Normalerweise wird ein Briefwechsel nicht als Roman angelegt. Doch was, wenn bei der retrospektiven Lektüre ein Erzählfluss zum Vorschein kommt, der eine breitere Öffentlichkeit in seinen Bann zu ziehen vermag? Diese Frage führte unsere Autorin Karolina Golimowska dazu, Schriftstücke ihres Urgroßvaters zugänglich zu machen.
Warschau, 24. April 1925
Liebste Stasieńko, nur noch fünf Tage und dann kann ich Dich endlich sehen und in die Arme nehmen! Ich hoffe, du hast die Erkältung bekämpft und frierst nicht mehr in der Nacht. Liebste, es ist wichtig, dass Dir nachts warm ist! Freitag habe ich nur eine Übung an der Universität und die Vorlesung, die ich sonst immer danach habe, fällt aus, Stasieńko, direkt nach der Übung steige ich in den Zug und fahre zu Dir!
Dein Józek
Warschau, 13. März, 1926
Meine liebste Stasieńko,
ich habe dir heute Strümpfe gekauft, und hoffe sehr, dass es die richtigen sind. Sonne macht Warschau erträglich, und wärst Du hier, wäre ich ein glücklicher Mensch. Nun bist Du weit weg, Liebste, und ich vermisse Dich so sehr, dass es weh tut, Stasieńko. Aber bald, Liebste, bald ist dieses Studium fertig und dann komme ich zurück und wir werden endlich zusammen leben, in Skarżysko, in unserer Stadt.
Ich schicke Dir viele Küsse und freue mich schon auf unser Wiedersehen.
Dein Józek
Konzentrationslager Dachau 3K., 25.05.1942
Name: Erbel, Józef
geboren am 14.03.1899, Gef.-Nr. 26387, Block 18-4
Liebste Stasieńko,
ich darf nur auf Deutsch schreiben, hoffe, dass Dir Felek den Brief übersetzen kann. Das Paket mit Lebensmitteln habe ich erhalten, danke Liebste. Schick mir bitte noch einen Pullover, es ist so kalt. Meine Füße sind geschwollen, ich weiß nicht warum. Ich bin schwach und wiege keine 60kg mehr, Stasieńko, ich würde Dir so gar nicht mehr gefallen.
Ich freue mich, dass Jurek und Staś so gute Noten in der Schule haben. Ihr fehlt mir alle sehr, aber nur weil ich Euch habe und an Euch denken kann, lebe ich noch.
Ich umarme Euch und hoffe, dass wir uns noch wieder sehen werden.
Ich liebe Dich, Stasieńko.
Dein Józek
Skarżysko, 5.12.1942
Lieber Józieńku,
Deinen Brief habe ich am 22.11.erhalten. Es freut mich sehr, dass Du das Paket mit Lebensmitteln erhalten hast. Ich bin neugierig, wie Dir Butter schmeckte. Ich habe auch Sweater, Unterhosen, Strümpfe gesendet und im zweiten Paket Halstuch und Handschuhe. Die Knaben lernen Deutsch und arbeiten hart. Gestern war bei mir Tante Rzeszowska. Sie ist gekränkt, Onkel ist krank und Diebe haben ihre Kuh gestohlen. Bei uns liegt schon Schnee, ich denke an Dich, Józieńku. Am 1.12. habe ich wieder ein Paket mit Lebensmitteln gesendet, darin waren: Weizenbrot, 50 Zigaretten, Zucker, 2 Äpfel, Zwiebel und Rauchfleisch.
Wir küssen Dich herzlich,
Deine Frau und Söhne
Warschau, 3.01.2010
Karolinko,
hier ein Paar Briefe von meinem Vater, vielleicht interessieren sie Dich? Mit denen aus Dachau kann ich ja nichts anfangen, weil ich kein Deutsch spreche, wie Du weißt. Ich räume hier in der Wohnung auf und dachte gerade an Dich. Ich wüsste sonst nicht, wen aus unserer Familie das hier interessieren könnte.
Alles Liebe,
Dein Opa Staś
12 Kommentare zu
...somebody should make a study of what people say in their sleep... because it means more than a thousand letters a man writes in his lifetime and it's literature as well.