Unter der trotzigen Überschrift: “Wir sind links!” gab Isabelle Graw, Chefredakteurin von “Texte zur Kunst”, der taz vor kurzem ein Interview zum 20-jährigen Bestehen ihrer Zeitung. Der Künstler und Kurator Wolfgang Müller hat sich das Interview genauer angeschaut und muss feststellen, dass die Zeitschrift vieles ist, aber nicht links.
In dem Interview mit Graw werden die dezent kritischen Fragen nach dem allgemeinen Image von “Texte zur Kunst” allesamt freundlich abgeschmettert. Dabei gilt die Zeitschrift im Kunstbetrieb als extrem hermetisch (manche sagen dazu auch dogmatisch), empfindet sich selbst aber als kritisch. Taz-Interviewer Ingo Arend bohrt zumindest nicht weiter nach.
So sagt Isabelle Graw, die Kunstkritik sei in der Lage, auch einen “fiktiven” externen Standpunkt einzunehmen. Auch “fiktiv“ extern? Folglich ist “intern“ vermutlich real? Dass sich die Zeitschrift nie ein Außen vorstellen konnte oder wollte, ist bekannt. Die Folge dieser Überzeugung: Entdeckt wurde hier noch nie etwas. Jedenfalls nicht, solange der Kunstmarkt, genauer: ein scharf begrenzter Galeristenklüngel – grünes Licht zur intellektuellen Auseinandersetzung gab.
Die Kunst-Editionen der Zeitschrift beweisen jedenfalls die große Verhaftung im aktuellen Mainstream – Risiko gleich null. Die enge Verbindung mit dem konventionellen Kunstbusiness zeigte sich, als “Texte zur Kunst“ im Jahr 2000 den letzten nach Berlin umziehenden Kölner Galeristen nachtrottete. Statt sich wenigstens über die Ortsveränderung zu freuen, fragte man betrübt: “Was machen wir eigentlich hier?“ Und stellte erleichtert fest, dass auch in Berlin schöne Clubs existieren, fast so schöne wie in Köln.
Nicht links, sondern neo-individualliberal
Dass “Texte zur Kunst“ nicht links, sondern neo-individualliberal genauso wie die taz ist, offenbart sich in dem von Isabelle Graw geäußerten Satz: “Kritiker sind vielleicht noch am wenigsten kompromittiert, weil sie so wenig Geld verdienen können.“
Das klingt zunächst sehr romantisch. Schlechtverdienende Kunstkritiker könnten sich sogar geschmeichelt fühlen. Es zeigt aber, dass die Chefredakteurin dem materialistischen Glauben unterliegt, Verhalten sei vornehmlich durch Geld steuerbar. Dass sie mit dieser Ansicht sich selbst außerdem einer gewissen Reinheit und Unbestechlichkeit bezichtigt, ist wohl altem linkem Anspruch geschuldet.
Als Künstler würde ich mir eine radikale, kritische, neugierige und spannende Kunstzeitschrift in Berlin wünschen. Eine, welche beispielsweise die Künstlerin Valeska Gert (1892 – 1978) auf ihr Cover bringt und sich endlich mit ihrer Kunst auseinandersetzt – selbst wenn dem befreundeten Galerienwesen dabei kein ernsthafter Profit winkt. Apropos kompromittiert: Von einer solch anregenden Zeitschrift würde ich mich sofort bestechen lassen.
Anm. d. Red.: Wolfgang Müller ist zusammen mit Dr. An Paenhuysen Kurator der Ausstellung PAUSE. Valeska Gert. Fragmente in Bewegung, die noch bis zum 6. Februar 2011 im Hamburger Bahnhof zu sehen ist.
12 Kommentare zu
Gibt es eine Entwicklung in den letzten 20 Jahren, die besonderes Licht auf die These des Texts wirft?
Was hat diese Zeitschrift geleistet? Was gut gemacht und was schlecht?
Ohne etwas Rahmen und Stoff zu diesen Fragen kommt mir das alles ein wenig aus der Luft gegriffen vor.
Und am Ende muss ich enttäuscht fesstellen: Der Autor betreibt mit diesem Text scheinbar in erster Linie Eigenwerbung, und auch diese ohne wirklichen Kontext zur Sache bzw. These.
Schade.
Individualliberal.
Achja: Neo!
Wenn das nicht "Eigenwerbung" ist.
Ich bin jedenfalls sehr korrupt (was an meiner Eigenwerbung für die Valeska Gert-Ausstellung ja immerhin wahrgenommen wurde ;-)
Um es in den Worten von Dieter Roth zu sagen: "Nur Der, Die, Das kann sich als neutral bezeichnen, Der, Die, Das nicht einmal die eigene Meinung vertritt." (aus: Das Tränenmeer 1974)
Jetzt lerne ich, dass der Autor Texte zur Kunst hasst und Valeska Gert liebt, letzteres wusste ich als regelmäßiger Leser dieser Postille aber schon, ersteres verstehe ich aus besagten Gründen nicht ganz. Vielleicht auch weil ich das Blatt nicht kenne, nie gelesen habe.
Abgesehen davon: Werbung sollte als solche gekennzeichnet sein. Auch im Falle von Eigenwerbung.