Zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden an der psychischen Krankheit Bipolare Störung. Die Dunkelziffer derer, die die Krankheit nicht erkennen, nicht behandeln lassen und sich bald darauf das Leben nehmen, ist jedoch viel höher. In Berlin sprach Lea Drasdo mit einer Betroffenen.
Frech lächelnd, mit buntem Rucksack und großen Kopfhörern, sitzt sie in einem Café an der Oranienburger Straße. Kurze blonde Haare, blaue Augen, auffällig dünn. Ihre Haut ist angegriffen und zeichnet ein Bild der Krankheit. “In meinem Kopf habe ich mich andauernd umgebracht,” sagt sie beiläufig während sie an ihrem Milchkaffee nippt. Doris ist 28 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Berlin. Seit ihrer Pubertät leidet sie an der Bipolaren Störung.
In Büchern lese ich, dass Gefühle der Leere, Traurigkeit, grundloses Weinen und starke Minderwertigkeitsgefühle Symptome der depressiven Phasen sind. Bei der Krankheit, die sie hat, treten jene Anzeichen jedoch abwechselnd mit manischen oder hypomanen Phasen auf, deshalb ist sie auch bekannt als manisch-depressive Erkrankung.
Früherkennung ist schwierig
Die junge Frau schaut kurz hoch und versucht zu erklären: “Es gibt dann Momente, die mich wie ausgewechselt erscheinen lassen. In diesen Abschnitten quatsche ich nur noch und bin in einer krassen Hochstimmung, die an meinen letzten Kräften zerrt, mir selbst aber nicht als krank vorkommt.”
Ich versuche das nachzuvollziehen und entnehme ihren Worten, dass das Fatale daran ist, dass die Erkrankung in vielen Fällen unerkannt bleibt. Therapeutische Hilfe und Medikation bei Erkennung könnten jedoch ganzen 15 bis 20 Prozent der Menschen, die sich im Krankheitsverlauf umbringen, frühzeitig helfen stabiler zu werden. Harte Zahlen.
Doris erklärt, dass die Krankheit, an der auch Vincent van Gogh litt, bei den Meisten extrem früh ausbricht. In der Schule schwänzte sie oft, schlief fiel und zog sich zurück. Mit 13 Jahren bekam sie ihre erste schwere Phase, die sie zunächst ohne ärztliche Behandlung überlebte. Sie beschreibt weiter, kühl und auch ein wenig distanziert den Verlauf, als würde es nicht um sie gehen: “Nach dem Abi fing ich dann an zu studieren und es begann eine der schlimmsten Phasen, die ich bis zu diesem Zeitpunkt hatte.”
Mitleid macht es noch schlimmer
Der Versuch, sich in sie hineinzuversetzen scheitert. Sie setzt erneut an und versucht, es mir eindringlicher zu erläutern: “Wenn ich nicht den ganzen Tag geschlafen habe, wollte ich mir fortwährend das Leben nehmen.” Anders als viele andere Betroffene tat sie dann das einzig Richtige. Sie ging zum Arzt und bekam Hilfe.
Reflektiert, intelligent und doch sehr schüchtern sitzt sie mir gegenüber. Man bekommt das Gefühl, sie in den Arm nehmen und helfen zu wollen, doch genau das will sie nicht: “Mitleid ist neben dem Unverständnis für die Krankheit sehr schlimm für viele Betroffene”, betont sie immer wieder.
Zum Unheil derjenigen, die sich behandeln lassen möchten, sind die Ursachen der Bipolaren Störung noch nicht genau erforscht. Experten gehen jedoch davon aus, dass es sich um eine Kombination aus genetischen Faktoren und einem chemischem Ungleichgewicht im Gehirn handelt. Um das alles zu überstehen, bekommen Viele das Medikament Lithium.
Besser mit Medikamenten leben, als gar nicht
Die Wichtigkeit dieser Behandlung wird mir durch ihre Worte klarer: “Die Präparate, sowie eine Selbsthilfegruppe, in der ich alles rauslassen kann und Menschen treffe, denen es ähnlich geht, brauche ich für meinen Alltag und zum Überleben.”
Zwei Stunden saßen wir im Café. Die letzte Frage gehört der Zukunft. Wie wird es weitergehen mit der schweren Last? “Ich denke nicht, dass ich es schaffen werde, in den nächsten zehn Jahren ohne Medikamente zu leben, aber es ist besser mit Medikamenten am Leben zu sein, als gar nicht.”
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Danke!