William Stott: Reading by gaslight (1884)
Ich heiße Christina und mein Mann William hat mich gemalt, wie ich gedankenversunken in mein Buch vertieft an unserem Esstisch beim Schein des Gaslichts lese. Wie Sie sehen können, war es ein dickes Buch, beinahe so dick wie die Bibel oder ein Buch über die Kunst der Malerei, aber das können Sie von Ihrem Blickwinkel aus nicht wissen. Sie sehen nur, wie sich meine Gedanken so sehr damit beschäftigen, dass ich meinen Kopf mit dem streng gescheitelten Haar in meine Handfläche stützen musste. Während das Licht gleichzeitig auf die Seiten meiner Lektüre und meiner rechten Gesichtshälfte fiel, hielt ich das letzte Drittel des schweren Buches behutsam mit der rechten Hand meinem lesenden Blick entgegen. Ich las schweigend und die Atmosphäre um mich herum drückt ein Alleinsein aus, wie es das Lesen immer um denjenigen schafft, der mit seinen Gedanken an einem ganz anderen Ort weilt als seine physische Existenz. Wir Menschen sind merkwürdige Wesen, die einmal ganz im Augenblick aufgehen, und dann wieder in die Ferne reisen können, nur mit ihren Gedanken. In eine andere Zeit, in ein anderes Land, ja selbst in andere Personen, Tiere und sogar leblose Dinge können wir uns hineinversetzen. Als wäre unsere Existenz nie nur durch das begründet, was wir in einem Moment sind, sondern auch in einem anderen hätten sein können und vielleicht auch sein werden. Sie sehen das nicht sofort an mir, aber wir enden nur für die Phantasielosen räumlich. Glauben sie nicht, ich würde an den weißen Rüschen meines Halses oder meiner Arme enden. Ich fließe auch in das dunkle Grün hinter mir und in das Braun der Holzvertäfelung und der Stuhllehne in meinem Rücken. Sie haben sicher schon gemerkt, dass ich und mein Buch genau im Mittelpunkt stehen. Wir wollten das gar nicht, denn so wie mein hochgeschlossenes, dunkelblaues Kleid, sind wir beide uns selbst genug. Der Blick meines Mannes aber hat es so gewollt und jetzt bin ich auch Ihr Mittelpunkt, während Sie dies lesen. Schauen sie sich nur weiter um, lassen sie Ihre Blicke über die Formen und Gegenstände gleiten, über den weißen Becher mit Untertasse zu meiner Rechten und den halben Kuchen auf dem Teller. Nein, zugreifen können sie nicht, aber an den Linien, Formen und Farben dürfen sie sich ergötzen und an der so orangefarbenen nicht mehr aufhören wollenden Tischdecke mit ihren grünen Streifen. Schließlich werden Sie immer wieder mein Gesicht zu ergründen suchen, aber das haben alle Gemälde gemeinsam, sie enthüllen für jeden sein eigenes Geheimnis.
“Fired by the idea of figures being less important as people than as shapes, Stott returned with his wife Christina to Oldham and produced a fine portrayal of her reading by gaslight.”