Der Buecherblogger

DIE FRAU, DIE ES NIE GAB (Teil 2)

Wir bewegen uns im Kreis 

Wahrscheinlich interessiert es Sie, von wo aus ich all dies schreibe. Ich sitze im schäbigen Zimmer eines heruntergekommenen Hotels in Marginalie, einem kleinen Dorf an der polnischen Grenze. Die Stadt ist voll von Menschen mit “enttäuschten Hoffnungen und zerbrochenen Träumen” wie mich. Ich glaube, ein Rumäne, der eine Zeit lang in Berlin lebte, ist hier irgendwann hängengeblieben. Wollte wohl erneut sein Glück probieren und nannte es Paradise. Nicht nur Namen können täuschen. Was mich betrifft, ich musste fliehen; in Berlin konnte ich nach dem, was ich getan habe, nicht länger bleiben. Hätte ich damals gewusst, wie sich ein Mensch Schlag auf Fall in ein ziemlich ekelerregendes Insekt verwandeln kann, wie eine Larve, die erst ihr wahres Geschlecht findet, aber sich dann als das Gegenteil eines farbenprächtigen Schmetterlings herausstellt, ich wäre vorsichtiger gewesen. Aus einschlägig bekannter Lektüre über Verwandlung hätte ich natürlich gewarnt sein können. Ich habe mich immer bemüht, zeit meines Lebens Frauen zu verstehen, wie hätte ich von Anfang an wissen können, dass das in ihrem Fall ein völlig hoffnungsloses Unterfangen war oder ist es das generell? Ach wie viele Lesende werden jetzt zustimmend raunen, wie auch sie, auf welcher Seite unserer biologisch, geschlechtlichen Ausrichtung auch immer, unverstanden bleiben.

Nun gingen wir also auf der Pfaueninsel spazieren. Geradezu passend kommt mir der Name der Insel jetzt vor, denn ein bisschen erinnerte auch ihr Gehabe bei aller zur Schau getragenen Souveränität an einen radschlagenden Pfau. Ich hatte schüchtern und behutsam ihre Hand genommen, schließlich wusste ich bereits, auf ihre eher katholische Grundeinstellung Rücksicht zu nehmen. Sie hatte mir erzählt, ihre Mutter hieße Magdalena mit Vornamen. Die Frauen aus dem östlichen Europa wirken immer so überaus unschuldig, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Auch so eine Masche, mit der sie uns Männer nur verrückt machen wollen. Immerhin blieben wir dann sogar ab und zu stehen, um uns zu küssen und zu umarmen. Es war ein mieses Wetter, das sagte ich schon, der Himmel bewölkt, aber es konnte meinem Glücksgefühl, mit ihr zusammen zu sein, nicht das Geringste anhaben. Beinahe übermütig liefen wir die schmalen Wege durch den jetzt strömenden Regen entlang. Ich glaube es regnete überall, von Altglienicke bis Zehlendorf. Aber es zählte nichts außer ihrer Nähe, mochte ich auch frierend und mit feuchten Haaren vor Kälte bibbern. Die Regentropfen prasselten auf unsere schon ganz nassen Gesichter und die Zeit, diese unsichtbare Begleiterin, verflog bei unserem großen Rundgang um die Insel, als würden wir uns ganz jenseits von ihr bewegen.  

So ähnlich geht es mir auch, wenn ich dies schreibe, die Bilder vermischen und verwischen sich in meinem Kopf, alles beginnt sich zu drehen. Manchmal sehe ich eine Kuh als Illustration zu einer Literaturrezension vor mir und schon legt sich der Anblick der in matschigen Lachen stehenden Wasserbüffel auf den Weiden entlang der Insel darüber. Vielleicht kommt es daher, dass wir über Bücher sprachen und gleichzeitig den Wasserbüffeln zusahen. Mein Blick fiel plötzlich auf Valeas Schuhe, die in den engen Röhrenjeans steckten und im aufgeweichten Boden ziemlich dreckig wurden. Elegante Stiefeletten aus dunkelbraunem Leder mit halbhohen Absätzen und verspielten Zierbändern aus dem gleichen Material um den kurzen Schaft. Das korrespondierte gut mit ihrem dominanten Auftreten. Auch bei unseren Gesprächen musste ich ständig aufpassen, auf gleicher Höhe mit ihr zu bleiben. Manchmal war sie in ihren dichotomen Denkmustern zwar zu durchschauen, aber dann blitzte schon wieder dieser vor nichts halt machende Spieltrieb auf. Manchmal neckte ich sie absichtlich, denn selbstverständlich stellt man jeden, in den man ein wenig verliebt ist, auf eine Art Sockel, von dem man ihn ab und zu wieder herunter holen muss.

Du willst also immer noch der neue Stern am rumänischen Literaturhimmel werden?” fragte ich etwas provozierend. “Am deutsch-rumänischen, da muss ich dich korrigieren, mein Vater Matthias war Deutscher. Es stimmt aber, dass das Werden als Prozess mir sehr wichtig ist.” “Klingt das nicht nach dem Gemeinplatz “Der Weg ist das Ziel”, fragte ich zurück. Wir blieben also nicht nur zum Küssen stehen, sondern diskutierten ständig weiter. Dabei fällt mir die schlanke Statue einer Schauspielerin aus weißem Marmor auf der Insel wieder ein. Damals habe ich sie mit ihr verglichen, so versonnen zärtlich und sinnierend mit einem Finger am Mund, wie diese dreinschaute. Das meine Begleiterin selbst nur ein Spiel spielte, darauf kam ich nicht. Ein Verliebter ist immer ein großer Tor, er lebt hinter dem Vorhang seiner Illusionen, ich mache da keine Ausnahme. Ich will Sie nicht mit Inselbeschreibungen langweilen. Nachdem wir mehr oder weniger durchnässt an Schloss, Meierei und Vogelvolieren vorbeispaziert waren, warteten wir schon wieder am Anlegerplatz auf den Fährmann mit seiner heute so technisch modernen Form eines Kahns, der uns auf die andere Seite zurückbringen sollte. Ich sage nur so viel: manchmal überquert man den Styx, ohne es zu wissen.

Wieder auf festem Boden angekommen, lachten wir fröhlich, aber auch irgendwie unsicher übertrieben, als wir eilig im Trockenen Schutz suchten und wieder in das Auto stiegen. Ich nahm eine CD mit romantischer Musik. Ein Blick in ihre Augen genügte und ich kapitulierte vor diesem Gefühl, so sehr in sie verliebt zu sein. Doch ich fühlte mich gleichzeitig melancholisch und traurig. Es würde immer eine aussichtslose Liebe bleiben. Die Scheiben des Wagens waren von unserem Atem vollständig beschlagen und blind. Man konnte weder hinein noch hinaus sehen. Allerdings hörten wir den fallenden Regen, wie das bei Blinden üblich ist, überdeutlich, wie ein Hintergrundrauschen zur laufenden Musik. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als ob alles, was danach geschah in ein unwirkliches Licht getaucht ist. Draußen legte sich ein nebliger Schleier über das Wasser und nebeneinander sitzend im Wagen, gleichsam abgeschlossen von der Außenwelt, bekam die Atmosphäre etwas Sinnliches.

(To be continued)