Wer sich in Jerusalem nachts kein Taxi leisten kann, lässt sich von jemandem mitnehmen und gibt ihm ein paar Shekel. Als eine Freundin von mir dies neulich tat und unvorsichtigerweise im Gespräch erwähnte, dass ihr Freund Israeli ist, schmiss sie der arabische Fahrer kurzerhand auf die Straße.
Jerusalem ist eine Stadt, in der zwei Gesellschaften ein wirklich paralleles Leben aufgebaut haben: Im Osten der Stadt fahren die arabischen Busse, im Westen die israelischen. Unterschiedliche Tarifsysteme, keine Synchronisation. Israelis würden niemals auf den Ölberg fahren und Palästinenser nie in israelische Viertel.
Zwei Welten
Die Lebenswelten dieser beiden Gruppen kollidieren ständig, aber berühren sich fast nie, weil es im Grunde alles doppelt gibt – Schulen, Märkte, Krankenhäuser. Die Identifikation durch die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe ist dabei wesentliches Unterscheidungsmerkmal. Die israelische Universität ist nur einen Steinwurf vom arabisch geprägten Ölberg entfernt, aber es gibt nicht mal einen Bürgersteig dorthin.
Als Ausländer muss ich mich ständig positionieren: Zu welcher Seite gehöre ich? Glaube ich etwa der “israelischen Propaganda”? Bin ich wirklich auf Seite der “terroristischen Araber”?
Wer hat eine Meinung?
Im täglichen Leben konstruieren sich beide Gruppen unentwegt als nicht kompatible Systeme. Jede Seite erzählt ihre Version der Wahrheit, und das Absurde ist: beide Rechtfertigungssysteme scheinen mir gleichermaßen nachvollziehbar zu sein.
Wer nicht seit Jahren intensiv den Konflikt verfolgt und dazu noch hier lebt, wer nicht für beide Kulturen Verständnis aufbringt, kann kaum ernsthaft gegen die profunden Kenntnisse der Einheimischen ankommen, kann sich kaum Raum für eine eigene Meinung schaffen. Aber kaum Raum bedeutet nicht gar keinen Raum.
In einer Region, in der wohl der längste bewaffnete Konflikt der Gegenwart herrscht, haben die zahlreichen Friedensgespräche, die zahllosen Verhandlungen und der ständige internationale Beistand – all diese Prozesse haben die beiden verfeindeten Seiten meiner Meinung nach nur in einer Sache auf einen gemeinsamen Nenner gebracht: Frieden ist keine Möglichkeit.
7 Kommentare zu
Ich kann jedenfalls heute nicht mehr einfach sagen, dass ich durch den Tagesschaukonsum eine Meinung bilden kann. Allein deshalb, weil die Karte von Israel, die dort gezeigt wird, der Green Line entspricht aber nicht der Mauer, die Israel gerade errichtet hat. Eine Mauer, die die West Bank in zwei Teile schneidet und verhindert, dass da jemals ein von Israel unabhaeniger Staat entstehen kann. Aber auch das ist ganz schoen einseitig gesehen. Oder?