Völlig einseitiges Lesefutter
Mit diesen vier Neuerwerbungen demonstriere ich meine nicht nur geschlechtsspezifisch perfekte Einseitigkeit bei der Buchauswahl: Alles Romane, alle nur von männlichen Autoren! Zum Ausgleich werde ich ab und an eine Erzählung von Alice Munro dazwischen schieben. Ob ich nach der Lektüre dieser Romane noch der Gleiche bin? Mein Ich ist so was von bröcklig und mit welchem soll ich nun anfangen. Am besten ich lese immer nur einen Satz aus jedem Buch hintereinander und mache eine Reise durch Buchstaben und Zeit. Ein völlig neues Leseerlebnis. Fangen wir von links an:
Schon Charles Dickens beginnt mit der Erklärung von Identität und Namen seines Ich-Erzählers:
Meines Vaters Name lautet Pirrip, mein Vorname Philip, und aus beiden Namen vermochte meine kindliche Zunge nichts Längeres und Verständlicheres zu bilden als Pip. So kam es, dass ich mich Pip nannte und Pip genannt wurde.
Die Ich-Erzählerin von Aléa Torik plagt anscheinend die Einsamkeit der Großstadt, aber dass es nun ausgerechnet der zehnjährige Jahrestag des 11. September 2011 sein muss, an dem die Erzählerin beginnt, einen Blick auf die Welt zu werfen. Ein wenig viel Symbolik und mit den Grimms ein versteckter Hinweis auf ein Märchen? Das Manuskript auf dem Bildschirm ist natürlich das des Romans, den man gerade liest. Abwarten…
Es ist September, der frühe Morgen des 11. September 2011, und ich sitze im Lesesaal der Zentralbibliothek der Humboldt-Universität, dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, es ist der frühe Morgen eines strahlend schönen Septembertages, den ich durch die Oberlichter sehen kann, ich sitze vor dem Laptop und schaue auf den Bildschirm, auf die erste Seite meines Manuskripts; ich schaue über den Bildschirm hinweg in den riesigen, terrassenförmig angelegten Lesesaal, in dem ich, auch wenn das in einer Stadt mit mehr als drei Millionen Einwohnern, einer Universitätsstadt mit 150 000 Studenten ausgesprochen unwahrscheinlich ist, ganz alleine bin, ich bin vollkommen allein.
Auch Henri Alain Fournier beginnt mit einer nicht ganz so genauen Datumsangabe:
Er kam an einem Sonntag im November des Jahres 189… zu uns, in unser Haus. Immer noch sage ich: unser Haus, obwohl uns das Haus längst nicht mehr gehört. Seit bald fünfzehn Jahren schon haben wir die Gegend verlassen und gehen sicher nie wieder dorthin zurück.
Roberto Bolaño schreibt später diesen Anfang einfach noch einmal in einem anderen seiner Romane ab, Die wilden Detektive. Es geht um das Verhältnis von Lyrik und Prosa und eine geradezu atemberaubende Ironie bei der Kategorisierung von Schriftstellern. Die beiden Namen Amalfitano und Perdilla sind auch bestens bekannt. “2666” und “Gomez Palacio” (siehe die Fußnote bei meiner Übersetzung) lassen grüßen:
Für Padilla, erinnerte sich Amalfitano, gab es heterosexuelle, homosexuelle und bisexuelle Literatur. Romane waren im allgemeinen heterosexuell. Die Lyrik dagegen war durch und durch homosexuell. In ihren ozeanischen Weiten unterschied er mehrere Strömungen: Schwule, Schwuchteln, Schwestern, Tunten, warme Brüder, Trinen, Tucken und Epheben. Die beiden Hauptströmungen waren jedoch die der Schwulen und Schwuchteln. Walt Whitman zum Beispiel war ein schwuler Dichter. Pablo Neruda eine Dichterschwuchtel. William Blake war ohne jeden Zweifel schwul. Octavio Paz eine Schwuchtel.
So, jetzt lese ich lieber allein weiter und hoffe, den einen oder anderen neugierig gemacht zu haben.
Auf das neue Buch von Roberto Bolano bin ich schon sehr gespannt, ich lese ihn ja unheimlich gerne. Aléa Toriks Buch habe ich auch auf der Liste, warte diesbezüglich aber erst einmal auf deine Eindrücke. :-)
Bei den „Nöten des wahren Polizisten„, von denen im Vorwort auch als die Nöte des Lesers selbst gesprochen wird, diesen „metaliterarischen“ Roman mit seinen vielen einzelnen Teilerzählungen und seiner Vorläufigkeit zusammenzuhalten, habe ich ein wenig die Befürchtung, es könne nur ein Amalgam aus mir schon bekannten Werken sein. Aber jeder neue bei Hanser erscheinende Bolaño ist mir eine innere Verpflichtung. Jeder kleinste, wieder anders geschriebene Absatz bewegt sich bei ihm wie auf einer Rasierklinge, von einem gefühlten Abgrund getrieben in seiner unnachahmlichen Art Autobiographisches mit reiner Fiktion zu mischen. Einmal Bolaño, immer Bolaño!
Aléa Toriks (A. T.) Buch lese ich natürlich auch mit einem Anteil Masochismus. Ich versuche allerdings das Weblog und den Autor auf der einen Seite zu halten und das Buch auf der anderen. Vor allem auf das Sprachniveau bin ich gespannt, denn im ersten Roman gab es da große Gegensätze. Gute Kapitel und andere mit eher reduziertem Sprachgebrauch und Satzbau. Ich hoffe, der Autor hinter der Kunstfigur hat sich gesteigert und findet den Mut zu einem „Coming out“. Trotz Differenzen, selbst über diesen Begriff könnte ich differenziert streiten, wünsche ich dem Buch doch Erfolg. Falls es gut ist, und das muss ich erst noch erlesen.
Herzlichen Gruß
Der Buecherblogger
Lieber Bücherblogger,
das macht doch gar nichts, die Einseitigkeit, meine ich. Leser_innen wählen, was sie in irgendeiner Weise „anmacht“, oder? Wenn ich auf meine Leseliste schaue, kann ich auch nicht verleugnen, dass sich immer seltener die Werke männliche Autoren darunter finden. Das kommt gar nicht, weil ich es im voraus so beschließe. Ich lese in was rein – und weiter lese ich nur, wenn es mich genügend fesselt. Anders als früher (vor 20 Jahren) empfinde ich keinerlei Verpflichtung mehr, irgendetwas fertig zu lesen (wie: „Iss dein Tellerchen leer.“), erst recht nicht, weil es der „Betrieb“ oder die herrschende sogenannte „Literaturwissenschaft“ empfiehlt. Gerade kann ich mich kein bisschen von Barbara Pym (Gesamtwerk) losreißen. Und von Alice Munro („Dear Life“ zum dritten Mal, das ist eh so eine Manie bei mir: Was mir besonders gefällt, dass lese ich wieder und wieder und wieder. Und es erscheint mir jedes Mal ganz neu und ich überblättere keine einzige Seite.). In der Reihe (auf dem Kindle) warten noch Kathrin Gerlofs „Lokale Erschütterungen“ und Sybille Bedfords „The Faces of Justice“, der einzige männliche Autor auf der Liste bis April ist Adalbert Stifter mit „Nachsommer“ (ja, habe ich tatsächlich noch nie gelesen, obwohl es BenHuRums Lieblingsbuch ist). So ist das.
Und wahrscheinlich würde Sie kaum eins dieser Bücher grade jetzt interessieren. Wiederum umgekehrt: „Great Expectations“ habe ich schon gelesen. Und für die anderen Titel auf Ihrer Liste kann ich momentan keinen „Lese“-Raum in meinem LeseHäusle finden, irgendwie „packen“ diese Anfangssätze mich jetzt nicht. Vielleicht in einer anderer Zeit. In einem anderen Lese-Leben. Man weiß nie…
Ganz herzliche Grüße
Melusine
Liebe Melusine,
der Haltung, nur noch das zu lesen, was auch zu fesseln vermag, stimme ich uneingeschränkt zu. Die von mir postulierte Einseitigkeit ist natürlich ironisch gemeint, gerade zum Beispiel an Munro habe ich im Moment einen Narren gefressen. „Zu viel Glück“ habe ich durch und beeindruckt hat mich auch die letzte Erzählung über die Mathematikerin Sofia Kowaleskaja. Wie sie darin eine echte Biographie zur Fiktion werden lässt und das ganze Leben auf ausgewählte Zeitpunkte schrumpft, ist großartig erzählt. Sachlich und emotional zugleich, sodass ich am Ende über ihrem frühen Tod richtig mittrauerte. Auf FemBio fehlt der Verweis auf diese Fiktion, in Wikipedia ist er vorhanden. Zwei Munro-Erzählbände sind gerade auf dem Postweg zu mir und ich sammle weiter an im Internet frei zugänglichen Erzählungen in Originalsprache. Eine kleine Link-Tabelle soll folgen. Allerdings fehlen mir manchmal die dazu gehörigen Titel der deutschen Übersetzungen.
Von Stifter gibt es ja jede Menge kostenlos für den Kindle, auch den Nachsommer. Bei mir wird mit jedem Namedropping immer ein literarisches Interesse geweckt. Ob es dann wirklich zum Lesen kommt, ist oft reine individuelle Vorliebe. Wir sind eben doch nur Vögel, die im Leben nicht alle Körner picken können, die es gibt. Was habe ich nicht auch kürzlich wahrscheinlich unberechtigt wieder weggelegt. Julian Barnes Erstling „Metroland“ und Uwe Johnsons „Zwei Ansichten“. Manchmal würde ich auch lieber selbst etwas schreiben, als nur zu lesen oder über das Lesen von Büchern zu berichten. Und manchmal zerfranst die Welt der Worte auch vor der eigenen Lebensrealität, zumal wenn man vielleicht mit Krankheit kämpft. Manchmal fehlt auch schlicht das Vertrauen in die Worte selbst, aber ich möchte trotzdem den Mut nicht verlieren, ab und zu etwas zu schreiben.
Einen herzlichen Gruß zurück
D.
Wollen sich nicht einmal über die Erzählung zu Sofia Kowaleskaja schreiben? Das fände ich spannend. Es ist eine unglaublich fein konstruierte Erzählung, finde ich,
Herzliche Grüße
M.
Das ist eine gute Anregung und Idee, aber wie ich befürchte auch sehr, sehr anspruchsvoll. Obwohl nur der, der mit Herausforderungen kämpft, gewinnt. Ich könnte es versuchen…
Herzlich
D.
Bücher am Geschlecht von Autorin oder Autor identifikatorisch dingfest zu machen, liegt in etwa auf dem Niveau von Menschen, die die Art des Autofahrens nach dem Geschlecht bewerten. Eine dem Wesen von Literatur insgesamt äußerliche Haltung, die nach der Moral des Personenstands und des Personalausweises urteilt. Vom Spielcharakter der Literatur sowie dem Aspekt des Scheins wird in solchem identitären Denkens nicht viel begriffen. Am schlimmsten gerät diese Sicht des identifizierenden Denkens, das so gerne hinter die Maskeraden blicken möchte, wenn sie sich mit einer Art Pseudofeminismus des letzten Jahrhunderts verbindet, der in den 70er Jahren seinen Ort hat: Verständigungstexte: mein Schreiben als Frau, mein Schreiben als Mann, mein Schreiben als putziger Goldhamster.
Nehmen Sie, Bücherblogger, Aléa Torik doch einfach als das, für was es steht. Oder sollten Sie gar aus persönlichen Gründen gekränkt sein?
Und was die Romantheorie betrifft: Achtung: Wir stehen im 21. Jahrhundert!
Was Sie hier in Ihrer etwas polternden, polemischen Art verteidigen zu glauben müssen, wurde von mir gar nicht angegriffen. Ich dachte, ich hätte mich eher moderat im vorhinein zu dem neuen Roman von A. T. geäußert. Da Sie aber gerade in Ihrem Reich Lobeshymnen auf „Das Geräusch des Werdens“ abfeuerten, werfen Sie mir hier Ihren Fehdehandschuh vor meine Füße. Den lasse ich liegen, denn ich kann mich ja nur mit Personen „duellieren“, die ich als Person auch kenne. Sie könnten ja nicht nur ein Stadtkommandant, sondern auch ein des Schreibens mächtiger Hund sein oder eine lesende Katze. Ich habe längst begriffen und akzeptiert, dass es ein Literaturverständnis gibt, das als Reaktion auf vermeintlich zuviel Realismus, in der Post-Postmoderne der strukturalistischen Auffassung vom Tod des Autors frönt und die Literatur als einen Ort betrachtet, der mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben braucht, außer sie als aleatorische Spielwiese zu verwenden. Nach ca. 70 gelesenen Seiten des neuen Romans „Aléas Ich“ wird mir der permanente Hinweis auf diesen Spielcharakter etwas penetrant langweilig. Aus Rüdiger kann man Rainer machen und aus Rainer Romi oder Romy, darauf möchte ich nicht hingewiesen werden, weil ich es als bereits vom Leser gewusst voraussetze. Sprachlich gesehen gibt es auf vielen Seiten eine Litanei ziemlich kurzer Sätze, die schon im ersten Roman vorkamen, und von denen man den Eindruck gewinnen kann, sie würden den Leser absichtlich unterfordern, weil der Autor seinen Lesern kein anspruchsvolleres Rezeptionsniveau zutraut. Der tatsächliche Autor scheint sich in seinem Spiel auf eine sprachlich eher infantile Haltung zu reduzieren. Positiv dem gegenüber steht die Fähigkeit, konsistent das Romanpersonal durch eine Handlung mit viel Erfindungsreichtum zu führen. Auch ein Sprachwitz, der sich an der Irrealität von Literatur und Sprache überhaupt reibt, kommt nicht zu kurz. Wo Sie literarisch doch ziemlich bewandert sind, sollten Ihnen sprachliche Niveauunterschiede zu nur z. B. Flaubert doch auffallen.
Was die Identität des Autors betrifft ist sie mir nun mal, was das Geschlecht betrifft, bekannt. Ich kann also das Narrenspiel nicht wie beim ersten Mal lesen. Sie gehören zu dem Kreis, der den Autor kennt und möchten ihn natürlich in seinem Bemühen, auch dem Absatzbemühen auf einem Markt, unterstützen. Dass Sie ein Buch lesen, ohne sich im Hintergrund ein Bild vom jeweiligen Autor zu machen, ob nun weiblich oder männlich, halte ich für ein Gerücht und eine vorgeschobene Haltung. Dieses geschlechtsneutrale Lesen gibt es weder auf der Leser, noch auf der Autorenseite. Ein Text steht auch nie nur für sich selbst. Er kommt schließlich nicht von Gott gegeben auf die Welt wie eine unbefleckte Empfängnis. Er ist auch ein literatursoziologisches Phänomen und insofern glaube ich, das gerade die aleatorische Spielwiese ein Ausdruck des virtuellen Mediencharakters der moderenen Welt ist. Meine Aversionen und von mir aus auch im Herbstschen Sinne damaligen „Invektiven“ richteten sich immer nur gegen das täuschende Weblog, das neben dem literarischen Anspruch eines Experiments immer auch Züge der Vermarktung trägt. Ganz besonders störend dabei ist die völlige Unfähigkeit Kritik am Werk zu ertragen. Nur wer das Kind hätschelt wird geduldet. Aber ich würde mich über eine Literatur- und Textkritik der beiden Romane von A. T. bei Ihnen freuen. Über literarische Weblogs und vor allem deren Kommentarfunktion werde ich gleich noch einen Beitrag veröffentlichen, der meine grundsätzliche Haltung vielleicht verdeutlicht. Trotz anderer Meinung Danke für Ihre Einmischung hier…
Der Buecherblogger
Wie ich in meinem Blog bereits mehrfach betonte und worauf ich hinwies: ich lese Texte, keine Menschen. Autorinnen oder Autoren treffe ich in Bars oder Cafés. Natürlich sind Texte nicht vom Himmel gefallen. Aber sie sind mehr als bloß Faktisches, mehr als ein Gegenstand unter anderen Gegenständen, worin wir beide sicherlich übereinstimmen. Der Monolog der Molly Bloom, in den der „Ulysses“ als eine Origie der Lust und der großen Bejahung mündet: ist es wirklich relevant, ob das Männlein oder Weiblein schrieben? Es ist der Monolog einer Frau in einem Text, der anscheinend fiktiver Natur ist. Punktgenau getroffen. Gleiches gilt für die Madame Bovary. Es ist der Text einer Frau. Nun wird es Frauen geben, die schreiben: „Ach, so denkt keine Frau. So dnekt nur ein Mann, daß Frauen denken!“ Tja, wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur du denkst, wie es in einem deutschen Schlager einmal hieß. Und diesem Vorbehalt kann man oder mensch wie es heute neudeutsch heißt, mit anderen Frauenstimmen kontern: „Genau so spricht und denkt die Frau, tongenau gestimmt und getroffen!“, so sagt es die Gegen-Frau. Woraus folgt: die Empirie, das rein Faktische reicht für die Bestimmungen und Lektüren des Textes nicht hin. Denn es gibt auf dieser Ebene vielerlei Meinungen.
Wozu dieses Kaprizieren aufs rein Faktische führt, zeigt etwa die Zensur (oder Beschneidung) der Romane von Maxim Biller und Alban Nicolai Herbst durch deutsche Gerichte.
Sicherlich gibt es in „Das Geräusch des Werdens“ auch Dinge, die man kritisch sehen kann. Das ist bei den meisten (Debüt-)Romanen so. Die Sätze dort sind in der Tat meist kurz und knapp gehalten, und dennoch funktioniert das Gebilde sprachlich. Darauf kommt es doch an, daß ein Text stimmig ist, trägt, funktioniert. Man könnte auch schreiben: DGDW ist postmoderner Hemingway, etwas flapsig in den Raum geschrieben. (Wobei Hemingway kein Eigenname, sondern die Funktion eines Autorennamens ist.)
Und was den Markt,, die Vermarktung und die Absatzzahlen betrifft: da möchte in einer freien und sozialen (versteht sich, selbstredend, im Rahmen der FDGO) Marktwirtschaft jeder am monetären Erfolg teilhaben. Das würde ich gar nicht als Vorwurf erheben. Auch ich muß mit meiner Tätigkeit Geld verdienen, wenn ich mir die Dinge leisten möchte, die ich will. Die eine macht das mit ihrem Gesicht (sei das nun die geniale Olga oder manches von den Marketingabteilungen der Verlage ins Leben gerufene Schriftstellerfräuleinwunder der 90er Jahre), die andere durch ihre eher streng-geniale, zuweilen auch unhumorig-geniale Streeruwitzsche Art, der andere, indem er schicke Anzüge trägt oder mit einer gewissen sprachlichen Eleganz oder auch Schnoddrigkeit auftritt. Es sind in gewisser Weise Inszenierungen, die Menschen über Blogs oder andere Formen der (medialen) Präsenzerzeugung betreiben, und die – auch – der Vermehrung von Ruhm und Geld dienen. Man kann das so machen, man kann das anders machen. Ich selber würde wohl unter Pseudonym veröffentlichen und es wie der frühe Botho Strauß halten: keine Bilder, kaum Interviews.
Ehrlich gesagt ist mir ein (literarischer) Weblog wie der von Aléa Torik zehnmal lieber als solche, die ihre Familien-, Arbeits- oder Lebensgeschichte im Eins-zu-eins-Modus ausbreiten und dabei nicht fähig sind, Trennlinien, Falltüren, Fallstricke und (ironische) Distanzierungen einzubauen. Aber auch das will ich gar nicht werten. Bei Blogs ist es wie beim Fernseher: es gibt den Ausschaltknopf.
Was die Autorin oder den Autor betrifft: „Wen kümmert‘s wer spricht?“ so formulierte es der Text Becketts. Mich interessiert die Funktion des Autors, nicht aber der Autor selbst.
Bei Ihnen freilich bedanke ich mich, daß Sie den Beitrag von mir freischalteten und Kontroversen auszuhalten gewillt sind. Respekt dafür.
Um es noch einmal sauber zu trennen. Es geht mir nicht nur um die Instanz des Autors eines Textes, sondern wie in meinem heutigen Beitrag deutlich wird, um die Instanz des Autors oder Betreibers eines Weblogs. Der Unterschied ist doch mehr als offensichtlich. Während der Autor eines Buches seine Leser nur über sein geschriebenes Endprodukt erreicht und in der Regel auch nur Rezensionen als Feedback erhält, tritt der Betreiber eines Weblogs durch Kommentare seiner Besucher in direkten, unmittelbaren Kommunikationskontakt mit diesen. Um im Cartoonbild zu bleiben, ist es Ihnen tatsächlich egal, ob sie sich mit einem Rüden oder einer Hündin, einem Welpen oder einem Wolf unterhalten? Und wenn, dann ist es Ihnen auch egal, wenn diese das Blaue vom Himmel herunter lügen? Eh alles nur Deleuze´sche Simulation? Dem Roman oder der Erzählung ist selbstverständlich schon per definitionem nicht mit dem Faktischen oder Empirischen beizukommen. Dann könnte man Borges phantastische Literatur gleich mit verschrotten. Aber auch eine faktische Autorschaft lässt sich in letzter Konsequenz natürlich nicht leugnen und wäre es spätestens dann, wenn irgendjemand gegen Lizenzrechte verstoßen würde. Selbstverständlich kann man mit Lüge und Täuschung so lange spielen, bis jemand die wahre Autorenidentität kennt. Der Verlag kündigt ja an, diesmal würde der Autor selbst lesen, warten wir also ab, welcher Wolf im Schafspelz diesmal in Berlin und Köln erscheinen wird. Für mich bleibt es nach wie vor eine Selbstverständlichkeit, dass wer ein ernsthaftes Gespräch sucht, auch ein Recht darauf hat, nicht vorsätzlich getäuscht und betrogen zu werden oder das Weblog ist ohnehin nichts anderes als eine märchenhafte Soap-Opera, spielerischer Schnickschnack.
Es kommt hier ganz auf die Konzeption des Weblogs an. Und ich schrieb es in meinem Kommentar zum „Literarischen Weblog als Roman“: Das Internet ist wie eine Burka. Ja, es könnten auch schreibende Hunde sein, wenn sie denn schreiben können. Es ist im Grunde wie beim Telefonsex. Man(n) ist auf die Imagination angewiesen: Ob da wirklich die blonde Bäckersfrau Luna sitzt oder nicht einfach nur eine brünette Architekturstudentin Lara, die sich ihr Studium verdient, ist schwierig auszumachen. Hier in Berlin arbeitete eine Freundin vor Jahren mal in einer solchen Telefonsexagentur. Es ist ein spannender und lukrativer Job. Viel erfährt man über Menschen, Identitäten und Konstrukte.
Auch in Blogs gibt es dieses Spiel. Don Alphonso bspw. mit seinem Blog „Rebellenmarkt“ ist ein solches Konstrukt – sogar im Bereich des Politischen.
Ich kenne nun Ihren Fall nicht, lese aber aus Ihren Texten ein hohes Maß an Verletztheit heraus, die ihre Berechtigung haben mag und die ich respektiere. Ein Urteil hierüber steht mir nicht zu. Und deshalb unterlasse ich in diesem Falle die mir ansonsten eigene Polemik und Bösartigkeit.
Aber beim Schreiben von Texten ist diese Emotion unangebracht. Man steht dann zu dicht davor, verfehlt die Sache, sieht das literarische Konzept nicht mehr.
Ja, manchmal können Dinge zu weit gehen und es bleibt ein schlechter Nachgeschmack zurück. Aber sind Sie denn wirklich betrogen worden oder haben Sie sich nicht auch ein Stückchen selber betrogen?
Ich schrieb mir vor kurzem mit einer 28-Jährigen Frau, sozusagen eine Blogbekanntschaft. Sie schickte mir Photos von sich (anständige, nichts Pornographisches), sie schrieb von sich. Sie beschrieb, wie sie in ihren weißen Boxershorts es sich selber machte (Details spare ich) und wie sie sich unten herum rasierte. Dies hat mich erregt, angeregt, so sind wir Männer, ich finde solche Erlebnisse als Ästhetiker im Grandhotel Abgrund ausnehmend erregend. Aber ob das alles, was sie schrieb, auch wahr ist? Photos kann jede(r) übersenden. Vielleicht ist es eine ältere Frau, die schreibt, um sich anzuregen und mich aufzuregen, was wiederum sie erregt. Ich für meinen Teil liebe solche Spiele: und wenn statt einer Muschi mal an Schwanz vor der Café-Tür steht? Warum nicht, erlaubt ist, was gefällt.
Was nun Aléa Torik betrifft, so verschlingen sich hier die Identitäten: Aber so ist es in der Kunst nun einmal: beim ersten Mal regen sich alle auf. Dann gehört es in den Kanon Postmoderner Literatur. Das Internet ist nun einmal – auch – ein Literaturraum. Dieser Blog hat sich diesbezüglich nie getarnt.
Ich sehe leider nicht die geringste Veranlassung, mich hier mit Ihren sexuellen Vorlieben zu beschäftigen oder auf derartige Ein- und Auslassungen zu antworten. Ich verweise da spiegelartig auf die beinahe monogam-katholischen Sexualvorstellungen der Kunstfigur Aléa Torik selbst. Im Bersarin-Blog tauchte schon mehrfach ein unterschwelliges Frauenbild als wohlfeiles Lustobjekt des Mannes auf, das mir in seiner Selbstüberzeugtheit fremd ist. Einen wie auch immer gearteten „Ästhetiker im Grandhotel Abgrund“ bedauere ich deshalb als jemand, der sich in der eigenen zynischen Dekadenz verloren zu haben scheint. Ich möchte Sie deshalb herzlich bitten, sich über Ihre wie auch immer geartete Sexualität anderswo auszulassen.