Der Buecherblogger

DIE FRAU, DIE ES NIE GAB (Teil I)

Eine mörderische Persiflage


Die folgenschwere Begegnung

Um Fragen meiner Identität ein für allemal zu klären, ich heiße und bin (das Sein ist nämlich doch wichtiger als das Werden und noch viel wichtiger als der Anschein) Dietmar Helmut Fritz Hans Hillebrandt Freiherr von Reinhardt. Ich brauche keine juristischen Spitzfindigkeiten wie Haftungsausschlüsse für irgendwas. Ich bin so normal wie ein Stück Seife. Wenn ich keine Bücher lese, hänge ich vor der Glotze wie alle anderen und warte auf schöne Frauen. Bürgerlicher und normaler kann eigentlich niemand sein. Vielleicht ist das der Grund, warum sie mich noch nicht verhaftet haben. Manchmal frage ich mich, ob es sie überhaupt gegeben hat, aber wenn sie erst einmal systematisch um die ganze Insel herum suchen, wird meine Freiheit nicht mehr lange dauern. Sollte ich das alles nur geträumt haben? Kann man Träume löschen? Lassen sie sich nicht irritieren, was ich hier erzähle ist eine durch und durch wahre und authentische Geschichte.

Auf einer Silvesterparty 2011 feierten wir im kleinen Kreis einer literarisch interessierten Gesellschaft recht ausgelassen in einer Berliner Bar den Jahreswechsel, wenn ich mich recht erinnere unter einem überdimensionalen Mao-Poster (der verehrte Leser möge daraus keine voreiligen politischen Schlüsse ziehen). Ich saß etwas unbemerkt mauerblümchenhaft in der Ecke, denn mein Ansehen als Autor wurde als nicht weiter erwähnenswert eingestuft. Damit war mein Wahrnehmungsfaktor noch viel geringer, als er bei den anderen Gästen ohnehin auch war. Nicht wahrgenommen zu werden ist allerdings so ziemlich das Schlimmste, was der Eitelkeit des Schreibenden passieren kann. Ständige Sichtbarkeit ist für den Marktwert unerlässlich. Vor allem im Internet und in Weblogs, besonders literarischen, nicht gesehen, gehört oder gar gelesen zu werden, kommt einer Todeserklärung nahe, was durchaus Autorenselbstmorde zur Folge haben kann.

Kurz vor Mitternacht änderte sich an diesem Abend alles für mich. Die schwere Eingangstür öffnete sich und leicht verspätet betrat eine junge Frau den Raum. Zunächst einmal nahm man die Bestimmtheit ihres Auftretens war, danach ein Leuchten der Augen, das auf eine Intelligenz schließen ließ, die vor allem von sich selbst überzeugt war. Sie mochte Mitte zwanzig sein, hatte rotbraune Haare, war groß und schlank und wirkte nicht zuletzt auf mich äußerst attraktiv. Unter dem Bild des großen Vorsitzenden zu sitzen, schien ihr Wohlbefinden nicht gerade zu steigern und vielleicht war es dieses bei uns beiden vorhandene Gefühl des Unwohlseins, einem wie auch immer gearteten Gefühl, in dieser Welt nie ganz zuhause zu sein, dass gerade ich sie im Verlauf des Abends etwas näher kennen lernen durfte. Sie käme aus Rumänien, wo ihre Familie samt Großvater und Pferden noch leben würde, sei aber nach Berlin gekommen, um an der Humboldt-Universität Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft zu studieren. Sie schreibe schon etwas länger an ihrer Dissertation, aber eigentlich wolle sie Schriftstellerin werden. Daher also ihr überaus selbstsicherer, einen Anspruch vor sich her tragender Auftritt, der auf böswilligere Zeitgenossen auch wie konkurrierende, selbstgefällige Arroganz wirken mochte. Gleich von Anfang an umgab sie die Aura des Geheimnisvollen, als käme sie von weit her wie eine Erscheinung aus dem Jenseits. Der Zufall wollte es, dass sie neben mir Platz nahm. Wir kamen ins Gespräch und unterhielten uns kurz über David Foster Wallace, wobei ich großspurig, gleich Eindruck schinden wollend anmerkte, der Protagonist Hal Incredencia (oder wie immer er auch hieß, das spaßige Buch hatte ich sowieso nicht zu Ende gelesen) bezöge seinen Vornamen auch nur von den Großbuchstaben eines IBM-Computers und das sei eindeutig aus einem Film geklaut. Wir waren, Vornamen hin oder her, nicht der gleichen Meinung, was mich aber nicht davon abhielt, sie nach dem ihren zu fragen und ihr das Du anzubieten. Sie hieße Valea und wäre zwar ein eher schüchterner Typ, aber irgendwie sei ich ihr doch sympathisch, entgegnete sie einwilligend. Mutig erwiderte ich, vielleicht könne man sich im neuen Jahr mal in einem Café treffen. Ich hätte ja eine Eisdiele bevorzugt, aber zu dieser Jahreszeit waren die praktisch unauffindbar.

Wir trafen uns im neuen Jahr dann ziemlich regelmäßig im Café Wunderlich, das sich in der gleichen Straße befand, in der Valea wohnte. Unsere literarischen Gespräche vertieften wir, wobei es mehr um interessante Aussagen ging, als um gegenseitige Übereinstimmung. Ich gebe zu, dass sie mir irgendwie ans Herz wuchs. Ich fühlte eine Nähe, wenn wir miteinander sprachen, die ich andernorts nicht fand. Sie werden sich fragen, ob ich verliebt war. Es fällt mir auch jetzt schwer, dies zuzugeben. Nachdem unsere Zusammenkünfte mehrere Wochen so weiter liefen, kamen wir uns immer näher und ich schlug ihr einen Ausflug zur Pfaueninsel vor. Ein Spaziergang dort würde sich auch im nasskalten Winter lohnen. Das Schloss wäre in den Wintermonaten zwar geschlossen, aber vielleicht würden wir den prächtigen Saal der Meierei am Wochenende besuchen können. Haben Sie das Homonym im letzten Satz bemerkt. Wörter sind so vielseitig und erst das Präfix des aus dem Griechischen stammenden Fremdworts eben. Aber das tut nichts zur Sache, ich schreibe es für Eingeweihte.

„Wie wäre es am Sonntag so um zehn Uhr?“, fragte ich sie hoffnungsvoll.

Sie zögerte einen Moment, sagte dann aber umso bestimmter: „Einverstanden, hol mich einfach mit dem Auto ab.“

So kam es, dass wir am 4. März 2012, ein Tag nach meinem Geburtstag, mit meinem geräumigen Wagen im nebelverhangenen Morgen zur Pfaueninsel aufbrachen. Wir wühlten uns durch den Verkehr, dann eine lange Gerade aus der Stadt heraus Richtung Potsdam, fuhren rechts in das Waldgebiet und parkten direkt in der Nähe der Fähre neben einem Lokal. Ich erinnere mich, dass sie eine weiße Bluse trug, über die ihr halblanges, rotbraunes Haar fiel, und dunkelblaue Jeans. Ich freute mich auf den Spaziergang mit ihr, obwohl das Wetter ziemlich schlecht war. Auf die kleine Fähre mussten wir nicht lange warten und genauso kurz war die Fahrt zur Insel. Ich sehe noch ihr Gesicht unter dem wehenden Kopftuch vor mir, als hätten wir einen Fluss in die Unterwelt zu überqueren. Seltsam entrückt kamen wir am anderen Ufer an.

(To be continued)