Auf den Spuren eines Oscargewinners

by Bücherstadt Kurier

Der US-Film­re­gis­seur Billy Ray wagte sich jüngst an das oscar­prä­mierte argen­ti­ni­sche Kri­mi­nal­drama „El secreto de sus ojos“ (In ihren Augen) von Juan José Cam­pa­nella heran und ver­filmte es neu unter dem Titel „Secret in their eyes“ (Vor ihren Augen). Trotz pro­mi­nen­ter Beset­zung und hohem Bud­get hin­ter­lässt der Film gemischte Gefühle. – Von Bücher­städ­ter Florian

Um dem Publi­kum aus­län­di­sche Filme zugäng­lich und schmack­haft zu machen, wer­den sie hier­zu­lande seit jeher per Syn­chro­ni­sa­tion in die deut­sche Spra­che über­tra­gen. In den USA dage­gen möchte man dem Publi­kum aus­län­di­sche Filme gar nicht erst zumu­ten, des­halb dreht man den Film lie­ber ganz neu – natür­lich in ame­ri­ka­ni­schem Gewand mit ame­ri­ka­ni­schem Star­auf­ge­bot. In die lange Liste ame­ri­ka­ni­scher Neu­ver­fil­mun­gen reiht sich nun auch „Secret in their eyes“ ein.

Ray (Chi­we­tel Ejio­for) und Jess (Julia Roberts) sind Ermitt­ler beim FBI und gut befreun­det. An einer Moschee, die Jess und Ray auf­grund des Ver­dachts von ter­ro­ris­ti­schen Akti­vi­tä­ten obser­vie­ren, wird eines Tages die Lei­che eines jun­gen Mäd­chens ent­deckt. Der Schock: Es han­delt sich um die Toch­ter von Jess. Ray begibt sich mit Hilfe der Staats­an­wäl­tin Claire (Nicole Kid­man), in die er ver­liebt ist und sei­nem Kol­le­gen Bumpy (Dean Nor­ris) auf die Suche nach dem Täter. Der ein­zige Hin­weis: Ein ver­däch­ti­ges Foto.

Durch unkon­ven­tio­nelle Ermitt­lungs­me­tho­den kommt Ray dem Täter näher, doch gleich­zei­tig macht er sich inner­halb des FBI, das an der Bear­bei­tung des Fal­les nicht inter­es­siert ist, viele Feinde. Schließ­lich kön­nen sie den ver­meint­li­chen Täter fas­sen, müs­sen ihn jedoch aus Man­gel an Bewei­sen wie­der frei­las­sen. 13 Jahre spä­ter trifft Ray – längst nicht mehr beim FBI, aber immer noch wie ver­ses­sen dar­auf, den Täter hin­ter Git­tern zu brin­gen – auf eine neue Spur und gemein­sam mit sei­nen alten Kol­le­gen rollt er den Fall neu auf – um schließ­lich auf ein scho­ckie­ren­des Geheim­nis zu stoßen.

„Secret in their eyes“ hat zwei Erzähl­stränge: Zum einen den Rück­blick auf die 13 Jahre zurück­lie­gen­den Ermitt­lun­gen direkt nach dem Mord­fall und zum zwei­ten die Dar­stel­lung der gegen­wär­ti­gen Ermitt­lun­gen. Zwi­schen den bei­den Plots wird mun­ter hin und her gewech­selt, was mit­un­ter ver­wir­rend sein kann. Durch Alte­rungs­merk­male wie die ergrau­ten Haare von Ray wird zumin­dest ver­deut­licht, dass sich die dar­ge­stell­ten Sze­nen in der Gegen­wart abspielen.

Etwas zu viel des Guten

Ein zen­tra­les Pro­blem die­ses Fil­mes ist die etwas über­la­den erschei­nende Hand­lung. Ins­be­son­dere der Gegen­warts­plot wirkt sehr kon­stru­iert und vie­les zu „erzwun­gen“, so als ginge es Regis­seur Billy Ray pri­mär darum, im Film mög­lichst viel Action und Über­ra­schung unter­zu­brin­gen. Zu sel­ten aller­dings kommt dabei wirk­lich Span­nung auf. Dar­über hin­aus tritt der Gegen­warts­plot gegen­über dem Ver­gan­gen­heits­plot zu sehr in den Hintergrund.

Im 2009 erschie­ne­nen Ori­gi­nal­film „El Secreto de sus ojos“, der auf den Roman „La preg­unta de sus ojos“ von Edu­ardo Sacheri basiert, funk­tio­niert das Zusam­men­spiel von Ver­gan­gen­heits- und Gegen­warts­dar­stel­lung wesent­lich bes­ser. Dort wird der Mord­fall in der Gegen­wart nicht neu auf­ge­rollt, son­dern es wird ledig­lich auf ihn zurück­ge­blickt. Genauer gesagt ver­ar­bei­tet der Haupt­cha­rak­ter Ben­jamín (ent­spricht der Rolle von Ray, gespielt von Ricardo Darín) den Fall in einen Roman und im Zuge des­sen trifft er sich mit der damals an den Ermitt­lun­gen betei­lig­ten Anwäl­tin (das Äqui­va­lent zu Claire, gespielt von Soledad Villa­mil). Im Gegen­warts­plot ste­hen vor allem die Bezie­hung der bei­den und die Erin­ne­run­gen an die frü­he­ren Gescheh­nisse im Vordergrund.

Viel Tra­gik und eine miss­lun­gene Liebesdarstellung

Der größte Unter­schied zwi­schen bei­den Film­ver­sio­nen fin­det sich beim Opfer des Mord­falls. In der Ori­gi­nal­fas­sung han­delt es sich um ein Mäd­chen, zu dem die Ermitt­ler in kei­ner Bezie­hung ste­hen. Die Rolle der scho­ckier­ten Mut­ter, die ihre Toch­ter ver­lo­ren hat, gibt es in der Ver­sion folg­lich nicht. Dort ist es der Freund, der den Tod sei­ner Freun­din betrau­ert und der im Ver­lauf des Fil­mes noch eine Schlüs­sel­rolle einnimmt.

Die Tat­sa­che, dass die FBI-Ermitt­le­rin Jess in dem Mord­fall per­sön­lich invol­viert ist, und Ray nicht nur ihr Kol­lege, son­dern auch guter Freund ist, ver­leiht der Hand­lung in „Secret in their eyes“ eine sehr tra­gi­sche Kom­po­nente und sorgt für eine düs­tere und bedrückte Stim­mung. Folg­lich ver­pflich­tet sie die Cha­rak­tere sich dem­entspre­chend zu ver­hal­ten. Lei­der wird dadurch auch der Charme des Ori­gi­nals auf­ge­ge­ben, ein­schließ­lich eini­ger amü­san­ter Dialoge.

Am deut­lichs­ten lässt es sich an der Bezie­hung zwi­schen Ray und Claire erken­nen. In „Secreto de los ojos“ erlebt der Zuschau­ende eine wach­sende Zunei­gung und zuneh­mend tiefe Gefühle zwi­schen den bei­den Prot­ago­nis­ten. In „Secret in their eyes“ sieht man den halb­her­zi­gen Ver­such des Regis­seurs eine sol­che Bezie­hung dar­zu­stel­len, doch die Dia­loge der bei­den Cha­rak­tere wir­ken ver­krampft, es bleibt stets eine Distanz zwi­schen den bei­den und zu kei­nem Zeit­punkt schei­nen echte amou­röse Gefühle in der Luft zu lie­gen. Ins­be­son­dere Claire wirkt immer ein wenig abwei­send gegen­über Ray, der immer­hin hier und da sei­nen Charme spie­len lässt. Es wäre akzep­ta­bel gewe­sen, den Fak­tor Liebe in der Neu­ver­fil­mung ganz aus­zu­klam­mern. Doch so ist es ein halb­ga­rer und geschei­ter­ter Ver­such, eine innige Bezie­hung dar­zu­stel­len, um der argen­ti­ni­schen Film­vor­lage gerecht zu wer­den. Weder Fisch noch Fleisch.

Mäßige Cha­rak­tere & feh­lende Identität

Gene­rell sind die Prot­ago­nis­ten in „Secret in their eyes“ blass und wenig facet­ten­reich gezeich­net. „Secreto de los ojos“ gibt mehr über Eigen­schaf­ten und Ange­wohn­hei­ten sei­ner Cha­rak­tere preis. Der heim­li­che Star die­ses Fil­mes ist der zer­streute, geschwät­zige und impul­sive Ermitt­ler Pablo (Guil­lermo Fran­cella), der sich nach Fei­er­abend gerne mal betrinkt und des­halb oft Ärger mit sei­ner Frau hat. Wenn­gleich er nicht zu den Haupt­fi­gu­ren gehört, ist er doch inter­es­san­ter und kom­ple­xer als jeder Cha­rak­ter in der ame­ri­ka­ni­schen Version.

Von den vor­her genann­ten Bei­spie­len abge­se­hen, hält sich Billy Ray sehr nah an die Vor­lage. Teil­weise wirkt es ein wenig lächer­lich wie ein­zelne Details, Dia­log­pas­sa­gen und klei­nere Sze­nen, auch jene, die auf die Hand­lung kei­nen gro­ßen Ein­fluss haben, unver­än­dert über­nom­men wur­den. Die Chance, dem Werk eine eigene Iden­ti­tät zu ver­lei­hen, wurde ver­passt. Andere Details wur­den wie­der­rum „ame­ri­ka­ni­siert“: Die Ent­schei­dung der FBI-Bosse, den Mord­fall her­un­ter­zu­spie­len, wird damit begrün­det, dass der Anti-Ter­ror-Kampf höhere Prio­ri­tät habe. Ein Fund­stück, das die Ermitt­ler im Haus des Ver­däch­ti­gen ent­deck­ten, ist hier nicht ein Brief, wie in der argen­ti­ni­schen Ver­sion, son­dern ein selbst­ge­zeich­ne­tes Comicheft.

Schauspieler*innen in Topform

Lobend her­vor­zu­he­ben sind die dar­stel­le­ri­schen Leis­tun­gen, allen voran die von Julia Roberts als trau­ma­ti­sierte Mut­ter. Es ist fast schon erschüt­ternd, wie elend und nie­der­ge­schla­gen sie in nahezu jeder Szene aus­schaut, der Schock steht ihr per­ma­nent ins Gesicht geschrie­ben. Es fällt nicht schwer, mit der Prot­ago­nis­tin Jess mit­zu­lei­den. Zudem ist das Finale des Fil­mes ähn­lich über­ra­schend und scho­ckie­rend wie im Ori­gi­nal. Da aber Billy Ray auch hier viele Ein­stel­lun­gen und Sze­nen fast eins-zu-eins über­nimmt, ist es frag­lich, wie viel Eigen­leis­tung in der Insze­nie­rung des Fina­les steckt.

„Secret in their eyes“ ist trotz aller Kri­tik­punkte immer noch ein pas­sa­bles Remake, das durch­aus inter­es­sant anzu­schauen ist. Den Ori­gi­nal­film außer Acht gelas­sen han­delt es sich sicher­lich um einen guten Film mit einem gelun­ge­nen Ende. „El secreto de sus ojos“ bie­tet jedoch das glei­che – nur viel bes­ser, aus­ge­reif­ter, authen­ti­scher. Der ganze Film wirkt run­der und bes­ser durch­dacht. Mit „Secret in their eyes“ ver­hält es sich wie mit einer Tief­kühl­pizza: Sie schmeckt viel­leicht ganz gut, aber gegen eine echte Pizza aus dem Stein­ofen nach altem Fami­li­en­re­zept kann sie nicht mit­hal­ten, egal wie sehr sie es versucht.

Secret in their eyes (Vor ihren Augen). Regie: Billy Ray. Dreh­buch: Billy Ray. Schau­spie­ler: Chi­we­tel Ejio­for, Nicole Kid­man, Julia Roberts. FSK 12. USA. 2015. 111 Minu­ten. / El Secreto de sus ojos (In ihren Augen). Regie: Juan José Cam­pa­nella. Dreh­buch: Juan José Cam­pa­nella, Edu­ardo Sacheri. Schau­spie­ler: Ricardo Darín, Soledad Villa­mil, Pablo Rago. FSK 12. Argen­ti­nien. 2009. 129 Minuten.

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