Adventskalender 2017: Türchen 22

by Bücherstadt Kurier

Erleuchtung

Wal­de­mar Popow schloss das siebte Ren­tier an das Kabel­netz aus Timern und Ver­län­ge­rungs­trom­meln an. Jetzt leuch­tete sein klei­ner Vor­gar­ten wie eine Mär­chen­land­schaft des Schre­ckens: Der Zaun hatte grüne Licht­pus­teln an der Bam­bus­blick­schutz­matte, dazwi­schen wan­den sich rote Neon­seile um die Git­ter­stäbe und auf jeder Pike saß ein Schnee­mann, die schwar­zen Knopf­zähne zu einem mani­schen Lächeln verzogen.
Wal­de­mar mochte die Schnee­män­ner. So von unten ange­strahlt saugte ihre wat­tige Ober­flä­che alle Far­ben auf wie Schnee, der auch alles in sich auf­nahm: das Gelbe von Hun­den, das Braune vom Dreck, das Rote von einer Meinungsverschiedenheit.
Murka war kein Hund und machte des­halb den Schnee nie gelb, nicht in Wal­de­mars Vor­gar­ten zumin­dest. Sie hin­ter­ließ nur kleine Pfo­ten­spu­ren ent­lang des Zauns bis zum Loch in der Bam­bus­matte. Wenn viel Schnee lag, ging sie gar nicht raus. Aber gerade lag auch kein Schnee.
Statt­des­sen steck­ten die sie­ben Ren­tiere mit den Hufen im fros­ter­starr­ten Rasen und mit dem Geweih in den Ster­nen. Sie zogen kei­nen Schlit­ten und auch kei­nen dicken Mann – die­ser war Wal­de­mar zu ame­ri­ka­nisch und kam ihm des­halb nicht rich­tig vor. Der echte dicke Mann in Wal­de­mars Kopf war gar nicht dick, trug Blau und Weiß und kam an Sil­ves­ter zusam­men mit sei­ner hüb­schen, blon­den Enke­lin im schnee­kal­ten Glitzer.
Die Ren­tiere aber waren okay. Die hat­ten etwas Win­ter­li­ches an sich.
Wäh­rend Wal­de­mar so dastand, trat Murka laut­los an seine Seite. Sie hatte nichts übrig für seine Win­ter­land­schaft, dafür umso mehr für seine Beine, um die sie gerne strich oder indem sie ihnen ein­fach im Weg saß. Wal­de­mar bückte sich und kraulte Murka hin­ter dem Ohr. Dann warf er noch­mal einen bewun­dern­den Blick auf sein Werk.
Der Gar­ten schil­lerte wie eine Lan­de­bahn für Engel. „Wo Licht ist, ist auch Schat­ten“, sagte man. Wal­de­mar sagte sich: „Wo mehr Licht ist, ist irgend­wann auch kein Schat­ten mehr.“ Grund­sätz­lich hatte Wal­de­mar aber nichts gegen Schat­ten. Er fand nur das Licht hübscher.
Murka krächzte ein „Meh“ zu ihm hoch. Er nickte ihr zu, klopfte seine Pan­tof­feln an der Rau­haar­fuß­matte ab und ging in die Küche. Hin­ter ihm, im Nach­bar­haus, rat­ter­ten die ers­ten Fens­ter­blen­den her­un­ter. Es störte Wal­de­mar nicht, dass die Schlaf­qua­li­tät sei­ner Nach­barn unter sei­ner Erleuch­tung litt: Sie wür­den sich eh nie beschwe­ren. Dafür war er ein zu gro­ßer Mann und sah zu furcht­ein­flö­ßend aus. Es störte ihn aber nicht. Seine Licht­ren­tiere hat­ten keine Angst vor ihm. Die gepfähl­ten Schnee­män­ner ja auch nicht.
In der Küche schnitt er für Murka zwei Schei­ben Salami ab. Für sich nahm er den Rest der Stange mit und eine Scheibe Brot – mehr gab der Kühl­schrank auch nicht her. Wal­de­mar setzte sich an sei­nen Tisch für zwei, auf dem eine sil­ber­weiße Bon­sai­plas­tik­tanne stand, mit zurecht­ge­bo­ge­nen Zwei­gen und bun­ten Glas­ku­geln zwi­schen dem Lametta. Um 18 Uhr, wenn der Haupt­ti­mer im Wohn­zim­mer den Gar­ten in glei­ßen­des Licht warf und alle Engel ver­schreckte, begann auch der Tan­nen­baum zu blin­ken. Murka sprang auf den Tisch und zer­kaute – ein Auge zuknei­fend – die Wurst, wäh­rend Wal­de­mar von der Salami abbiss und nach­denk­lich hin­aus­schaute zu sei­nem licht­zu­cken­den Garten.
Spä­ter tunkte er süßen Zwie­back in den schwar­zen Tee und dachte sich, wie schön sie doch war, diese Erleuch­tung, von der alle sprachen.

Arina Mol­chan

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