Dekadenz ist das Gegenteil von Fortschritt, schlimmer noch als Stillstand: eine Bewegung in die falsche Richtung. Wer anderen Dekadenz vorwirft, scheint zu wissen, wohin es richtigerweise geht. Und das ist nicht ganz einfach, denn die Welt an sich kennt weder eine Richtung, noch Fortschritt oder gar Dekadenz. Die Welt geht einfach nur weiter.
Die Geschichte hat oft schon gezeigt, wie eine klare Richtung hinderlich sein kann; entweder weil dem Fortschritt in die eine, richtige Richtung alles andere untergeordnet und geopfert wird, oder weil das bekannte und unabänderliche Ziel bewegungslosen Fatalismus generiert.
Probieren und sehen, was passiert
Das ganze Konzept Geschichte führt in die Irre, wenn es Geradlinigkeit suggeriert, wo es eigentlich nur Möglichkeiten gibt. Die Evolutionstheorie würde sagen, man kann Zukunft weder planen noch vorhersagen. Man kann nur probieren und sehen, was passiert.
Eine Bewegung genau in diesem Sinne, eine, die ungeplant und unvorhersehbar verläuft, ist beispielsweise das Verirren – Kathrin Passigs und Aleks Scholz’ neues Buch Verirren kommt also genau im richtigen Moment.
Verirren, als sozio-kulturelles Modell, heißt “Ja” zu sagen zu einem Gedächtnis, das anzeigt, was bereits mit welchem Ergebnis ausprobiert wurde, aber “Nein” zu einer Diktatur der Vergangenheit über die Zukunft. Auf die Rede von Dekadenz und Fortschritt zu verzichten, heißt nicht Utopien auszuschließen, sondern nur zuzugeben, die richtige Richtung nicht zu kennen.
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