Erfüllt das klassische Feuilleton in der Zeitung einen besonderen Auftrag? Oder ist es nur mehr ein Mülleimer für alles, was nicht in die anderen Ressorts passt? Die Debatte darüber ist mindestens genauso alt wie die Zeitungskrise. Was das aktuelle Feuilleton aber tatsächlich über den Überlebenskampf des traditionellen Journalismus in einer digitalisierten Welt aussagt – darüber denkt Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki in seinem Essay nach. Update 15.08.2012 siehe unten.
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Seit Jahren wird über die Zukunft der klassischen Zeitung diskutiert. Die Kritik läuft unter anderem auf folgenden Punkt hinaus: Der wirtschaftliche Überlebenskampf (sprich: Verlagskrise) wird als Sinn- und Daseinskrise auf den Zeitungsseiten kompensiert, also auf Redaktionsebene. Die Frage, die man sich stellt: “Sind wir noch relevant?” Die Antwort, die man gibt: „Ja. Denn die Welt der Digitalisierung mag bunt sein, doch ohne uns ist sie nicht lesbar. Wir bieten in dieser unüberschaubaren Welt Orientierung und Sinnangebote. Und wir zeigen u.a.: Das Internet ist gefährlich und oftmals nicht mehr als blanker Unsinn.“
Daraus leitet sich, wohlwollend gesprochen, eine Diskussion über Deutungshoheit ab: Wer versteht die Welt wirklich? Wer kennt ihren Sinn und wer kann ihn am besten erklären? Weniger wohlwollend gesprochen, entspringt hier der Vorwurf der Weltfremdheit. Und vieles mehr, was die Zeitung in einem innovationsfeindlichen Licht erscheinen lässt. Lässt sich über diese Kritik hinaus noch mehr sagen, etwa zu einem spezifischen Zeitungssegment, dem Feuilleton? Anders gefragt: Was kann eine Diskussion über das klassische Feuilleton für Erkenntnisse zu Tage fördern, die über das hinausgehen, was wir bereits in der Debatte um die Zukunft der Zeitung lernen konnten?
Intellektuelle streiten über das Feuilleton
Wir müssen uns diese Frage stellen. Anlass bietet eine Wortmeldung des Kulturtheoretikers Georg Seeßlen in der taz. Sein provokanter Titel: “Schafft das Feuilleton ab!“ Seine These: Das Feuilleton sei ein Produkt des Bürgertums. Nun verschwinde das Bürgertum. Und mit ihm das Feuilleton. Seeßlens Intervention kommt nicht aus dem Nichts. Über das Feuilleton streiten sich die Intellektuellen seit den Nuller Jahren wieder häufiger und wortgewaltiger. Immerhin: es ist ihr angestammtes Terrain. Wie der Carta-Gründer Robin Meyer-Lucht mal über Jürgen Habermas sagte: Er engagiere sich deshalb so stark für die gedruckten Leitmedien, weil Spiegel, Süddeutsche und FAZ seine Karriere als öffentlicher Philosoph überhaupt erst möglich gemacht haben. Er verteidige “seine” Öffentlichkeit.
Wenn ein Intellektueller sich zum Feuilleton äußert, steht seine eigene Anerkennung, seine eigene Deutungshoheit, ja, seine Autorität auf dem Spiel: So auch, als der Kulturtheoretiker und Publizist Ulf Poschardt (vor sieben Jahren im Rahmen der so genannten “Poschardt-Debatte”, die im Feuilleton ausgetragen wurde) den linken Intellektuellen vorwarf, sie läsen lediglich das Feuilleton. Nicht aber die Wirtschaftsseiten. Und verpassten damit das Wesentliche. Verstünden deshalb die Welt nicht. Oder als der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher bei seiner Antrittsrede der 8. Tübinger Mediendozentur die Nutzlosigkeit der Kulturseiten vis a vis dem Wirtschafts- und Politikteil als eben deren Stärke ausgab: Denn gerade das, was nicht von unmittelbarem Nutzen sei und deshalb immer von den anderen Segmenten quasi subventioniert werden müsse, gerade das mache das spirituelle Lebenselixier nicht nur der Zeitung, sondern auch der Gesellschaft en gros aus.
Auch Georg Seeßlen, bekannt geworden mit Kino-, Gesellschafts- und Kapitalismusmuskritik, mit zahlreichen Büchern und unzähligen Beiträgen in Zeitungen wie taz und Der Freitag – auch Georg Seeßlen verortet seine Feuilleton-Kritik in der Beziehung zwischen den Ressorts: “Kunst und Kultur (…) waren für die bürgerlichen Gesellschaften perfekte Maschinen zur Herstellung des Geschmacks, so wie der Geschmack gleichsam die Innenausstattung einer Klassenkultur war, die nachträglich legitimierte und erlöste, was in den Ressorts zuvor, der Politik und der Ökonomie, verbrochen wurde. (…) Im Kulturteil würde man sich dafür schämen, wozu man sich im Wirtschaftsteil anstandslos bekennt. Das Feuilleton indes hat nun längst eine andere Funktion übernommen. Es ist auf der einen Seite eine Art Garbage Collection; hier bringt man unter, was in den anderen Ordnungen nicht funktioniert.“
Keine eigene Zukunftsvision entwickelt
Nochmals zur Erinnerung: Unser Ausgangspunkt ist die Zeitungskrise – als Spiegel der Gesellschaft. Und unsere Frage lautet: Welche besonderen Erkenntnisse kann eine Feuilleton-Kritik zu Tage fördern? Der Vergleich des Feuilletons mit anderen Ressorts zeigt in der Diskussion um die Zeitungskrise zumindest eines: Alle Ressorts haben eine Zukunftsvision entwickelt – bis auf das Feuilleton. Man kann das am Beispiel eines Geschäftsmodells veranschaulichen, das für die Zeitung im Zeitalter der Digitalisierung im Gespräch ist: Anstatt alle Hefte als Ganzes zu verkaufen, individuelle Pakete zu schnüren, dem Trend der Personalisierung folgend – der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat das mit der Auflösung des Albums verglichen. Wirtschaft, Politik, Sport und Lokales – über all diese Bereiche konnte man in den vergangenen Jahren verschiedenste Evolutionsgeschichten lesen, bis zum Hype rund um Lokaljournalismus (zuletzt in brandeins). Nichts dergleichen jedoch im Bereich der Kultur.
Das ist mehr als befremdlich. Immerhin ist das Feuilleton genau der Ort, an dem Evolutionsprozesse angestoßen und Zukunftsvisionen entstehen müssten. Zumindest, wenn man es beim Wort nähme – als Forum, das sich primär um Kultur kümmert. Also darum, wie wir leben, wie wir das bewerten, wie wir darüber reden und wofür wir wieviel Geld ausgeben. Man könnte, wie der Literaturtheoretiker Terry Eagleton, zunächst fragen: Was ist Kultur? Doch brauchen wir wirklich eine Grundsatzdebatte darüber? Kultur, das ist Bewegung, das ist Veränderung. Feuilleton könnte entsprechend bedeuten: Erneuerung beobachten und hervorbringen. Die Auflösung der traditionellen Kulturindustrie (samt ihren erodierenden Geschäftsmodellen) müsste hier nicht nur verhandelt werden. Es müsste auch eine Neubestimmung der Kultur (und ihrer Industrien) erahnt, ertastet, vermessen und zur Diskussion gestellt, aber auch aktiv betrieben werden.
Doch das klassische Feuilleton wird dieser Herausforderung nicht gerecht. Zu sehr geht es hier um konventionelle Kulturprodukte, zu sehr wird das althergebrachte Starsystem der Bescheidwisser gepflegt – samt dessen Fortsetzung im Netz (Stichwort: Klout). Seeßlen formuliert es so: “Es sind immer weniger Menschen, die gegenüber einer immer größeren ästhetischen und diskursiven Produktion entscheiden, was verhandelbar ist und was nicht. Und diese wenigen Menschen achten viel weniger darauf, was in der Welt los ist, als darauf, was die Konkurrenz macht.” Das Feuilleton ist seiner Meinung nach “ein geschlossenes selbstreferentielles und dogmatisches Instrument zum kulturpolitischen Mainstreaming geworden. Was im deutschen Feuilleton gelandet ist, ist so gut wie tot.”
Öffnung der Diskurse: locker, experimentell
In seiner Kritik versteckt er Forderungen, die klingen, als hätte es dieses andere, bessere Feuilleton schon einmal gegeben. Wodurch auch immer der Wunsch nach einem Gegenentwurf motiviert sein mag (der Vorwurf der Nostalgie und Verklärung stent im Raum…) – er ist von einem zeitgemäßen Geist geprägt. Seeßlen will das Feuilleton als ein “zur Öffnung der Diskurse gedachtes, lockeres und experimentelles Submedium”. Einer seiner Leser, Christoph Kappes, selbst ein Kulturtheoretiker der Netz-Ära, formuliert es im Diskussionsforum von Google+ so: “Das Feuilleton muss raus aus den Lettern, rein in die Salons, gestreamt, mit Video versehen, ge-mixt mit Buehne, Gesang usw.”
Das klingt plausibel. Immerhin leben wir in einem multimedialen Zeitalter. Doch es ist erschreckend, wie weit wir (zumindest in den Mainstream-Medien) von einem experimentellen, multimedialen, offenen Feuilleton entfernt sind. Und so lautet die Antwort auf die Eingangsfrage, welche besonderen Erkenntnisse eine Feuilleton-Kritik über die Zeitungskrise als Spiegel der Gesellschaft zu Tage fördern kann, wohl so: Das Feuilleton muss sich aufgrund seiner Sonderstellung gefallen lassen, fortan als Sonder-Sündenbock gehandelt zu werden, wenn es darum geht, die Versäumnisse und Verfehlungen der Presse für die Missstände in unserer Gesellschaft hochzurechnen. Es hätte in den letzten 20 Jahren zu einer Inspirationsquelle für die Erneuerung der traditionellen Massenmedien werden können. Stattdessen ist es zur Müllhalde ihrer innovationsfeindlichen Abteilungen avanciert.
Update: Die Debatten-Beiträge im Überblick (Stand 23.10.2012)
Georg Seeßlen: Schafft das Feuilleton ab! Warum sind Kulturseiten so borniert geworden? In: taz.de, 08.08.2012
Georg Seeßlen: Schafft das Feuilleton ab! Warum sind die Kulturseiten so unerträglich borniert geworden? Eine Erklärung. In: getidan.de, 09.08.2012
(Langversion des taz-Texts, auf die sich bislang niemand bezieht)
Krystian Woznicki: Abfall für die Elite: Ist das Feuilleton ein Mülleimer? In: Berliner Gazette, 10.08.2012
Marc Reichwein: F wie Feuilletonkritik. In: Welt.de, 10.08.2012
Johannes Kuhn: Warum noch Feuilleton? In: Kopfzeiler.org, 14.08.2012
Tim Klimes: Macht mehr Feuilleton! In: timklimes.de, 14.08.2012
Lena Baetz: Kein Klagelied. In: Der Freitag, 15.08.2012
Martin Meyer: Feuilleton in unserer Zeit. In: NZZ, 1.9.2012
Horst A. Brunopolik: Blinde Flecken: Plädoyer für ein offenes Feuilleton. In: Berliner Gazette, 5.10.2012
Christoph Kappes: Totgesagte leben länger. In: The European, 21.10.2012
Anm. d. Red.: Georg Seeßlen hat soeben (gemeinsam mit Markus Metz) die Streitschrift Kapitalismus als Spektakel veröffentlicht. Krystian Woznicki schreibt zur Zeitungskrise in Zeiten der Digitalisierung in seiner Kolumne Phase 5. Die Fotos oben (1 & 2) stammen von Philippe Leroyer und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.
65 Kommentare zu
Hier der Link zu "Im Rücken die steinerne Last - Unternehmen Sisyfos", wo der o.g. Essay von Friauf zu finden ist:
http://www.dittrich-verlag.de/buecher/im-ruecken-die-steinerne-last/
kennt hier jemand zufällig den Digitalguru Frans van der Reep?
http://www.fransvanderreep.com/
Einer aus Holland, der neulich was Interessantes aussprach und ich glaube hier Euch nicht unbedingt gefallen, das vielleicht nicht, nein, nein, aber seis drum:
Gegen Ende des Mittelalters begann die Entmachtung des damals regierwenden Adels durch die aufkommende Bourgoise. Und so könnte es heute der Bürger mit der politischen Elite tun...
Gegenargumente sammelt Andrew Keen in seinem Buch "Die Stunde der Stümper" und Peter Sloterdijk fürchtet, dass neue Massenmedien zu Medienmassen führen, zu Bürgern, die einfach und manipulierbar sind...
Literatur:
- Kauffmann, Kai und Erhard Schütz (Hrsg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin 2000.
- Stegert, Gernot: Feuilleton für alle: Strategien im Kulturjournalismus der Presse. Tübingen: Niemeyer, 1998.
- Todorow , Almut: Das Feuilleton der 'Frankfurter Zeitung' in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung. Tübingen 1994.
Gerne würde ich mehr über die in dem an zweiter Stelle genannten Buch besprochenen Strategien des „Popularisierens“, „Personalisierens“ und „Feuilletonisierens“ erfahren. Bin gesoannt!
http://medienwoche.ch/2012/02/28/im-hort-der-hochkultur/
ich finde für die diskussion einige punkte daraus interessant (ich sage nicht, das ich das unterschreibe):
1. das schreiben im f. ist nicht mit dem bloggen verwand
2. das f. als individuelles ressort nicht überlebensfähig
3. das f. lebt von ehrenamtlicher mitarbeit
4. perlentaucher: gut, aber nicht wesentlich für journalismus
5. wirtschaft ist wichtiv, aber am ende bleibt kultur
hier sind die fragen und antworten im o-ton:
"Ist das Schreiben im Feuilleton eigentlich mit dem Bloggen verwandt? Beides ist doch nicht so streng in Textformen gepresst und lässt auch mal Gedankenexperimente zu …"
Wenn ich sehe, mit welchen sprachlichen Mitteln gebloggt wird, dann machen wir eigentlich das pure Gegenteil. Wir machen Gedankenkonzentration, wir versuchen, gut und konsistent zu argumentieren und das in eine Sprache zu fassen, die den Regeln der Grammatik und des Stils genügt. Wenn Sie die meisten Blogs anschauen, dann geht es dort sprachlich und häufig auch gedanklich drunter und drüber. Warum? Weil das schnelle Medium dazu einlädt. Weil es aber heute so viele Ablenkungsmöglichkeiten gibt, ist es eine Kunst, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Schwierigkeit liegt darin, bei enormem Angebot das herauszufiltern, was einen selbst weiterbringt. Anders gesagt: Dass man nicht zuletzt einen unendlich grossen Legokasten mit vielen halbangefangenen Modellen am Boden herumstehen hat, über die man stolpert – ab und zu bricht etwas zusammen, aber einen von A bis Z durchgestalteten Prozess gibt es kaum mehr. Das heisst: Für die Kreativität ist es eher schwieriger geworden, weil man sich disziplinieren muss.
"Könnte sich das NZZ-Feuilleton auf dem freien Markt behaupten, ohne den Rest der Zeitung?"
Eine interessante Idee, ich kann nur sagen, ich möchte es hoffen. Aber zum Glück sind wir nur pars in toto.
"Sie sagten mal, es sei eine Ehre, für die NZZ zu schreiben, auf das Honorar komme es nicht an (2009). Können Sie sich vorstellen, dass das ein Affront ist für einen Journalisten ist, der versucht, sein Geld auf dem freien Markt zu verdienen?"
Ich versuche zu erklären, was ich damit – übrigens ohne jede Provokation gegenüber freien Journalisten – gemeint habe, da es zu Missverständnissen Anlass gab. Feuilleton-Berichterstattung ist sehr aufwändig. Wenn Sie ein Buch besprechen müssen, sagen wir: von 500, 1000 oder sogar 1700 Seiten wie das neue von Péter Nádas, dann müssen Sie sich überlegen, wie lange sie brauchen, um das zu lesen. Sie kommen auf eine Woche, vielleicht zwei. Dann erstellen Sie sich ein Schreibkonzept für die Rezension, schreiben den Text, polieren und redigieren ihn. Am Schluss haben Sie sicher einen halben Monat investiert. Auch wenn Sie den Stundenlohn einer Putzfrau einsetzen, kommen Sie auf eine Summe, die wir nie zahlen könnten, weil wir unter Umständen drei, vier, fünf solche Rezensionen täglich im Blatt haben. Darum sind wir auf Idealisten angewiesen, die sich das leisten können und wollen, und das sind eigentlich sehr viele, die für uns schreiben. Ohne diese Schar von freien Mitarbeitern, die bereit sind, auf eine normale Entlöhnung zu verzichten, könnten wir unser Feuilleton gar nicht machen. Ergo: Diese Art von Feuilleton wird mindestens teilweise von unseren freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern subventioniert. Ich kann und darf deshalb ergänzen: Es ist uns eine Ehre, dass diese Kolleginnen und Kollegen für uns tätig werden.
"Wie stehen Sie zum «Perlentaucher»? Lesen Sie die Zusammenfassungen der Feuilleton-Rundschau?"
Man hat Freude, wenn man gelobt wird, und ärgert sich kurz, wenn man nicht gelobt wird. Der «Perlentaucher» ist eine Dienstleistung zum Zwecke der Orientierung. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber für unsere Tätigkeit ist dies im Grunde irrelevant. Ganz grundsätzlich: Ich sehe einen Problempunkt darin, dass sich Journalisten zu sehr mit Journalismus und anderen Journalisten beschäftigen anstatt die eigentliche Arbeit zu verrichten: Themen auswählen, Gegenstände anvisieren und kritisch durchleuchten, eine Meinung bilden und die dem Publikum weitergeben.
"Sollte die aktuelle Schuldenkrise den Kulturbetrieb zu massiven Einsparungen zwingen: was müsste auf jeden Fall überleben?"
Am liebsten alles. Ach, wissen Sie: Wenn Sie etwas zurückblicken, etwa auf das alte Ägypten: Es gibt noch Gräber, Säulen, Statuen, ein paar Pyramiden, und viel, viel ist verschwunden. Das heisst: Das einzige, was in der und für die Geschichte bleibt, sind die kulturellen Zeugnisse, die literarischen und historischen Quellen. Politik ist verschwunden, Wirtschaft ist verschwunden, es bleibt nur Kultur. Das sollte einen in Bezug auf Kultur etwas aufgeschlossener und in Bezug auf den Rest etwas bescheidener machen. Gutes Wirtschaften ist wichtig, Staatsverschuldung ist schlecht, aber, und das sollten wir nicht vergessen: was am Schluss übrig bleibt von der menschlichen Leistung, sind die Bestände der Kultur.
http://www.kominform.at/article.php/20050603105557755
Metschers Argumentation folgt Heike Friauf in ihrem Aufsatz zu Schöfers "Gläsernen Dichter", der unter #1 angezeigt ist.
Arg verkürzt hier also: Erasmus Schöfer mit seiner realen Künstlerbiografie des "Scheiterns" was das der 68er ist, muss als beispielhaft gelten, wie unser Kulturbetrieb und seine Eliten nur das gelten lassen, was ihren bürgerlichen Regeln entspricht. KUNST in diesem "Betrieb", wozu auch das bürgerliche Eliten-Feuilleton zweifellos gehört, muss damit als KUNST angezweifelt werden. Wie Kunst und Kultur in einem Feuilleton, was die "Postmoderne" sowie ebenfalls alle Ideologien hinter sich gelassen hat und sich in technisch veränderten gesellschaftlichen Bedingungen befindet, zu definieren ist, könnte das aufregende Thema jetzt sein.
Ressort-Denken gehört in den Abfall.
via Perlentaucher.
"das Feuilleton gehört nicht abgeschafft. Es ist genau umgekehrt: Der Rest der Zeitung gehört abgeschafft."
http://www.timklimes.de/macht-mehr-feuilleton/
Auch das Arbeiten für das Feuilleton als Quasi-Ehrenamt wirft ein kurioses Licht auf bestehende Grenzziehungen.... Bürger-Journalismus lässt grüßen...
Man muss sich heute entscheiden: Will man Teil einer kulturellen Gegenwart des Hier und Jetzt sein (hier wird die Ehre einem zu Teil, sofern man im Netz wahrgenommen und respektiert wird) oder einer Gegenwart, die für eine imaginierte Zukunft Spuren einer vermeintlichen Hochkultur auslegt (Ruinen).
Das ist auch eine politische Frage!
Habermas, Schirmacher, Poschardt, Sesslen, Woznicki - ich habe verschiedene Stimmen zum Feuilleton nacheinander aufgerufen und nebenbei darauf hingewiesen, dass diese Stimmen jeweils über einen Gegenstand sprechen, zu dem sie nur bedingt Distanz haben. Sie werden jeweils von Interessen geleitet - dies (die Sprecherposition) offen zu legen, sollte ein Anliegen jedweder Feuilleton-Kritik sein.
Warum noch Feuilleton?
http://www.kopfzeiler.org/?p=1585
Natürlich hat der Autor recht, wenn er benennt, dass die Tagesaktualität der Printzeitungen im Kontrast zum Netz ad absurdum geführt ist. Aber er bezieht nicht mit ein, dass es auch Menschen gibt, deren erste Tageshandlung nicht darin besteht, den Computer/ das Smartphone anzuwerfen. Und damit meine ich nicht "nur" ältere Menschen, sondern durchaus auch junge, die sich dem Internethype nicht anschließen wollen (und müssen).
Und: der tellerrandübergreifende Blick eines Feuilletonisten muss eben nicht bedeuten, dass er zu allem Kluges sagen kann, dass er sich anmaßen kann, Wirtschaft, Politik und Sport so zu präsentieren, dass die Experten dieser Sparten plötzlich überflüssig werden.
Vielleicht läuft es auf den guten alten Mittelweg hinaus: Verstockt-kulturkonservative Feuilletonisten können sich mehr Tempo angewöhnen und verstockt-reißerisch formulierende Politikreporter können sich mehr Taschenpsychologie und Stilgefühl aneignen:)
Grundsätzlich finde ich, dass doch bitte jeder die Art von Feuilleton schreiben und lesen soll, die ihm zuträglich erscheint – und ich bin froh, dass es sowohl die NZZ, die SZ etc. wie auch die Berliner Gazette und andere Formen feuilletonistischer Schreibvarianten gibt. Dass hier auch Journalisten über Journalisten schreiben ist kein neuer Befund – und insofern immer schon relativiert gewesen, als dass ein gutes Feuilleton davon lebte und lebt, Gastautoren zu haben.
Das pauschale Bürgerlichkeits-Bashing scheint mir ebenfalls ziemlich gestrig gedacht – heute gibt es m.E. wichtigere Aufgaben für ein Dechiffrieren der Gegenwart und ihrer wirklichkeitsbildenden Dynamiken als der Rückfall in eine Rhetorik der guten alten Feindbilder und der schlichten Mechanik von gut und böse, auf der dieser Denkstil aufruht. Kurz: eine grosse Varianz hinsichtlich der Denkräume zur Kultivierung einer ernsthaften Aufmerksamkeit gegenüber der Gegenwart halte ich für gut, die "Abschaffung" bestimmter Räume, in denen sich Einzelne möglicherweise nicht ihren Vorlieben gemäss profilieren können scheint mir dann doch sehr anmassend und paternalistisch – ich jedenfalls wüsste nicht, welches spezifische Feuilleton-Modell gut für die Menschheit ist und welche "abgeschafft" gehört, glaube aber, dass es gut für die Menschheit ist, wenn es Feuilletons mit jener spezifischen Unschärfe des Aufgabenfeldes gibt, wie sie im Zuge der bürgerlichen Öffentlichkeitsentwicklung enstanden sind, fortbestehen und heute durch neue, den verànderten medientechnischen Optionen angepasste Formate ergänzt werden.
Ich kann gut einen halben Tag im Kaffeehaus verbringen, in europäischen Zeitungen (Papier) Feuilletons lesen und ab und und zu am Ipad die Diskussionen der Berliner Gazette verfolgen.
Letztlich schreibt sich diese Diskussion doch ein in den generellen Slang der derzeitigen Netzcommunitykommunikation: alle sollen über all alles sagen können. Nun, warum nicht – für die, die das alles hören oder lesen wollen. Ich für meinen Teil finde gar nicht, dass alle Interessantes und Relevantes zu sagen haben und insofern gewisse qualitätssichernde Foren-Filter überaus positiv, es findet m.E. einfach zuviel an Kommunikation statt. Ich habe kein Interesse daran, meine Gedanken mit allen zu teilen und umgekehrt auch keines, die Gedanken aller anderen zur Kenntnis nehmen zu sollen.
In der Diskussion zu Deinem Text fand ich den Hinweis auf die historische Dimension (und auch die entsprechende einschlägige Literatur) sehr triftig , daran hatte ich beim Lesen Deines Textes auch gedacht; die Rolle des Feuilletons in der klassischen Moderne wäre nämlich m.E. ein interessanter Anknüpfungspunkt für eine heutige Revisionsüberlegung – und die Frage, was diese Art der Artikulation (und des damit einhergehenden Essayismus (ein Begriff, den ich nicht negativ konnotiert verwende), den ich für eine überaus wichtige Form des öffentlichen Denkens halte) heute heissen bzw. wie sich äussern könnte. Das wäre denn auch meine Perspektive für das Feuilleton: ein Ort zur fortwährenden Kultivierung des Essay als gegenwartssensitive Denkform.
Innovation aus der Masse heraus stelle ich mir jedenfalls schwierig vor. Die Blogger sind meiner Meinung nach auch kein Gegenbeispiel zur Elite, nur eine andere Form. Also: Jeder kann Innovation machen, jeder kann bloggen, aber das bedeutet nicht, dass jeder ein neues, tolleres Feuilleton entwickelt oder den Journalismus revolutioniert. Die Leser des klassischen Feuilletons, die Leser der Artikel zu Vernissagen und Premieren oder wasweißich halte ich jedenfalls ohnehin nicht für Elite und die werden es auch nicht sein, die eine Innovation in ebendiesem voranbringen.
Ja, Abfall ist kein schlechter Begriff! - "Elite" ist daran gewöhnt und letzten Endes ist es ja auch sehr bequem, sich nicht auf GEGENWARTSKUNST einlassen zu müssen, die zweifelsohne im "Off-OFF-OFF" zu finden ist und sich nicht mit herkömmlichen und überholten Betrachtungsweisen anschauen lässt. Vielleicht versperren die wirklichen GEGENWARTSKÜNSTLER dem traditionellen Feuilleton auch den Zugang, weil "kein BOCK!" auf abgegessene Phrasen, Fragen und Vergleiche mit XYZ? -
Ist nicht in Städten und auch Dörfern weltweit inzwischen in Graffities z.B. mehr Gesellschaftskritik zu finden als in Museen und Galerien? - Wie viele Romane, Gedichte, Essays etc. verdorren in Schubladen, nicht weil sie schlecht sind, sondern weil die Autoren keine Lust auf die Praktiken herkömmlicher Verlagspraktiken haben?
http://bit.ly/P9KXiO
Diskussion: Tobias Rapp, Jörg Heiser & Ulrich Gutmair diskutieren über editorische Konzepte. Rebot.fm 27.04.2004.
das ist ein interessanter Punkt und wir müssen fragen, was Bequemlichkeit hier bedeutet. Das Feuilleton hängt an verschiedenen Ankerpunkten, Seesslen hat einige genannt, teils sehr unscharf und pauschal, aber wir müssen auch ganz pragmatische anführen:
1. Feuilleton-Journalismus, das ist immer auch Anlass-Journalismus. Es soll für einen Text nach Möglichkeit einen aktuellen Aufhänger geben. Gleizeitig will man aber nicht auf den News-Effekt reduziert werden und quasi Zeitloses bieten.
2. Feuilleton-Journalismus, das ist immer auch ein Journalismus, der kein Journalismus sein will (etwas Höheres, etwas Literarisches, etwas mehr als Journalismus), der aber auch gleichzetig um jeden Preis versucht Journalismus zu sein, um a) Seriösität nicht einzubüssen (wir können hier eben nicht Fakten erfinden und wenn auch wahre, so doch fiktive Interviews führen a la Tom Kummer) und b) breit angedachte Leserschaften nicht zu verlieren: Feuilletonisieren, Popularisieren, etc.
So fällt schon mal vieles raus, allein aufgrund dieser zwei teils paradoxen Grundsätze (es sind nicht die einzgen) und was einst oder zwischenzetig möglicherweise produktiv und kreativ wirksam werden kann, tut lähmen über weite Strecken, führt zu Stagnation.
Denn: Die Feuilletonisierung der gedruckten Tageszeitung (in all ihren Ressorts) hat bereits stattgefunden – zumindest indem hier (http://www.timklimes.de/macht-mehr-feuilleton) vorgeschlagenen Sinne, ungefähr: alles muss nicht noch schneller, sondern langsamer, bedächtiger, reflektierter werden, ferner: mehr Einordnung, mehr Analyse, mehr Hintergrund, etc. Dieser Schritt war zwingend notwendig (für das bisherige Überleben der Digitalisierung) und schlägt sich nieder im Unterschied der Online-Portale der Zeitungen und der gedruckten Version. Und das schon seit einiger Zeit. Noch viel deutlicher tritt diese Ausdifferenzierung aber in der Wochenzeitung zu Tage, z.B. bei Die Zeit und Zeit Online.
Freilich, die Zupsitzung am Ende : Schafft alle anderen Ressorts ab – ausser dem Feuilleton, das ist als polemische Hyperbel zu lesen.
Doch die entscheidende Frage, die bleibt: Beschreibt das, was hier als Feuilletonisierung verstanden wird, tatsächlich schon die Grenzen und den Horizont des Feuilletons? Lässt sich das Feuilleton tatsächlich auf Entschleunigung, Reflexion und Kontextualisierung reduzieren? Oder müssen wir es größer und weiter, gleichzeitig viel konkreter, weil gegenwartsbezogner fassen? Und müssen dann nicht wir zurück zu den inhaltlichen Fragen, die gesellschaftliche Transformation betreffen?
Inhalte bedingen Formate, Formate bedingen Inhalte – alles ist im Fluß. Und wenn wir es in den größten Fluß unserer Zeit werfen (Digitalisierung und Globalisierung), dann kommen sicherlich auch sehr überraschende Dinge dabei heraus. Vielleicht fehlt Vielen einfach noch der Mut.
Ich finde in dem Debattenbeitrag von Johannes Kuhn (Warum noch Feuilleton? (http://www.kopfzeiler.org/?p=1585)) einige sehr treffende Aussagen. Etwa, dass „im Digitalen (die Instrumente für“ die „Relevanz“ des Feuilletons liegen, so dass „Debatten werden im teilnehmenden Dialog beinahe spielerisch verhandelt“ werden. Oder den Anspruch im Hinblick auf Debatten, ein „Diskursnetz zu spannen, das alle umfasste, die teilnehmen wollen“.
Ich denke, wir müssen diese Debatte nicht nur nutzen, um über unser Experimentier- und Debattier-Feld zu reflektieren, sondern aktiv vorführen wie es, in einer erweiterten und weiterentwickelten Form bereits funktioniert.
So gilt es, sich nicht darüber zu beschweren, dass „Diskussionen durch schlaue Köpfe“ zwar angestossen werden, „diese sich dann aber nicht diskursiv digital vernetzen, um ihre Standpunkte auszudebattieren.“
Sondern es muss darum gehen, eben dies zu tun: die „Köpfe“ bzw. ihre „Stimmen“ sollten sich untereinander vernetzen.
Ja, Georg Seesslen hat eine Debatte angestossen, ja, mit teils plumpen Aussagen. Und wir sind mittendrin. Vielleicht hilft das Sommerloch dabei, die Aufmerksamkeit für dsas Thema nicht so schnell wieder zu verlieren und das gemeinsame Nachdenken, nachhaltig zu gestalten – auf das sich ein „Diskursnetz spannt“ über die individuellen Beiträge und Medien hinaus.
Fragen Sie mal einen Twitter-Leser und -schreiber, was er vorgestern geschrieben oder gelesen hat? Fragen Sie mal einen Feuilletonschreiber oder -leser?
Was bleibt bestimmen nicht mehr die Götter, sondern wir selber!
Gerade die offene Form des Feuilleton ist auch seine Stärke. Das gilt ähnlich ja schon lange z.B. für die bildende Kunst (siehe z.B. die documenta). Später dann trennt sich ohnehin die Spreu vom Weizen!
Thomas Deecke
Im Feuilleton sthen meist mehr Wahrheiten als in den Verlautbarungen oder reinen Agenturmeldungen, die ich am Tag zuvor bereits im Radio gehört habe, jede Stunde einmal.
Magazine haben nicht aufgrund der Feuilleton-Defizite punkten können, sondern auch im digitalen Zeitalter der Beschleunigung und Entmaterialisierung, Akzente setzen können: sie bieten noch mehr als Wochenzeitungen (häufig auch in besserer Qualität) Entschleunigung und meistens tolle Haptik.
http://www.getidan.de/gesellschaft/georg_seesslen/45630/schafft-das-feuilleton-ab
Dann: Ebenfalls am 10.8. erschien auf auch Welt Online eine Reaktion auf den taz-text von GS, hier der Link:
http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article108563249/F-wie-Feuilletonkritik.html
von Henryk M. Broder bei Spiegel Online
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/feuilleton-debatte-bildungsbuerger-als-bla-bla-blockwarte-a-529487.html
Allein die Frage bleibt, die wir diskutieren sollten, ist: wie offen ist das Feuilleton heute tatsächlich bzw. wie (formal) und wofür (inhaltlich) sollte es sich zusätzlich öffnen?
Hochkultur? Ja, vielleicht. Aber doch eher Subkultur.
"Die Frage ist, ob wir mit diesem Namen auch heute erfolgreich sein könnten?"
Es gibt ja gute Gründe, warum wir das modifziert haben im Zuge diverser Relaunches. Man entwickelt sich weiter. Aber möglicherweise bekommt sowas "digitale Mini-Feuilleton" eine neue Konjunktur im Zuge, tja, anachronistischer, nostalgischer Trends, oder vielleicht einfach nur, weil sich viele Sachen, speziell in den Massenmedien Deutschlands, sehr anti-zyklisch entwickeln.
Da ist sicherlich was dran. Denn da ist (vis a vis des Neuen im Gestalt der Netz-Öffentlichkeit) viel Rückbesinnung am Start, viel Identitätspolitik, und weniger das Interesse wirklich Neues auszuprobieren.
Aber es gibt auch andererseits den Import von Blogger-Innovationen (zB das Gekonnt-Schnoddrige) in den tradtionellen Print-Medien: von Dietmar Dath (FAZ) bis Stefan Niggemeier (Spiegel).
Jedoch, - in den 20 Jahren, die ich schon in Frankfurt lebe, habe ich noch nie eine Person kennengelernt, die nur irgendetwas mit dieser Redaktion zu tun gehabt hätte. Dabei gäbe es doch Gelegenheiten..., Frankfurt ist klein... und es gibt auch noch Zufallsbekanntschaften.... Aber nein, rein gar nichts.
Vielleicht ist das schon eine Antwort auf eine mögliche Problematik?
Grüße
Stefan
für das F. als journalistischer Rahmen für kulturelle Diskurse des Bürgertums und der angestammten Eliten sehe ich das nicht so sprachgebunden --- hier gibt es doch nicht nur im deutschen Sprachraum ein festhalten an alten Werten und die technik-phobie hier erklärt nur die Dinge in Teilen. Wir warten doch mehr oder weniger überall darauf, dass sich was tut. Ich beoachte eine Art Museualisierungsphase derzeit. Was auch bedeuten kann: wenn alles aus der alten Welt seinen Sockel hat, dann kann es weiter gehen. Aber was ist "alles"?
http://taz.de/Zeitungskrise-in-Schweden/!102257/