Wer in der Großstadt überleben will, rüstet sich mit Gore-Tex, jener wasserundurchlässigen aber dampfdiffusionsoffenen Membran, die zur Herstellung von Funktionstextilien verwendet wird. Der Schriftsteller, Video-Regisseur und Berliner Gazette-Autor Joerg Offer ist dem Trend nachgegangen und hat dabei einige erstaunliche Entdeckungen gemacht: Konturen von verschworenen Gemeinschaften, die dem Goretex-Maoismus frönen.
Ein jeder kennt das Phänomen, wenn zuvor schon monatelang unterbewusst wahrgenommene Sachverhalte, von einer Sekunde auf die andere, mit Macht an die Oberfläche drängen. Schneller, rücksichtsloser und nachdrücklicher, als jedes Amphetamin. So stand ich nun da, im kalten Berliner Winter, inmitten einer mit Menschenfleisch gemästeten U-Bahn. Ausnahmslos umringt von Anhängern subtiler Textilsekten, zweier sich im ewigen Ringen gegenüberstehender Systeme: Yin und Yang, Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Rechts oder Links, Null oder Eins!
Auf den ersten Blick war kein Unterschied zwischen diesen Menschen auszumachen. Doch bei genauem Hinsehen gaben sie sich zu erkennen: Die eine Gemeinschaft hatte als gemeinsames Erkennungszeichen die Tatze eines Wolfes erwählt, die sie als stolzes Emblem auf dem Herzen trug. Die Gegenpartei hatte sich geschickter getarnt. Von vorne hätte man ihre erstaunlichen Jacken durchaus mit der ihrer Opponenten verwechseln können. Doch das seltsame Tieremblem fehlte. Wenn man sich ihnen behutsam von Achtern näherte, gaben sie jedoch rasch ihre Zugehörigkeit preis: Spiegelverkehrt zur Sekte der Wölfe, fand man auf ihrem rechten Schulterblatt den Namen der geheimnisvollen Vereinigung. Sie nannten sich wohl die Nordgesichter!
Beide Religionsgemeinschaften beriefen sich anscheinend auf einen heidnisch-nordischen Hintergrund, was bei mir reflexartig einen historisch bedingten Argwohn auslöste. Ich suchte mein sofortiges Heil durch nach außen getragene Teilnahmslosigkeit. Das schien auch der probate Gestus in Reihen der seltsamen Sektierer zu sein. Normal tun. Unbeteiligt. Ganz Selbstverständlich und freundlich. Sehr schrecklich, wenn man um ihr dunkles Geheimnis weiß.
Ich spähte vorsichtig durch die Bahn und fand mich in Reihen sehr weniger Dissidenten ohne Allwetterjacke wieder. Also in einer absoluten Außenseiterrolle. Die Minorität neigt schnell zur Paranoia. Überall Wölfe und Nordgesichter, wohin man auch schaute. Ich senkte rasch meinen Blick und erinnerte mich, dass ich diese Erkennungszeichen schon früher erblickt hatte, seinerzeit wohl noch einem kleinen, elitären Zirkel vorbehalten. Oft junge Männer, mit Rucksäcken und Fahrradklammern an den Hosen.
Es war diesen einstigen Geheimlogen sicher ebenso ergangen, wie vielen totalitären Massenbewegungen in ihren Anfängen: Zunächst einzig hochgebildeten, fortschrittsgläubigen Individuen vorbehalten, die auf Trekkingreisen in ferne Gestade mit dieser seltsamen Weltanschauung in Kontakt kamen. Dann daheim zögerliche Missionierung des direkten Umfeldes, als gemeinsame Utopie gewissermaßen. Schließlich irgendwann die radikale Ausweitung auf größere Bevölkerungsgruppen, einhergehend mit einer gewissen Nivellierung und Gewaltbereitschaft gegenüber Andersdenkenden.
Es kam sicher zu einer Abspaltung. Man war sich uneins. Vielleicht sogar darüber, ob es wirklich ästhetisch und physisch Sinn machte, jene wildnistaugliche Spezialbekleidung in äußerst seltsamen Farben, stets im perfekt klimatisierten Nahverkehr oder sterilen Einkaufszentren zu tragen. Komme was da wolle! Schon war die alte Dialektik neu beschworen, schwangen sich beide Seiten zu großer Dynamik auf, die sie nun eine Majorität der urbanen Bevölkerung stellen lässt.
Vielleicht war ihr heraufbeschworener Konflikt auch nur ein inszenierter Scheinkampf für die anderen? Und am Ende steht die weltumspannende Vereinigung? Im Grunde konnte ich zwischen beiden Parteien äußerlich wenige Unterschiede festmachen. Die einen wirkten wie maoistische Kader, schlicht und demütig. Die anderen eigentlich sehr ähnlich, vielleicht ein Hauch mehr vom Laissez-faire kubanischer Militärberater.
Was sollte ich nur tun? Warum hatte ich den Einstieg in eine der beiden Religionsgemeinschaften verpasst? War ich ihrer nicht würdig? Oder konnte man mittlerweile gar nicht mehr freiwillig beitreten, sondern wurde eher zwangsrekrutiert? Womöglich mittels Gehirnwäsche und geheimem nächtlichen Ritual? Eine Art Gore-Tex-Massentaufe in dunklen Katakomben mit finaler Aushändigung einer Jacke?
Zusehends verunsichert, mich irgendwie auch penetrant beobachtet fühlend, lenkte ich meinen Blick krampfhaft auf die Darstellung des Berliner Nahverkehrsnetzes über meinem Kopf. Es war spät geworden in der ratternden U-Bahn und meine immense Panik befeuerte meine Fantasie. Gab es nicht in London diese sogenannten Geisterbahnhöfe? Stillgelegte, oder nie in Betrieb genommene Einrichtungen unter der Erde? War das zu Zeiten der Mauer in Berlin nicht auch gang und gäbe? Was, wenn diese Bahn mit all ihren Verschwörern an der Endstation vorbeiraste, um mich, wie auch die wenigen anderen freien Menschen an Bord, ihrer grausigen Bestimmung zuzuführen?
Ich spannte meine Muskeln an, der Blutdruck stieg, mein Herz raste wie wild, das Adrenalin riss meine Pupillen förmlich auseinander. Endlich war der nächste U-Bahn-Halt erreicht. Die Türen öffneten sich, ich tat unbeteiligt, wartete endlose fünfzehn Sekunden, um dann beim erlösenden Signal des Schließmechanismus, mit einem gewaltigen Satz aufzuspringen und aus dem Waggon zu hechten. Ohne mich noch einmal nach meinen möglichen Verfolgern umzudrehen, rannte ich atemlos bis zur Treppe, nahm die ersten Stufen wie im Fluge und wagte erst dort einen kurzen Kontrollblick auf die abfahrende Bahn. Die Sektierer bewahrten hinter ihren Glasscheiben vollkommene Ruhe. Sie starrten mich lächelnd an, einer schüttelte sogar sanft den Kopf. Man war sich des kommenden Sieges wohl vollkommen sicher.
Aber ich werde mich tapfer wehren, gegen erzwungene Wolfshäute und Nordgesichter, bis zum Schluß: Hasta la victoria siempre!
29 Kommentare zu
http://de.wikipedia.org/wiki/No_Logo
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Klaus Bierhoff: Only a Bierhoff coat says "I'm a German! I'm on vacation! I'm sensible! And I am wearing a coat that is functional!"
Oliver Bierhoff: Ya.
Klaus Bierhoff: "I am vith my family. You can tell because ve are ALL wearing the same coat!"
Bierhoff Brothers House of Coats
youtube.com/watch?v=wrbiRqqHxJw
"Utopie und Realität haben im Military Industrial Complex fließende Grenzen. Am seit 1954 mit der Herstellung von technisch innovativen Militärprodukten beschäftigten Soldier System Center in Natick kann man sich zu Gute halten, dem Technologie-Transfer zwischen Armee und zivilen Supermarktketten zu gehörigem Auftrieb verholfen zu haben.
Die Entwicklung von feuerabweisenden und schnell trocknenden Stoffen hat nämlich nicht zu letzt Zukunftskleidung am Natick Center entstehen sehen. Als letzter Schrei gelten derzeit selbsterhitzende Jacken, was den 1966 in San Francisco gegründeten Trekking-Ausstatter [extern] North Face nicht lange zögern ließ. Ende letzten Jahres nahm die Kultmarke kurzerhand die so genannte Met5-Jacke ins Programm: Batterie-gestützt und mit feinen Fasern ausgestattet, kann sie für gut zweieinhalb Stunden eine Temperatur von rund 114 Grad Fahrenheit erzeugen. Die für 500 USD angebotenen Space-Age-Parkas waren in kürzester Zeit vergriffen. Von diesem Erfolg beflügelt, sollen dieser Tage weitere am Natick Center in Kooperation mit anderen privatwirtschaftlichen Firmen entwickelte Produkte auf den Markt gebracht werden."
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12221/1.html
ich.bin.so.ein.schlimmer.
ich sehe allerdings meinen narzissmus bisher nicht befriedigt. welches auto muss ich fahren? welche freundin sollte man präsentieren?