Das Elevate Festival in Graz verbindet elektronische Musik mit Beiträgen aus Film und Literatur, sowie einem eigenen Diskursprogramm. Ausgangsfrage war in diesem Jahr: Was kann jede(r) einzelne gegen soziale Ungleichheit, Klima- und Wirtschaftskrise tun? Neue Formen des Protests im Netz und die Anbindung an lokale Initiativen spielten eine wichtige Rolle. Ein Bericht.
Was mich am meisten beeindruckt hat, waren zum einen die außergewöhnlichen Veranstaltungsorte, wo tagsüber im und rund um den Grazer Schlossberg AktivistInnen, TheoretikerInnen und VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Initiativen spannende Debatten mit dem Publikum führen konnten, abends dann dieselben Locations einem sehr breiten Spektrum an elektronischer Musik Raum boten; zum anderem war dies aber auch einfach das gesamte Umfeld des Festivals.
Krise und Widerstand im lokalen Kontext
In Zeiten, in denen mensch sich vor “Events” ja kaum noch retten kann, ist es toll zu sehen, dass Form und Inhalt bei einem solchen Festival ohne große Verrenkungen gut zusammenpassen. Und das liegt nicht zuletzt an den Leuten, die das Ganze auf die Beine stellen. Im Vergleich zum Berlin Festival etwa, braucht Graz mit dem Elevate sicher nicht hinterm Berg zu halten. Dann schon besser damit auf Dauer in den Berg eingraben!
Ausgangspunkt des Festivals war die Frage, wie jede(r) einzelne dazu beitragen kann, der Klima- und Wirtschaftskrise sowie den sozialen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Ich denke auch hier war den VeranstalterInnen die Gesamtperspektive wichtig. So gab es zum Beispiel am Sonntag zuerst eine Podiumsdiskussion mit AktivistInnen aus dem lokalen Umfeld, welche sich vor allem mit sozialen Bewegungen in Österreich und hier insbesondere der gerade wieder aufflackernden unibrennt-Bewegung auseinander setzten.
Die Krise im internationalen Kontext
Danach waren Vertreter/innen aus dem internationalen Kontext an der Reihe, die sich aus einer globaleren Perspektive der Krisenproblematik widmeten. Dass das eine ohne dem anderen nicht zu haben ist, war sicherlich allen klar und wurde am gesamten Festival auch dadurch sichtbar, dass gerade lokale Initiativen – wie Rettet die Mur, die sich gegen die Verbauung des Grazer Flussufers durch ein Wasserkraftwerk auflehnt – immer wieder in den Diskussionsprozess miteinbezogen wurden und sich dadurch der Diskurs anhand konkreter Beispiele gleichsam verfestigen konnte.
Ich denke, dass gerade in dieser Kombination aus konkreten Ansätzen und reflektierendem Diskurs das Bewusstsein und die Motivation für individuelles und kollektives Engagement geschaffen werden kann. Dabei geht es wohl weniger darum einen spezifischen Lösungsvorschlag für dieses oder jenes Problem zu präsentieren – was meines Erachtens nicht Aufgabe eines solchen Festivals ist – als vielmehr den Weg dorthin selbst schon als Prozess größerer Freiheit erfahrbar zu machen.
Und wer dann abends bei Underground Resistance oder Didi Bruckmayr dabei war, hat vielleicht schon etwas von einer solchen “Kulturrevolution” erahnen können.
Protest 2.0: Bitte nicht die 90er vergessen!
Ich war eingeladen, einen Kommentar zu dem von Klaus Schönberger und Ove Sutter herausgegebenen Buch Kommt herunter, reiht euch ein… zu verfassen und von hier aus auf das von mir einmal als Protest 2.0 bezeichnete Phänomen einzugehen. Mit den beiden Herausgebern stimme ich dabei darin überein, dass es in Bezug auf soziale Bewegungen und deren Protestformen vor allem einer historisch-kritischen Perspektive bedarf, um gerade im Fall von “social media” nicht erneut einem Hype zu erliegen.
Klar kann es dabei auch nicht darum gehen, wie von Geert Lovink an dieser Stelle richtig angemerkt hat, einem langweiligen Kulturpessimismus das Wort zu reden, der eh schon immer alles besser wusste. Nur sollte eben auch nicht auf die bereits in den 1990er Jahren geführten Diskussionen und Debatten rund um virtuelle Gemeinschaften und digitale Städte vergessen werden, zumal diese auch in technologischer Hinsicht vieles bereits vorwegnahmen.
So ist ja auch das heute viel beschworene Web 2.0 aus den Trümmern des Web 1.0 entstanden. Anstatt sich aber mit diesen Herkünften kritisch auseinander zu setzen, haben wir es heute mit einer allgemeinen Geschichtsvergessenheit zu tun, aufgrund derer wieder einmal das vermeintlich Neue an den neuen Medien abgefeiert wird.
Ich werde dabei den Eindruck nicht los, dass dies vor allem dazu dient, ein altes, nach dem Platzen der Dotcom-Blase eigentlich schon abgeschriebenes Geschäftsmodell herüber zu retten, während die eigentlich brisanten Fragen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wie die Frage nach einem freien und von kommerziellen wie staatlichen Interessen unabhängigen Mediensektor, oder nach der zunehmenden Privatisierung kultureller Ressourcen durch die Copyright-Industrien gar nicht mehr gestellt werden. Naja, vielleicht doch etwas kulturpessimistisch… Und wohl auch der Grund dafür, dass die Diskussion im Anschluss an die Präsentation dann etwas schleppend verlief.
5 Kommentare zu
https://berlinergazette.de/gute-alte-social-media/
Damit ist durchaus die Hoffnung verknüpft, eine Chance zu nutzen, die abseits des üblichen "richtig viel Geld Verdienens" liegt.