Die Ära Wulff ist zu Ende. Zurück bleibt ein Politiker, der im Scheinwerferlicht der Medien vor allem einer Anforderung nicht gerecht werden konnte: Transparenz. Politikwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Christoph Bieber fragt daher: Was sind die Lektionen für künftige Bundespräsidenten? Wie kann Transparenz als neues politisches Leitthema eines Staatsoberhaupts mit Leben erfüllt werden?
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Christian Wulffs entschleunigter Auszug aus Bellevue hat nicht zuletzt neue Ansprüche an Deutschlands Staatsoberhaupt hervorgebracht. Ansprüche, die im Zeitalter der Transparenz allen Politikern zu schaffen machen dürften.
Gerade die in der Wulff-Affäre zu Tage getretenen Beziehungsnetzwerke zwischen Politik und Wirtschaft, aber auch in Richtung der Medien und der sogenannten „Society“ werden fortan ein wesentliches Kriterium für alle Politiker sein – alle künftigen Kandidatinnen und Kandidaten auf das Amt des Bundespräsidenten eingeschlossen.
Die Fragen lauten: Gibt es private Bekanntschaften, Geschäftsbeziehungen oder anderweitige Verflechtungen, die möglicherweise gegen eine Nominierung sprechen? Wie verliefen bisherige Karrierewege? Handelt es sich um einen „Polit-Profi“? Oder um eine „Quereinsteigerin“?
Doch wir müssen auch fragen: Wo finden sich überhaupt derart „unbefleckte“ Anwärter auf ein Amt, das nicht durch das individuelle Fehlverhalten des letzten Amtsinhabers, wohl aber durch die bisweilen kurzsichtige und zügellose öffentliche Debatte darüber Schaden genommen hat?
„Transparenz weitertreiben“
Der gelegentlich fast vergessene Kern der Wulff-Affäre mit den Anschuldigungen um „Vorteilsnahme bzw. Vorteilsgewährung“ ist der zentrale Ansatzpunkt für ein Generalthema der nächsten Amtszeit. Noch im Fernsehinterview zu Jahresbeginn hatte Wulff angekündigt, die „Transparenz weitertreiben“ zu wollen und „wenn es das in Zukunft immer gibt, wird es auch unsere Republik offenkundig auch zu mehr Transparenz positiv verändern.“
Mit Blick auch auf andere Entwicklungen (u.a. nach WikiLeaks) könnte Transparenz tatsächlich eine Art Leitmotiv für die Arbeit der nächsten Bundespräsidenten (oder der ersten Bundespräsidentin) sein. Die offene Auseinandersetzung mit den Problemen einer an vielen Stellen intransparenten Politik, die in der Bevölkerung für Unmut, Kritik und Entfremdung sorgt, ließe sich sehr gut mit den symbolischen Machtressourcen des Amtes verbinden.
Zugleich ließen sich so die Schatten vertreiben, die die Wulff-Präsidentschaft nicht nur auf Bellevue, sondern die gesamte „Berliner Republik“ geworfen hat. Dazu zählt auch die enge Beziehung zu den Hauptstadtmedien, die im Laufe der Affäre längst nicht immer ihrer Funktion als demokratische Kontrollinstanz nachgekommen sind.
Wer kann Transparenz?
In den Mittelpunkt rückt künftig die Fähigkeit des Staatsoberhaupts, Transparenz als neues politisches Leitthema zu markieren, inhaltliche Impulse zu entwickeln und einer breiten Öffentlichkeit ebenso zu vermitteln wie den Akteuren im politischen Wettbewerb selbst. Klar ist dabei allerdings auch: Das ist nicht möglich mit Radikalpositionen, wie sie etwa im Umfeld der Piratenpartei vertreten werden – vielmehr geht es um die Vermessung und Verortung von Transparenz im Rahmen vorhandener demokratischer Strukturen, Prozesse und Normen.
Ironischerweise ist Christian Wulff jemand, der sich dieser Aufgabe hätte stellen können – nicht mehr in der unsäglichen Spätphase seiner Aussitz-Kampagne, wohl aber unmittelbar zu Jahresbeginn. Eine deutliche Positionierung als „Transparenzakteur“ hätte seine Amtszeit retten können. Wulff hat diese Chance mit einer Mischung aus Arroganz und falscher Souveränität verstreichen lassen. Nun ist er weg, das Thema aber bleibt. Die Leitfrage für Joachim Gauck und alle zukünftigen Amtsinhaber lautet daher: Wer kann Transparenz?
Anm.d.Red.: Lesen Sie auch Christoph Biebers Essay über Micah Sifrys Buch “WikiLeaks and the Age of Transparency”: Konturen der Transparenz.
11 Kommentare zu
http://pr-blogger.de/2012/01/03/reputationstipps-fur-ein-staatsoberhaupt/
Ich habe nicht den Eindruck, der werte Mr. Wulff hat das gelesen... Also geht es meiner Meinung nach nicht nur darum, wer Transparenz kann, sondern auch wer dem Volk zuhören kann und "Tipps" entsprechend verarbeiten kann.
"Im Interview für ARD und ZDF hat Wulff versucht, die Vorwürfe zu entkräften und Transparenz versprochen. FAKT hat einige von Wulffs Interviewaussagen - insgesamt 15 Minuten - auf den Prüfstand gestellt und widerlegt."
http://www.mdr.de/fakt/wulffcheck100.html
Wullf hat immerhin erste Gehversuche in der transparenten Gesellschaft gemacht: er hat versucht, die Transparenz weiterzubringen. Wohl wahr, es ist ihm nicht sonderlich geglückt.
Auf der medialen Ebene betrachtet, tritt eine weitere Differenz zu Tage: Im Vergleich zur Causa Guttenberg haben Medien v.a. Vermutungen und Verdächtigungen aufgekocht (statt wie dort tatsächlich Beweise), sie haben Transparenz gefordert, aus Wullf geradezu herauspressen wollen, statt sie selber herstellen zu können. Im doppelten Sinne konnte sie dies nicht leisten:
1) Die Medien konnten nicht aus dem Dunkeln die nötigen Fakten ins Licht der Öffentlichkeit zerren (trotz aller Recherchen der Journalisten: die Fakten müssen erst durch die Staatsanwaltschaft noch ermittelt werden).
2) Die Medien konnten bei der Berichterstattung ihren hohen Ansprüchen an die Transpranz nicht gerecht werden (zB der Umgang mit Wulffs Stimme auf Dieckmanns AB). Dazu hat auch Stefan Niggemeier in der Print-Ausgabe des SPIEGEL geschrieben.
Wohlgemerkt haben hier (Causa Wulff) die klassischen Medien jene Rolle übernommen, die dort (Causa Guttenberg) die neuen Netzmedien geleistet haben. Man könnte sagen: Sie haben aus der Causa Guttenberg gelernt, jedoch nur im Hinblick auf die Aufmerksamkeitsökonomie, jedoch nicht im Hinblick auf Transparenz.
Einige interessante Gedanken zu der Rolle der Medien im Fall Wulff gibt es übrigens auch im Gespräch zwischen Jonny Häussler und Wolfgang Michal mit Philip Banse:
http://www.dctp.tv/filme/breitband2-banse-haeusler/
Ich denke, hier wird mit zweierlei Maß gemessen und Transparenz droht zum Instrument politischer Kampagnen zu werden. Dennoch ist hier mE ein bisher wenig beachteter Nebeneffekt der WikiLeaks-Affäre zu beobachten: Transparenz-Herstellung mit den Mitteln der digitalen Medien, ob als Publikationsort für Basisdaten oder als Kollaborationsort für Transparenzakteure.
Auch daraus resultiert mE ein hoher Stellenwert des Themas auf der Agenda des künftigen Amtsinhabers. Dass dessen Person nun einer Art "präventiver Durchleuchtung" unterzogen wird, passt ins Bild. Auch ohne eine Formalisierung in Gestalt eines "GauckPlag" findet hier eine kollaborative Auseinandersetzung mit der Person und den Ansichten des kommenden Staatsoberhauptes statt.
ja, das ist gut so, das sollte stärker in die wahrnehmung gehöben werden, denn es scheint in letzter zeit ein bisschen so zu sein, dass die ganze arbeit die alten massenmedien leisten und die digitalen medien eigentlich nur deren verlängerung sind: in der bild steht das relevant (oder halt im spiegel) und die netzwerker leiten das effektiv um und weiter.
aber da ist eben mehr. auch ein mehr an wahrheit und wahrheitsfindung. mehr und eben weiter - weiterentwickelter, weitergedachter, weiterweiterweiter... netz-öffentlichkeit, wir sprechen uns bald wieder ;)