklicher Armut, nämlich dort, wo Wert in Währung gemessen wird Wo die Fähigkeit glücklich zu sein ein seltenes Gut geworden ist, dort wo Freude keinen Zustand darstellt, sondern nur ein kurzes Blitzen in einer Gewitterfront bedeutet, da fängt man bei kostenlosen Schnittchen und freien Getränke an über den Sinn des Lebens zu philosophieren.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann - J. Stumm
Ein Punkt der mir in dem Kunstprojekt nämlich fehlt ist: die Zeit. Denn Freiheit hat auch immer etwas mit Zeit zu tun und diese muss man erreichen, in den meisten Fällen über Geld. Ein bGe unterstützt ja auch diesen Ansatz und einen anderen Ansatz findet man in dem sehr guten Buch "Gemeinwohl Ökonomie" von Christian Felber, der schreibt, dass man pro Lebensjahrzehnt ein berufsfreies Jahr haben sollte. Also neun Jahre arbeiten und eines frei haben (bei weiterer Bezahlung) um anderen Projekten und Interessen nachzugehen. Ich finde den Ansatz sehr interessant.
Es ist ja nicht immer eine Frage von "es schaffen können oder nicht können in der Gesellschaft", sondern von " es schaffen wollen oder nicht wollen".
Es geht hier also um einen Willen der Vorstellungskraft --- kann man anders existieren als es die Gesellschaft im Kapitalismus diktiert?
Ein Jahr off in zehn Jahren Arbeit -- da würde ich dennoch nicht nein sagen ;)
güter bekommen ihren psychologischen oder finanziellen wert, nicht weil sie im überfluss vorhanden sind, sondern weil es ganz wenig davon gibt oder zu geben scheint. ich will haben, was nicht so einfach zu haben ist, was tendenziell unerreichbar ist. so funktioniert begehren, ohne das die ganze geschichte nicht rund laufen würde.
ich will immer mehr, weil mein begehren nicht gestillt werden kann. für mich stellt sich die frage nicht wirklich, worauf kommt es an, was ist wesentlich, sondern wie kann ich mein begehren stillen? die nächste zigarette, das nächste bier, das nächste handy. immer weiter. dieses begeheren das dem kapitaliusmus und seiner logik des mangels inhärent ist hat sich verselbstständigt, deshalb leben wir einer gesellschaft des überflusses: wir haben von allem zuviel, aber niemals genug.
die zuvielen entscheidungsmöglichkeiten, die das mit sich bringt, führen zur überforderung und zu depression.
laut psychologen ist sie die typische krankheit einer solchen situation.
doch was die entscheidungen angeht, die wir fällen müssen aber nicht fällen wollen oder können: immer tiefer dringen wir in technologisch geprägte zusammenhänge, in denen maschinen und programme entscheidungen für uns fällen. und wir merken es noch nicht einmal...
ein teufelskreislauf.
http://www.somewheretodisappearthefilm.com/