“Bald werden wir uns an Facebook so erinnern, wie wir uns daran erinnern, dass wir einmal Platten aufgelegt, CDs ins Fach geschoben oder Mixtapes aufgenommen haben.”, so die Herausgeber von “Statusmeldungen”. Das Buch gibt Einblick in das Schaffen von 15 AutorInnen, die Facebook als besondere Werkstatt ansehen. Anfang Dezember stellten sechs von ihnen das Buch auf einer Lesung vor. Der Effekt der Selbstdarstellung, den man von Facebook schon kennt, kam nicht zu knapp.
Der ganze Saal lacht, als Jan Fischer vom Manuskript hochschaut und fragt: “Wer von Euch sind denn alles meine Facebook-Freunde?“ und mindestens die Hälfte der BesucherInnen im Gewölbe von LitteraNova die Hand hob. Erweckungs- und Bekennerseminar für virtuelle Freunde.
64 Menschen hatten auf Facebook “zugesagt“, zur Release-Lesung des Buches Statusmeldungen: Schreiben in Facebook zu kommen. Doch es kamen viel mehr, man drängte sich dicht im verrauchten Gewölbe eines Literaturcafés in Hildesheim. Ich fühlte mich wie in Charles Wilps Afri Cola-Werbung: Sind wir nicht alle ein bisschen Facebook? (Kevin Kuhn schreibt im Buch: “Facebook ist wie eine Zigarette. Der Verfasser ist der Raucher, seine Beiträge sind das Rauchen. Rauchen ist eine Handlung, sie verlangt Präsenz, Veränderung, Todesmut.“ An dieser Stelle legen meine US-amerikanischen FB-Freunde wahrscheinlich das Buch empört aus der Hand…)
Facebook und sein nahendes Verfallsdatum
“Statusmeldungen“ ist als “Werkstattbuch“ mit 15 poetologischen Texten aus Projekten der Uni Hildesheim entstanden – ganz unterschiedliche Betrachtungen und Herangehensweisen an ein Medium, dessen nahes “Verfallsdatum“ schon im Vorwort heraufbeschworen wird.
Hinter den Autoren der sechs szenischen Lesungen wurden Statusmeldungen und Kommentare an die große Leinwand gebeamt – und plötzlich sieht man als zitierter User etwas, das man sehr wohl weiß, was einen aber in dieser “gedruckten“ Form doch erschrecken lässt: Deine Facebook-Mitteilungen sind keineswegs privat – jeder kann sie lesen!
Dass in der Lesung das Publikum nur ein einziges Mal einbezogen wird, scheint mir typisch für FB zu sein: wirkliche “Beziehungen“, tiefere Emotionen sind nicht gewollt. Ein Feuerwerk an Witz (auch im alten Sinn von Gewitztheit, also Aussagen mit „Verstand und Bildung“) wird gezündet – wenn es gut geht. Glüht auf, funkelt, verpufft. Der User hört zwar seinem „Gegenüber“ zu, aber nur um selbst eins drauf zu setzen, und das möglichst schnell.
Facebook als Spiegel aller Spiegel
Ich sehe Facebook als Spiegel aller Spiegel. Spiegel sind nicht herzlich oder mitfühlend. Und sie zeigen nur dich. Bei der Lesung war es hochinteressant, meine bis dato unbekannten “Freunde” plötzlich leibhaftig vor mir zu sehen, Menschen statt Profilbilder. Menschen, von denen man sich natürlich im Laufe der Zeit ein Bild gemacht hat, ebenso wie von den Hierarchien, die sich unschwer aus einer Gruppe herauslesen lassen. Wer ist der Leitwolf, wer ist ein Rudeltier? Ich habe sie alle gleich erkannt.
Es ist kein Zufall, dass ich am nächsten Tag ein Buch von Jan Willem van de Wetering in der Hand hielt, der 1971 ein Jahr in einem japanischen Zen-Kloster lebte: “Der leere Spiegel” sagte der Meister. „Wenn du diese Aussage wirklich verstehen könntest, dann gäbe es für dich hier nichts mehr zu suchen.“ Auf Facebook auch nicht.
9 Kommentare zu
Alles über meine Posts könnt ihr in meinem Blog lesen, bitte postet etwas über meinen Blog, damit der etwas bekannter wird. Hab da nämlich ne Menge wichtiges mitzuteilen. Z.B. wer was wann auf meine Posts repostet hat.
Danke für Deinen Text, Brigitta, vor allem für: "wirkliche “Beziehungen“, tiefere Emotionen sind nicht gewollt." und "Der User hört zwar seinem „Gegenüber“ zu, aber nur um selbst eins drauf zu setzen, und das möglichst schnell."
(...) schreiben im Netz (...) ein fortlaufendes Experiment ist, das man entsprechend den eigenen ästhetischen und poetologischen Ideen gestalten muss."
Wie das geschieht: viel Spaß beim Nachlesen!