Wir wollen ein nicht dekadentes Leben führen und dabei die Verschwendung, die allgegenwärtig ist, ausblenden. Wie ist das möglich? Berliner Gazette-Autorin Miriam Belling reflektiert die Starbucks-Jugend zwischen Dekadenz und Verzicht.
*
Lügen, Lügen, nichts als Lügen. Das kommt dabei heraus, wenn ich mich frage, wie dekadent ich bin. Oder zumindest Notlügen. Nein, ich bin nicht dekadent, wenn ich im Sommer mit Freunden im Park auf der Wiese sitze und ein Radler trinke. Oder wenn ich im Frühling mein verstaubtes Fahrrad aus dem Keller hole, um damit zur Uni zu fahren. Doch Schluss mit all den Lügen!
Komme ich morgens aus dem Berghain – die ersten Sonnenstrahlen streicheln gerade den Fernsehturm – führen meistens alle Wege zu Starbucks. Nachtschwärmerfrühstück. Doch könnte ich das nicht genauso in irgendeinem anderen Café zu mir nehmen? Natürlich, aber das fast schon legendäre Symbol auf dem weißen Pappbecher scheint mir ein gewisses Gefühl der Zugehörigkeit zu geben.
Ich will ein Mitglied der Starbucks-Familie sein und wie die anderen Jugendlichen, die dazugehören, dort etwas trinken gehen, weil ich es mir leisten kann. Der Gegensatz dazu sind jene Jugendlichen, die schon morgens mit einem Sternburg in der Hand am Alex sitzen. Oder etwa nicht?
KIK oder H&M
Gibt es nichts dazwischen? Die Dekadenz hat uns offensichtlich dazu gebracht in Rastern zu denken, den berüchtigten Schubladen. Oberschicht vs. Unterschicht – die einen haben und können, die anderen nicht. Und die einen müssen nicht, die anderen eben schon.
So läuft es zum Beispiel mit Geschäften, wie KIK oder H&M ab. Wenn ich ein einfaches T-Shirt brauche, könnte ich zu KIK gehen und es dort kaufen. Doch ich tue es nicht, gehe lieber zu H&M und zahle den doppelten Preis. Warum? Weil ich vermutlich Angst habe, dann ebenfalls in eine Schublade gesteckt zu werden. “Seht mal, die kauft bei KIK!”, könnte es dann heißen.
Dialektische Dekadenz?
So wie mir geht es scheinbar vielen. Wir wollen ein undekadentes Leben führen und dabei die Verschwendung, die allgegenwärtig ist, ausblenden. Wir versuchen uns selbst zu vertrösten und unser Verhalten mit kleinen Notlügen zu rechtfertigen. Anscheinend schämen wir uns, zuzugeben, dass wir alle manchmal unsere dekadenten Momente haben, in denen uns Wohlstand und Statussymbole einfach wichtig sind.
Darüber denke ich so nach, während ich eine drehe, mit ALDI-Papers, statt Luckys zu rauchen. Seit neuestem.
14 Kommentare zu
Das, worum es eigentlich geht, ist doch eigentlich offensichtlich?!
Das war schon während des Studiums so und jetzt als Hartz IV Empfänger mit Studienabschluss erst recht. Die Welt soll doch bitte mehr bieten können als die Option, irgendwo Geld auszugeben. Des Portmonnaies Größe wegen zu gewinnen (scheinbar) oder zu versagen..