#8. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Kerzenlicht

Der Papier­sta­pel wollte ein­fach nicht klei­ner wer­den. Ich zog das oberste Blatt her­un­ter und begann damit, die Daten dar­auf in den Rech­ner zu über­tra­gen. Name, Geburts­da­tum, Adresse, dann einen Haken bei den ent­spre­chen­den Punk­ten setzen.
Vor Weih­nach­ten kamen immer beson­ders viele For­mu­lare rein. Viel­leicht weil die Leute in die­ser Zeit anders leb­ten? Dabei war es doch nicht anders als jede andere Zeit im Jahr. Bis auf den Stress, den man sich machte, um für jeden ein Geschenk zu bekom­men. Schon der Gedanke daran, sich durch über­füllte Kauf­häu­ser schie­ben zu müs­sen, ver­darb mir die ohne­hin schon schlechte Laune. Sogar für Inter­net­be­stel­lun­gen war es jetzt schon zu spät.

Die Decken­leuch­ten im Büro waren bereits erlo­schen und nur die Schreib­tisch­lampe tauchte die For­mu­lare in gel­bes, kör­ni­ges Licht. Ich ver­suchte die kra­ke­lige Hand­schrift auf dem Papier zu erken­nen. Die Namen kamen mir mitt­ler­weile alle gleich vor. Aber ich wollte den Sta­pel heute noch fer­tig bekom­men. Nach Weih­nach­ten wür­den sich nur noch mehr ange­sam­melt haben. Dann war es bes­ser, wenn ich sie noch erle­digte, bevor das Büro für 3 Tage schloss.
Irgendwo zwi­schen den Buch­sta­ben und Häk­chen in mei­nem Kopf hörte ich Schritte. Danach wie mein Kol­lege sich von mir ver­ab­schie­dete: „Ich geh jetzt auch. Mach nicht mehr so lange und fröh­li­che Weihnachten.“
„Dir auch“, mur­melte ich und sah dabei nur kurz auf. Ich nahm kaum wahr, wie er das Büro ver­ließ und mich in die­sem lee­ren, dunk­len Raum alleine ließ. End­lich war es ruhig.
Heute Mit­tag war es im Büro noch tur­bu­lent zuge­gan­gen. Meine Kol­le­gen waren her­um­ge­wu­selt und hat­ten sich aus­schwei­fend über ihre Weih­nachts­pla­nun­gen aus­ge­tauscht. Es hatte Kuchen gege­ben. Ein Stück stand sogar noch neben mei­nem Sta­pel auf einem Tel­ler. Britta hatte mir vor 2 Stun­den noch „etwas Gutes“ tun wol­len. Jetzt fei­erte es sein trau­ri­ges Dasein auf mei­ner Tisch­kante, direkt neben dem Tee­licht von Susanne, das sie jedem mit­ge­bracht hatte. Zum Essen hatte ich jetzt aber keine Zeit und das Tee­licht inter­es­sierte mich noch weniger.

Jetzt, wo der letzte gegan­gen war und ich sein Getippe nicht mehr hören musste, drang das Pfei­fen des Win­des vor dem Fens­ter stär­ker an meine Ohren. Drau­ßen stürmte es und immer wie­der schlug Regen an die Scheibe.
Bei einer beson­ders star­ken Böhe sah ich zum Fens­ter hin­über. Der Regen hatte sich mitt­ler­weile in „Schne­gen“ gewan­delt. Die­ses Mist­wet­ter, das mehr ein Regen mit Schnee­flo­cken war als rich­ti­ger Schnee. Das Wet­ter, bei dem ich froh war im tro­cke­nen Büro zu sit­zen und mich nicht mit mei­nem Auto durch die Stra­ßen zu schlagen.
Mein Kopf war dröge von der sich immer wie­der wie­der­ho­len­den Tätig­keit. Ich hackte die Daten des nächs­ten For­mu­lars in den Com­pu­ter. Was sollte ich nur für Benni kau­fen? Wir waren jetzt 2 Jahre zusam­men und ich wusste, was er mochte. Aber er schien alles zu haben.
Meine Eltern frag­ten auch bereits seit 5 Wochen, wann ich an Weih­nach­ten vor­bei­kom­men würde. Doch bis jetzt hatte ich sie immer auf die nächste Woche ver­trös­tet. Ich hatte die let­zen Wochen genug um die Ohren gehabt und doch nichts geschafft. Sonst würde ich nicht ohne Geschenke daste­hen und immer noch auf der Arbeit sitzen.

Das Handy, das neben mir auf dem Tisch lag, vibrierte. Das Dis­play leuch­tete kurz auf und zeigte eine wei­tere Nach­richt von Benni. Unter „Weißt du schon, wann du daheim bist?“ stand nun auch noch ein „Wir könn­ten spä­ter etwas bestellen.“
Ich hatte ihm bis jetzt nicht geant­wor­tet. Woher sollte ich wis­sen, wie lange es noch dau­ern würde? Ich nahm das Handy und tippte meine Antwort.
„Weiß ich noch nicht. Später.“
Seuf­zend legte ich das Ding auf dem Tisch ab und wid­mete mich wie­der mei­ner Arbeit. Der Bild­schirm leuch­tete mir in viel zu grel­lem Licht ent­ge­gen, das in den Augen weh­tat. Ich fuhr mir mit den Hän­den über die Augen. Der stän­dige Wech­sel zwi­schen dem For­mu­lar neben und der Leucht­kiste vor mir, machte sich lang­sam bemerk­bar. Es waren aber nicht mehr viele For­mu­lare auf dem Sta­pel. Ich würde das heute noch schaffen.
Am Anfang hatte ich die ein­zel­nen Blät­ter noch gezählt. Jetzt hoffte ich nur noch, dass es nicht mehr so viele sein wür­den, wie ich bereits bear­bei­tet hatte. Es war, als hätte mich ein Fluch befal­len, der dafür sorgte, dass der Sta­pel wirk­lich nie endete. Als wür­den immer neue For­mu­lare dazu kom­men. Doch ich arbei­tete nur zu langsam.
Hel­mut Meier.
Char­lotte Brams.
Ingrid Hegert.
Im Kopf las ich die For­mu­lare mit. Gerne hätte ich mir Gedan­ken über mor­gen gemacht. Irgend­wel­che Pläne gemacht. Ent­schei­dun­gen getrof­fen, doch alles das war neben den Namen und Haken in den Hin­ter­grund gerückt. Ich wollte ein­fach nur noch fer­tig werden.

Erst als ich hörte, wie sich die Tür des Büros öff­nete, hielt ich erschro­cken inne und sah auf. Ich hatte mit allem gerech­net, aber nicht mit Benni, der nun vor mir stand.
„Was machst du hier?“
Trotz mei­ner rup­pi­gen Frage, lächelte er. Sein Gesicht lag halb in der Dun­kel­heit. Die andere Hälfte wurde von der Schreib­tisch­fun­zel erhellt. Seine Win­ter­ja­cke war nass vom Schnee­re­gen und sein brau­nes Haar stand vom Wind in alle Rich­tun­gen ab.
„Du hast nicht mehr geant­wor­tet, da dachte ich, ich komm vor­bei, um dich von der Arbeit zu erlösen.“
„Wie bist du reingekommen?“
„Der Pfört­ner hat mich reingelassen.“
Ich starre ihn an. Dann starrte ich wie­der meine For­mu­lare an. „Das ist lieb, dass du hier bist, aber ich will das hier erst fer­tig bekommen.“
„Okay, dann lass mich dir hel­fen.“ Kur­zer­hand hatte er seine Jacke abge­legt, sich den Stuhl von gegen­über gegrif­fen und robbte jetzt auf die­sem sit­zend zu mei­nem Schreib­tisch hin­über. Er gab mir einen Kuss auf die Wange und besah sich vol­ler Neu­gierde den Schreib­tisch. „Was machen wir?“
„Ich tippe die Forum­lare ab.“ Ich griff über ihn hin­weg und nahm mir das oberste Blatt Papier. „Dabei kannst du mir nicht helfen.“
Er schwieg dar­auf­hin drei For­mu­lare lang. „Drau­ßen stürmt es übri­gens hef­tig. Hast du den Schnee­sturm drau­ßen gesehen?“
„Scheint ziem­lich eke­lig zu sein.“ Eigent­lich wollte ich nicht reden. Schon das Tip­pen allein war mir in die­sem Moment zu viel.
„Meinst du, das wird mor­gen genauso schlimm?“
Meine Ant­wort war ein Brum­men. Ich spürte sei­nen Blick auf mir. Warum war er hier? Er konnte mir nicht helfen.
Die Buch­sta­ben auf dem Blatt ver­schwam­men zuneh­mend vor mei­nen Augen. Ich riss mich zusam­men, um die Namen ent­zif­fern zu kön­nen. Doch je mehr ich die Augen zusam­men­kniff, desto ver­schwom­me­ner wurde es. Mein Kopf dröhnte. Lau­ter als der Schnee­sturm draußen.
„Soll ich sie dir vorlesen?“
Ich hob vor­sich­tig den Kopf und sah ihn durch meine ver­schwom­mene Sicht an.
„Das wird nicht helfen.“
Doch seine Hand war schnel­ler an dem For­mu­lar als meine. Er zog es zu sich und las den Namen vor.
„Wer­ner Ste­ger.“ Dann ließ er das Papier wie­der sin­ken und drehte sich zu mir. „Das würde doch viel schnel­ler gehen?“
Mein Blick wan­derte zum Sta­pel, dann wie­der zu ihm. Ich wusste nicht, ob er Recht hatte. In die­sem Moment wusste ich über­haupt nichts mehr. Die­ser Sta­pel sollte ein­fach nur leer werden.
Statt eine Ant­wort abzu­war­ten, lehnte er sich quer über den Tisch und angelte sich das Tee­licht und den Kuchen, die dort auf der Ecke stan­den. „Darf ich?“, fragte er, als bei­des bereits vor ihm stand.
„Nimm ruhig. Ich habe eh kei­nen Hunger.“
„Ich wollte schon immer ein Candle Light-Din­ner mit dir haben.“ Kur­zer­hand hatte er ein Feu­er­zeug aus sei­ner Jeans gezo­gen und zün­dete das Tee­licht an.
Der Docht begann schwach zu bren­nen und die win­zige Flamme fla­ckerte, bis sie sich am Wachs genährt hatte und dann in ihrer vol­len Pracht ent­flammte. Ruhig lag sie nun da und tanzte nur noch leicht hin und her. Ich spürte die Wärme, die das Tee­licht aus­strahlte, auf mei­nem Gesicht. Alles war beschis­sen an die­sem Tag. Das Wet­ter, meine Arbeit, Weih­nach­ten, aber nicht die­ses Teelicht.
„Sieg­berg­straße“, las Benni vor und schob sich ein Stück Kuchen in den Mund.
Das lenkte mei­nen Blick von dem Tee­licht ab und zurück zu Benni. Es war unglaub­lich, wie locker er die Situa­tion nahm. Hätte er noch so lange im Büro geses­sen, ich wäre belei­digt auf dem Sofa über einer Tüte Chips ein­ge­schla­fen. Aber nicht er.
„Tippst du das ein? Ich würde gerne, aber deine Hände sind auf der Tastatur.“
Ver­wirrt sah ich hin­un­ter zu mei­nen Hän­den. Sie lagen auf den Tas­ten. Das war nicht ver­wun­der­lich, wenn ich dabei war meine Arbeit end­lich fer­tig zu krie­gen. Über die­sen schlech­ten Witz konnte ich nicht lachen, tippte aber den­noch die Straße in die Datei auf dem Rech­ner ein.
Benni las die nächste Zeile vor und ich über­trug die Infor­ma­tion. Ob es daran lag, dass ich immer trä­ger wurde, oder daran, dass es wirk­lich schnel­ler ging, wenn er es mir vor­las, wusste ich nicht. Meine Ohren hör­ten und meine Fin­ger tipp­ten. Buch­stabe für Buchstabe.
Da war nur mein mecha­ni­sches Tip­pen und Ben­nis Stimme. Seine Stimme war weich. Ich hörte ihr gerne zu, egal zu wel­cher Tages­zeit und ganz gleich, ob am Tele­fon oder wenn er mir gegen­über saß. Egal, was er sagte.
Wärme ging von ihm aus. Ich merkte, dass die leichte Gän­se­haut auf mei­nen Armen ver­schwand und mein Kör­per sich lockerte. Bei ihm fühlte ich mich wohl. Auch wenn ich immer noch in dem dunk­len Büro saß und immer noch das glei­che tat. Jetzt war es anders. Es ging mir viel leich­ter von der Hand.
Viel­leicht war es keine so schlechte Idee gewe­sen mir zu hel­fen. Mög­li­cher­weise ging es wirk­lich schnel­ler. Dann ver­stummte Benni.
Irri­tiert sah ich auf. „Name?“
„Das war das letzte Blatt.“
Mein Blick wan­derte zu dem Ort, wo der Sta­pel gele­gen hatte. Kein Blatt lag dort mehr.
„Das waren alle?“
„Ja, du bist fertig!“
Das wollte nicht so rich­tig in mei­nen Kopf. Nur nach und nach begriff ich, was das bedeu­tete. Alles in mir fiel in Wohl­ge­fal­len zusam­men. Ich lehnte mich im Stuhl zurück und schloss für einen Moment die Augen. Mein Kopf musste nicht mehr arbei­ten. Ich war fertig.

Einige Male atmete ich tief ein und aus und lauschte mei­nem eige­nen Herz­schlag. Dann legte Benni mir sei­nen Arm um die Schultern.
„Du kannst stolz auf dich sein.“
Gerne ließ ich mich in die Umar­mung fal­len und lehnte den Kopf an seine warme Schul­ter. Sie war weich. Das hätte ich mir vor­hin, als er gekom­men war, nicht gön­nen kön­nen. Ich öff­nete die Augen und beob­ach­tete das Tee­licht, wie es immer noch stumm seine Flamme in die Luft reckte und in unter­schied­li­chen Hel­lig­kei­ten glomm. Für einen Moment war ich voll­kom­men zufrieden.
Doch dann musste ich an mor­gen den­ken. An all die Dinge, die ich für Weih­nach­ten noch erle­di­gen musste. Essen kochen, Baum schmü­cken, Geschenke kau­fen. Ich hatte nicht mal ein Geschenk für Benni.
Elek­tri­siert fuhr ich hoch. „Wie spät ist es?“
„Halb zwölf.“ Benni zog mich sanft zurück und küsste meine Schläfe.
„Scheiße. Ich muss mor­gen früh raus.“
„Warum? Wegen Einkaufen?“
„Ja. Nein.“ Ich wich sei­nem Blick aus und starrte lie­ber wie­der das Tee­licht an. „Wegen allem.“
„Mach dir kei­nen Kopf. Du schaffst das sicher morgen.“
Seuf­zend legte ich meine Hand auf Ben­nis. „Warum ist Weih­nach­ten immer so ein Stress?“
„Wir machen uns die­ses Jahr ein­fach kei­nen.“ Als ich mich zu ihm drehte, sah ich wie er grinste. Ich wusste, dass Benni selbst die letz­ten Wochen auch Stress hatte. Trotz­dem konnte er das jetzt mit einer Leich­tig­keit sagen, die ich auch gerne gehabt hätte. Ich wollte ihm glau­ben. Kein Stress mehr bis Weih­nach­ten. Zumin­dest ver­su­chen konnte ich es.
„In Ord­nung.“ Ich merkte wie mir dadurch ein Stein vom Her­zen fiel. Ich küsste kurz seine Lip­pen und stand dann auf, um mir die Jacke anzu­zie­hen. Er tat es mir gleich.
„Was möch­test du Essen? Der China Imbiss um die Ecke hat noch auf.“
Jetzt, wo er fragte, merkte ich, wie leer mein Magen war. „Ist mir total egal. China Imbiss klingt gut.“
Benni löschte das Licht der Lampe. Ich fuhr den Rech­ner her­un­ter und blies das Tee­licht aus. Der Geruch von Ker­zen­rauch lag im Raum. Dann nahm ich Ben­nis Hand und wir gin­gen durch das dunkle Büro zum Ausgang.
Das ein­zige, kalt­weiße Licht im Raum kam durch die Fens­ter, gegen die noch immer der Schnee­re­gen gegen die Scheibe klatschte. Mir war egal, dass ich gleich hin­aus musste. Ich umschloss Ben­nis Hand fes­ter. Bei­nahe freute ich mich sogar auf Weih­nach­ten. Das war mir nur sel­ten passiert.

Text und Bild: Daniela

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Zeichensetzerin Alexa 11. Dezember 2015 - 17:23

Diese Situa­tion kommt mir sehr bekannt vor! Es hätte auch eine Geschichte aus mei­nem Leben sein können.

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